Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 1. September 1972 hat meine Ausbildung zur Chemielaborantin begonnen. Einen Monat später bin ich Mitglied der Gewerkschaft geworden, genauso wie 90 Prozent meiner Mitauszubildenden, die zu der gleichen Zeit angefangen haben.
1972 wurde auch das Betriebsverfassungsgesetz mit Leben erfüllt. Betriebliche Mitbestimmung war zu dieser Zeit das politische Ziel. Arbeitgeber liefen Sturm gegen dieses Vorhaben. Und heute in Zeiten der Globalisierung und Deregulierung ist davon nichts mehr zu spüren. Heute haben wir Befristungen, Leiharbeit, Hartz IV und Arbeitgeber, die regelrecht Betriebsräte bekämpfen. Nach aktuellen Zahlen von Mittwoch haben nur noch 8 Prozent der Betriebe einen Betriebsrat. 8 Prozent! Das ist eine Katastrophe, und nichts anderes.
(Beifall bei der LINKEN)
Die regierenden Parteien schauen seit vielen Jahren zu, wie die betriebliche Mitbestimmung den Bach runtergeht. Das Betriebsverfassungsgesetz wurde nicht an die neuen Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt angepasst. Aktuelles Beispiel: die Firma Primark in Hannover. Dort soll dem aktiven Betriebsratsvorsitzenden fristlos gekündigt werden. Die Begründung: Er hat während der Pandemie zu Hause auf seinem privaten Rechner an einem Dienstplan gearbeitet und damit angeblich gegen den Datenschutz verstoßen. Wie Primark mit Datenschutz umgeht, zeigt sich daran, dass in dem Betrieb bis vor Kurzem noch 128 Videokameras angebracht waren. Beschäftigte wurden in Aufenthaltsräumen und Umkleidekabinen ausspioniert.
(Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Unglaublich!)
Wer hat denn da gegen den Datenschutz verstoßen?
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, ob aktuell Primark, Thalia, Starbucks, H&M oder wie sie alle heißen: Das alles zeigt, wie die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zurzeit mit Füßen getreten werden. Und was macht die Bundesregierung? Ihre Vorschläge sind wirklich nur halbherzig: Wahlinitiatoren erhalten einen Kündigungsschutz, der aber bei außerordentlichen und betriebsbedingten Kündigungen nicht greift. Betriebsräte können bei betrieblichen Bildungsmaßnahmen die Einigungsstelle anrufen. Toll, aber die darf nur moderieren. Bei künstlicher Intelligenz gelten Sachverständige als erforderlich, aber warum denn nur da?
(Beifall bei der LINKEN)
Besonders schockiert bin ich über die Regelung zum Datenschutz. Nun soll der Datenschutzbeauftragte, der durch den Arbeitgeber ausgewählt und bestellt wird, ein Kontrollrecht gegenüber dem Betriebsrat erhalten. Das hat mit Unabhängigkeit des Betriebsrates überhaupt nichts zu tun.
Die Linksfraktion ist nicht bereit, dieses neue Gesetz nach 50 Jahren als großen Wurf zu akzeptieren.
(Bernd Rützel [SPD]: Wieder eine vergebene Chance!)
Deshalb werden wir uns bei der Abstimmung enthalten.
(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh!)
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Wo ist denn jetzt das Problem? – Gegenruf des Abg. Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Dass Sie das Problem dabei nicht erkennen, spricht für sich!)