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Keine Sieger und Verlierer!

Archiv Linksfraktion - Rede von Gregor Gysi,

"Gregor Gysi (DIE LINKE.) zum Antrag "Abriss des Palastes der Republik stoppen"."

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Geschichte der Auseinandersetzungen über den Palast der Republik ist hier beschrieben worden. Bei den Reden von Herrn Börnsen und Herrn Waitz ist mir aufgefallen, dass man immer wieder versucht, Politik über Gebäude zu machen. Das ist etwas, was ich am allerwenigsten verstehe. (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Wer hat denn das getan? - Zuruf von der CDU/CSU: Wer hat denn den Antrag gestellt?) Das will ich Ihnen gerade sagen. So bekloppt bin ich nicht. Ich will Sie daran erinnern, dass die SED-Führung das Stadtschloss loswerden wollte. Natürlich konnte sie sagen: Es wurde durch den Krieg zerstört. Aber man hätte es auch wieder aufbauen können. Aus ideologischen Gründen hat man es nicht getan.Sie machen nichts anderes. Es fällt Ihnen nicht einmal auf. (Beifall bei der LINKEN - Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Sie haben überhaupt nicht zugehört! Sie sind ideologisch verblendet! Nicht einmal zugehört!) Ich wiederhole: Sie machen nichts anderes. Herr Börnsen, Sie haben hier eine lange ideologische Begründung geliefert, weshalb Sie den Palast der Republik loswerden wollen. Verstehen Sie: Das ist dieselbe Denkweise. (Zurufe von der LINKEN: Richtig! - Genau!) Jetzt schildere ich Ihnen Folgendes: Anfangs hatte ich zu diesem Palast keine rechte Beziehung. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das Unschuldslamm steht am Pult! Herr Gysi!) Aber ich habe dann festgestellt: Die jüngere Generation hat da viel Zeit verbracht. (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU - Zuruf von der FDP: Sie waren doch auch einmal jung!) Es tut mir Leid: Das stimmt. Wenn Sie das nicht wahrhaben wollen, dann ist das Ihr Problem. Schauen Sie sich einmal die Umfrage an: Eine Mehrheit im Osten will im Augenblick diesen Palast erhalten. Dass Sie die Wahrheit nicht zur Kenntnis nehmen, ist etwas anderes. Lassen Sie mich trotzdem ausreden! Immer mehr Vertreter der jüngeren Generation teilten mir mit, dass sie dort in der Disko, im Café oder im Theater waren und dass sie wollen, dass der Palast irgendwie erhalten bleibt. (Unruhe bei der CDU/CSU) Hören Sie zu! - Dann habe ich mich für die Erhaltung eingesetzt. Ich stand zum Beispiel auf dem Dach des Ge¬bäudes und habe alles mögliche gemacht. Dann kam irgendwann der Berlinwahlkampf und ich habe mit denjenigen Leuten gesprochen, die den Wiederaufbau des Stadtschlosses wollten, einen Verein gebildet haben etc. Übrigens, man kann auch über das Gebäude Stadtschloss Negatives sagen. Was soll das? Es war weder wie Versailles noch wie Sanssouci. Auch das muss man einmal deutlich sagen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Aber davon abgesehen: Ich habe auch den Wunsch derer verstanden, die den Wiederaufbau des Stadtschlosses wollten. Verstehen Sie! Da hat in mir eine Entwicklung stattgefunden, die Sie noch nicht vollzogen haben. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ja. Sie wissen ja gar nicht, welche. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Darauf können wir gut verzichten!) Ich habe gesagt: Vielleicht müssen wir in diesem Fall darauf verzichten, Sieger und Verlierer zu kreieren; vielleicht müssen wir einen anderen Weg gehen. (Beifall bei der LINKEN) Damals haben wir die Idee entwickelt, einerseits den vorhandenen Kern zu erhalten und andererseits den Palast nicht wieder einfach aufzubauen, sondern etwas wiederaufzubauen, was Elemente des Schlosses integriert, sodass wir uns zu beiden Teilen der Geschichte bekennen, und das, nachdem wir vorher die öffentliche, gemeinnützige Nutzung dieses Gebäudes in der Hauptstadt Deutschlands festgelegt haben. (Beifall bei der LINKEN - Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Ist das jetzt der Rückzug auf Raten?) Was ist daran so schlimm? (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Wollen Sie diese Scheußlichkeit bewahren?) Warum müssen Sie unbedingt eine große Gruppe von Verlierern kreieren, um sich selbst vorübergehend als Sieger zu fühlen? Das ist der falsche Ansatz. (Beifall bei der LINKEN - Widerspruch bei der FDP) So kommen wir nicht weiter. Das ist der Punkt, den ich kritisiere.Es ginge anders; es ginge vernünftiger. Verstehen Sie! Als ich das gesagt habe, waren zuerst auch die Palastanhänger sauer. Aber sie haben sich dann damit auseinander gesetzt und haben gesagt: Irgendetwas ist dran. Vielleicht müssen wir hier in Berlin und nicht nur in Berlin diesbezüglich zueinander finden. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das steht aber nicht im Antrag!) Ich will nicht die Kostengründe ansprechen. Ich stelle nur fest: Erst war nur von Grundstücken die Rede; jetzt lese ich etwas von 1,2 Milliarden Euro. Es wird eben alles immer teurer. Ich will das aber gar nicht so billig machen. Es wäre jetzt gar nicht der richtige Zeitpunkt, ausschließlich in diese Richtung zu argumentieren. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das steht auch nicht im Antrag!) Die Erfahrungen besagen natürlich: Berlin ist pleite; der Bund ist pleite; Geld haben wir nicht. Dieses große Problem kommt noch hinzu. (Zuruf von der FDP) Nein, es ist umgekehrt. Wir werden zuständig, weil die Stadt so pleite ist, dass nichts anderes übrig blieb. Das ist die Wahrheit, nachdem eine große Koalition diese Stadt ruiniert hatte. (Beifall bei der LINKEN - Widerspruch bei der FDP) Ich sage Ihnen: Ich glaube, es war ein Fehler, Sieger und Verlierer kreieren zu wollen. Heute ist darüber berichtet worden, dass es falsch war, die Fusion von Eon und Ruhrgas zu genehmigen. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das ist doch völlig am Thema vorbei!) Der Bundestag hat noch die Chance, seinen Beschluss zu revidieren. Noch besteht die Möglichkeit, zu sagen: Wir machen es anders, wir nehmen einfach alle mit, wir verlangen von jedem eine Art Kompromissbereitschaft und wir machen etwas, was ins 21. Jahrhundert gehört, etwas, was mit der Zukunft dieser Gesellschaft und dieses Landes wirklich zu tun hat; wir bekennen uns damit zu dem einen Stück Vergangenheit Schloss und zu dem anderen Stück Vergangenheit Palast und machen dennoch etwas völlig Neues, etwas anderes, etwas Gemeinnütziges und etwas Öffentliches daraus. Haben Sie doch einmal die Kraft, darauf zu verzichten, Sieger und Verlierer zu kreieren! (Beifall bei der LINKEN - Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Aber das ist doch nicht der Antrag!)