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Klimakrise ist mit den Mechanismen des Marktes nicht zu lösen

Archiv Linksfraktion - Rede von Gregor Gysi,

Gregor Gysi antwortet auf die Regierungserklärung zur Klimapolitik der Bundesregierung nach den Beschlüssen des Europäischen Rates

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Spät, aber immerhin: Die Menschheit wacht auf. Weltweit wird über die Klimakatastrophe bzw. die mögliche Klimakatastrophe diskutiert. Die Diskussion hat selbst die USA erreicht. Das klingt zuerst einmal, zumindest vom Zeitgeist her, nach einem Fortschritt. Wenn man sich aber den CO2-Ausstoß ansieht, der uns so beschäftigt, dann muss man zu Beginn erst einmal eine grundsätzliche Feststellung machen: Diese ganze Katastrophe liegt nicht an den Entwicklungsländern, sondern ausschließlich an den Industriegesellschaften.

(Beifall bei der LINKEN)

Denn pro Einwohner werden in einem Entwicklungsland im Durchschnitt etwa 2 Tonnen CO2 im Jahr ausgestoßen, in den USA sind es pro Einwohner im Jahr 20 Tonnen, und in Deutschland sind es pro Einwohner im Jahr 10 Tonnen. Damit liegt Deutschland auch das muss man sagen immer noch über dem Durchschnitt in Europa. Allerdings ist es wahr, dass es von 1990 bis 1993 eine ungeheure Senkung des CO2-Ausstoßes gab. Das lag aber ausschließlich an der Deindustrialisierung des Ostens. Es soll mir keiner heute erklären, dass das aus ökologischen Gründen geschah. Ich glaube, das geschah aus reinen Profitgründen und hatte mit Unternehmen in den alten Bundesländern zu tun, zumindest zum Teil.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber jetzt steigt der CO2-Ausstoß wieder an. Das sollte uns nachdenklich machen. Oft wird gesagt - auch der Kollege von der FDP hat es getan -: Das gefährde die Erde bzw. das zerstöre die Natur. Ich glaube, beides ist falsch. Frankreich hat weltweit einige Inselchen. Die nutzt Frankreich, um unter Wasser Atomwaffenversuche durchzuführen, wie bekannt ist. Ich habe einen Dokumentarfilm gesehen, den ich sehr interessant fand. Da wurde gezeigt, dass Dokumentarfilmer zu solchen Inseln gereist und mit entsprechenden Anzügen bekleidet unter Wasser gegangen sind, um zu prüfen, ob es da noch Pflanzen und Tiere gibt. Sie selber konnten aus Ihren Anzügen nicht heraus; denn dann wären sie sofort tot gewesen. Interessant ist, dass es all die Tiere und Pflanzen, die es früher dort einmal gab, nicht mehr gibt. Aber es gibt dort massenhaft Pflanzen und Tiere, die kontaminiert sind. Das macht ihnen bloß nichts aus. Was kommt dabei heraus? Wir können die Natur nicht wirklich zerstören, genauso wenig die Erde. Aber unsere Lebensgrundlage können wir zerstören. Dann wird es die Menschen auf der Erde nicht mehr geben. Das ist der entscheidende Punkt.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Allen voran leisten die Industriegesellschaften, vor allem die USA, ihren Beitrag dazu.
Was bedeutet eigentlich Erderwärmung? Erderwärmung bedeutet, dass wir ein Drittel weniger Niederschläge hätten, wenn es so weiterginge. Erderwärmung bedeutet, dass der Meeresspiegel enorm steigt. Man müsste Mauern bauen, um zu verhindern, dass alles überschwemmt wird. Ich glaube, niemand hat das Geld und die Kraft, Indien und Bangladesch solche Schutzmaßnahmen zu bezahlen.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen!)

Erzählen Sie doch nicht einen solchen Unsinn! Dieses Thema ist nicht zum Witze machen geeignet. Sie können Indien und Bangladesch auf diese Art und Weise nicht retten. Sie bezahlen es erst recht nicht.
Klimaerwärmung bedeutet, dass das Trinkwasser knapper wird und dass Landwirtschaft zum Teil unmöglich wird. Es wird dann einen Kampf um Wasser und um fossile Energierohstoffe wie Erdöl geben. Die heutigen Kriege im Irak und in Afghanistan haben schon sehr viel mit dem Kampf um fossile Energierohstoffe zu tun. Das ist das Problem.

(Beifall bei der LINKEN)

Übrigens, Frau Künast, weil Sie gelegentlich für Kriege sind: Dort fliegen besonders viele Flugzeuge mit hohem CO2-Ausstoß.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gregor, der billige Jakob!)

Davon abgesehen gibt es im Tschad und in Nigeria auch innere Auseinandersetzungen wegen des Erdöls. Das heißt, der Kampf der Menschen um diese Rohstoffe wird zunehmen. Das ist gar nicht gut.
Wie kann man das verhindern? Welchen anderen Ansatz braucht man? Wir brauchen wieder ein Primat der Politik über die Wirtschaft. Der Neoliberalismus spricht genau dagegen. Mit dem Primat der Politik über die Wirtschaft hat die FDP Schwierigkeiten, genauso wie die Union, die Grünen und die SPD. Das ist das Problem. Wir müssen darum kämpfen, dass die Politik wieder entscheidet. Sonst können wir ökologische Belange nicht durchsetzen, erst recht nicht gegen Profitinteressen in der Wirtschaft.

(Beifall bei der LINKEN)

Es gibt übrigens ein schönes Zitat von Professor Ulrich Beck aus der „taz“ vom 3. April 2007:
In seinem Aufsehen erregenden Klimareport bezeichnet der ehemalige Weltbank-Ökonom Nicholas Stern die globale Klimaveränderung als das größte Marktversagen in der Geschichte. Wenn wir weiter auf die Mechanismen des Marktes vertrauen, werden wir die Klimakrise nicht lösen … Auch die Grünen müssen ihr marktwirtschaftliches Kleindenken überprüfen …
Mir scheint da etwas dran zu sein. Wenn wir über den Kapitalismus nicht hinausdenken, werden wir die Fragen nach der Verhinderung einer Klimakatastrophe nicht lösen können.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun gibt es viele Ansätze. Wir sind uns einig: Wir brauchen die Förderung der erneuerbaren Energien. Hier ist in Deutschland einiges geleistet worden. Wir brauchen des Weiteren Energieeinsparungen; darüber hat der Minister schon gesprochen. Wir müssen aber auch über den Verkehr neu nachdenken. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Sie haben die Bahn privatisiert. Das ist wieder eine Maßnahme, die dazu dient, das Primat der Politik zu verhindern. Nun muss sich die Bahn rechnen. Deshalb haben wir das Problem, dass die Gütertransporte mit der Bahn teurer sind als auf der Straße und dass der CO2-Ausstoß viel höher ist, weil ständig Lkws fahren und weil wir die Bahn diesbezüglich nicht attraktiv machen können; das ist das Problem. Wir waren gegen die Privatisierung der Bahn, damit wir auch hier im Bundestag die Hoheit über solche Fragen behalten.

(Beifall bei der LINKEN - Jörg van Essen (FDP): Das ist doch eine abstruse Argumentation!)

Dann wird über Autos, Flüge und Tourismus geredet. Die Grünen neigen dazu, diese Fragen durch soziale Ausgrenzung zu lösen. Ich erinnere Sie an Ihren Beschluss, 5 DM pro Liter Benzin zu verlangen. Was hätte das denn bedeutet? Das hätte bedeutet, dass Besserverdiener wie wir weiterhin hätten Auto fahren können, während wir die Normalbürgerinnen und Normalbürger sowie die ärmeren Schichten von der Straße verdrängt hätten. Ähnlich denken Sie, wenn es um Flüge und Tourismus geht. Ich will nicht in einer Gesellschaft leben, in der nur die obersten Zehntausend in den Genuss des Tourismus kommen können. Diese Art der Ökologie lehnen wir ab.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir wollen in sozialer Gerechtigkeit ökologische Strukturen schaffen. Das heißt darin stimmen wir überein , dass wir andere Techniken fördern müssen. Das gilt beim Flugzeug genauso wie beim Auto und bei anderen Verkehrsmitteln.

Lassen Sie mich noch etwas zu Ihrem Emissionshandel, zu den Zertifikaten sagen. Das ist schon ein starkes Stück.

Präsident Dr. Norbert Lammert:
Sie wissen, Herr Kollege, dass Sie sich ein bisschen beeilen müssen.

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Ich will das deshalb an dieser Stelle erwähnen: In allen Ländern werden Zertifikate versteigert.

(Dr. Uwe Küster (SPD): Sie nehmen Ihrer Kollegin nur Redezeit weg!)

In Deutschland haben SPD und Grüne den Konzernen die Zertifikate kostenlos übergeben, als Geschenk. Dann bekamen die Zertifikate einen Wert, und die Konzerne haben diesen Wert genutzt, indem sie ihn auf den Energiepreis aufgeschlagen haben. Sie haben also kostenlos einen Riesengewinn gemacht.
Die Regierung hat darüber hinaus Zertifikate mit einem Volumen ausgegeben, das 7 Prozent über dem CO2-Ausstoß in Deutschland lag. Im Ergebnis ist der Wert der Zertifikate enorm gefallen. Vor allem aber musste niemand Zertifikate zukaufen. Null ökologische Wirkung ist dadurch eingetreten.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Bundesminister Gabriel, Sie haben einen Vorschlag gemacht, wie es in einer Wohnung wärmer werden kann wie man am effizientesten lüftet. Sie haben recht: Wenn man näher zusammenrückt, wird es wärmer.
Das Entscheidende ist, dass wir die Umstellung brauchen. Diese Frage ist unter friedenspolitischen, entwicklungspolitischen und sozialen Gesichtspunkten so wesentlich, dass daraus eine Menschheitsfrage geworden ist.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)