Rede zur aktuellen Stunde zu Stickoxid- und Feinstaubbelastungen in Innenstädten
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Abgastests unter realen Bedingungen des Verkehrs wurden jahrelang verhindert. Die Bundesregierung hat durch Mittelkürzungen die Möglichkeiten des Kraftfahrt-Bundesamtes zu eigenen Fahrzeug- und Abgastests eingeschränkt und sich auf die Angaben der Automobilhersteller verlassen und letztendlich sogar die Testverfahren nach deren Wünschen verändert.
Drei Jahre lang arbeitete ich in der Entwicklungsabteilung eines Zulieferers für die Automobilindustrie und weitere zweieinhalb Jahre als Qualitätsmanager in einem Zulieferwerk. Die Autohersteller kennen ganz genau die Belastungen ihrer Fahrzeuge. Sie wissen, wie Pkws in Städten und auf dem Land in Europa oder den USA üblicherweise genutzt werden und wie sie sich verhalten. Wenn Bundesregierung, EU-Kommission und Hersteller das gewollt hätten, gäbe es seit Jahren Abgastests im realen Fahrbetrieb. Jetzt gibt es den Abgasskandal, und es wird klar, warum trotz Umweltzonen, trotz Euro-4- und Euro-5-Normen zu hohe Stickoxid- und zu hohe Feinstaubbelastungen in unseren Innenstädten auftreten.
Bürgerinnen und Bürger haben das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und ein Anrecht auf Mobilität. Die Bundesregierung steht nun vor einem selbstverschuldeten Dilemma. Ignoriert sie die Gesundheitsgefahren für die Bevölkerung, oder schränkt sie die Mobilität von über 13 Millionen Nutzerinnen und Nutzern von Diesel-Pkws ein?
Die aktuelle Debatte zur blauen Umweltplakette und zur Euro-6-Norm sehen wir kritisch. Diesel-Pkws, die die Euro-6-Norm im Teststand erfüllen, erfüllen im Realbetrieb nicht einmal die Euro-5-Norm. Wieso sollen die Fahrerinnen und Fahrer von Benzin- und Gasfahrzeugen eigentlich mitbestraft werden, und wieso sollen die 13 Millionen Fahrerinnen und Fahrer älterer Dieselfahrzeuge mit der Aussperrung aus Umweltzonen für den Betrug durch die Autolobby bestraft werden? Die Linke lehnt es ab, die Betrugsopfer mit Mobilitätseinschränkungen zu bestrafen.
Wir fordern eine Kompensation durch die Verursacher.
Mobilität ermöglichen jedoch nicht nur Pkws. Die Linke setzt sich seit Jahren für besseren öffentlichen Personenverkehr ein. Der derzeitige Vorschlag der Bundesregierung zu den Regionalisierungsmitteln im Bahnverkehr bedeutet eine Kürzung dieser Mittel für die Ostländer. Für meine Heimat Thüringen bedeutet das, dass bis 2030 über 500 Millionen Euro weniger für den Schienenverkehr, für Regionalbahn- und Regionalexpresszüge, zur Verfügung stehen. Das bedeutet: Die Menschen müssen zwangsläufig zusätzlich ein Auto nutzen. Deshalb bringt die Linksfraktion heute einen Antrag zur Erhöhung der Regionalisierungsmittel auf 8,5 Milliarden Euro ein.
Mit dieser Summe kann es in Ballungszentren mehr Schienenverkehr geben und das Angebot in der Fläche, insbesondere in Ostdeutschland, erhalten bleiben. Pendler könnten weiterhin öfter Züge als Pkws nutzen, was die Stickoxid- und Feinstaubbelastung reduziert. Die Bundesregierung könnte somit eine Teilwiedergutmachung für ihr Versagen bei der Kontrolle der Autoindustrie leisten.
Außerdem muss das Kraftfahrt-Bundesamt wieder in die Lage versetzt werden, realitätsnahe Abgastests selbst durchzuführen; denn bevor eine Plakette für eine Euro-6-Norm verbindlich eingeführt wird, braucht es reale Abgasmessungen.
Die Automobilhersteller müssen Verantwortung für ihre falschen Angaben übernehmen und die Folgen ihres Handelns kompensieren. Klar ist: Eine eventuelle Nachrüstung der Dieselflotte dauert Jahre und ist vielleicht gar nicht möglich. So lange will die Linke nicht warten. Deshalb müssen Automobilhersteller über andere Maßnahmen an der Einhaltung der Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide in unseren Städten mitwirken. Eine Variante wäre, dass die Autohersteller zur Kompensation die Elektrifizierung von Bahnstrecken übernehmen. In Jena könnte beispielsweise durch die Elektrifizierung der Mitte-Deutschland-Verbindung sowohl die Feinstaub- als auch die Stickoxidbelastung deutlich reduziert werden. Eine weitere Möglichkeit wäre, die Autohersteller zum Unterhalt, zum Bau und zur Pflege von Grünanlagen in Städten zu verpflichten. Dies würde den betroffenen Menschen vor Ort zugutekommen. Diese und weitere Kompensationsauflagen müssen gelten, bis alle Fahrzeuge die Norm, und zwar im Realbetrieb, einhalten.
Liebe Koalitionäre, entwickeln wir gemeinsam unkonventionelle Lösungen, um Gesundheitsschutz und Mobilität zu sichern und die Produktverantwortung auch für Automobilfirmen endlich durchzusetzen.