Rede Im Bundestag zu TOP 3 der 158. Sitzung des Deutschen Bundestages am Donnerstag, dem 25. Februar 2016 - Zweite und dritte Beratung der Anträge im "Asylpaket II"
Jan Korte (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 26. Mai 1993 beschloss der damalige Bundestag in Bonn die bis dato schlimmste Zertrümmerung des Grundrechts auf Asyl. Gregor Gysi sagte in der damaligen Debatte zum Klima dieser Debatte:
Außer Kraft gesetzt wurden die Maßstäbe der Menschlichkeit und der Vernunft.
(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Das war damals schon falsch!)
Nur drei Tage später, am 29. Mai 1993, gab es den Anschlag in Solingen mit fünf Toten. In 23 Jahren wurde offenbar nichts gelernt in diesem Haus.
(Beifall bei der LINKEN)
Jedes Anti-Asylpaket, das am konkreten Problem nichts, aber auch gar nichts ändert, ist eine indirekte Bestätigung von Hetzern und Menschenfeinden, um es einmal ganz klar zu sagen.
(Beifall bei der LINKEN)
Heute wird nun das Asylpaket II beraten, das richtigerweise Antiasylpaket II heißen muss: mit beschleunigten Verfahren in speziellen Aufnahmeeinrichtungen, mit Abschiebung übrigens auch von traumatisierten Menschen und - das ist wirklich der größte Hammer bei der ganzen Sache - mit der Behinderung des Familiennachzugs auch bei Minderjährigen.
Die Folge davon wird sein, dass sich Frauen, Kinder und Männer wieder über das Mittelmeer auf den Weg machen werden. Seit September sind 340 Kinder im Mittelmeer elendig ertrunken. Es kann doch nicht sein, dass wir hier so etwas beschließen sollen, was das befördert, liebe Kolleginnen und Kollegen. Unfassbar!
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
In dieser Debatte - man muss versuchen, das ein wenig geradezurücken - wollen wir ein paar Anmerkungen zu der Begleitmusik machen, zunächst einmal zum bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer. Der redet in der jetzigen Situation allen Ernstes von einer Herrschaft des Unrechts. Das ist auf der einen Seite dermaßen abgedreht und lächerlich, aber auf der anderen Seite - das ist das eigentliche Problem - ist es so dermaßen gefährlich.
Im Übrigen benutzt er eine Begrifflichkeit, die damals Fritz Bauer benutzt hat, als er den Vorwurf erhoben hat, Deutschland sei unter dem Nationalsozialismus ein Unrechtsstaat gewesen. Das ist bodenlos und abgrundtief, es ist nicht zu fassen; deshalb müssen wir uns gemeinsam dagegen verwahren.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Es sind zurzeit Wahlkämpfe, was dazu führt, dass es auf konservativer Seite offenbar kein Halten mehr gibt. Ich möchte etwas zu Julia Klöckner und Guido Wolf sagen.
(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Sagen Sie zwischendurch mal was zum Gesetzentwurf!)
Letzterer ist eine politische Fachkraft aus Baden-Württemberg, die keiner kennt; deswegen will ich sie erwähnen.
(Heiterkeit bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Dieses Gerede über Tageskontingente geht an der Verfassung und an den Grundrechten völlig vorbei. Wir wollen einmal versuchen, historisch einzuordnen, was das eigentlich bedeutet. Nehmen wir einmal ein Beispiel, nämlich Willy Brandt, der 1934 ins Exil nach Dänemark und Norwegen gehen konnte. Wenn es in diesen Ländern damals Tageskontingente gegeben hätte, was hätte die Folge sein können? Vielleicht: Entschuldigung, es ist 13 Uhr, das Tageskontingent ist voll, bitte gehen Sie zurück. ‑ Das kann doch nicht allen Ernstes Grundlage einer seriösen Debatte sein - um es klar zu sagen.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Liebe Freundinnen und Freunde von der SPD, ihr müsst euch deshalb genau überlegen, mit wem ihr hier eigentlich zusammenarbeitet und wer so etwas fordert.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich will sagen: Logischerweise brauchen wir eine europäische Lösung. Ich finde, Merkel muss mehr Druck machen.
(Lachen bei der CDU/CSU)
Ich finde auch, sie soll nicht mit Erdogan paktieren. Ich will nur eines sagen: Sie kann in Europa gar keinen Druck entfalten, wenn Sie, ihre eigenen Leute, sie jeden Tag demontieren. Wie soll das denn funktionieren - um es einmal klar zu sagen?
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulli Nissen (SPD))
Es ist doch ein Witz, dass ich, ein Linker, Sie darauf hinweisen muss. Da stimmt doch etwas nicht.
In drei Monaten haben wir nun zwei Antiasylpakete; Sie haben schon angekündigt, dass das dritte kommen wird. Ich frage mich natürlich: Wo ist eigentlich ein umfangreiches Integrationspaket? Wo ist eigentlich das große Fluchtursachenbekämpfungspaket? Wir haben Rekordwaffenexporte wie noch nie in der Bundesrepublik. Jetzt werden Sie sagen: Die Waffenexporte zu reduzieren, hilft uns morgen nicht. ‑ Das mag sein, aber wir müssen doch irgendwann einmal anfangen, diesen Irrsinn zu beenden. Das kann doch nicht wahr sein.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sie haben in dieser Woche den Armutsbericht gesehen. Die Armut grassiert in diesem Land.
(Max Straubinger (CDU/CSU): Man sieht es Ihnen an! ‑ Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)
Ich frage mich: Wo ist die soziale Offensive? Wo ist die Investition in den Wohnungsbau und in Bildung? Warum packen Sie es nicht endlich an, die Kommunen vernünftig finanziell auszustatten? Sie regen sich auf, aber ich habe noch mehr. Es kommt noch mehr. Sie können sich entspannen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wo sind die Investitionen eigentlich? Das kann doch nicht wahr sein.
Ich glaube in der Tat, dass sowohl Deutschland als auch Europa an einem wirklichen Scheideweg sind, an einem historischen Moment, wo sich entscheiden wird, ob wir den Weg Ungarns gehen oder ob wir den Weg der Solidarität, der Nächstenliebe, wie die Christen sagen würden, und des sozialen Aufbruchs gehen wollen. Das ist die Kernfrage. Deswegen brauchen wir nicht nur einen Aufstand der Anständigen, sondern wir brauchen einen anständigen Aufstand gegen Ihre Art, Politik zu machen. Das ist zentral.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Dafür brauchen wir jeden, dem es eiskalt den Rücken herunterläuft, wenn von Menschen als Viehzeug gesprochen wird. Diese Menschen brauchen wir. Wir brauchen die Kirchen und Wohlfahrtsverbände, die täglich ganz leise und still Großartiges leisten. Sie brauchen wir.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir brauchen die jungen Menschen, die bei jedem Hasskommentar Tausende Gegenkommentare organisieren, die volle Kante dagegen halten. Diese Leute brauchen wir.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir brauchen eigentlich auch eine sozialdemokratische Partei, die eine klare, unzweideutige Haltung hat, auch aus ihrer Geschichte abgeleitet. Ich würde mir wünschen, dass Sie heute so entscheiden würden, wie es Tausende von Ihren Mitgliedern an der Basis jeden Tag tun. Wir brauchten so eine SPD in diesem Land, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ja, wir brauchen auch ‑ auch das will ich sagen; das habe ich noch nie in meinem Leben gesagt ‑ die vielen Mitglieder der CDU, die den Ausspruch von Angela Merkel „Wir schaffen das“ als einen Auftrag zur Nächstenliebe im Alltag begriffen haben. Auch sie brauchen wir - um es klar zu sagen.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich komme zum Schluss. Wenn Sie die berechtigte Empörung und den Abscheu über das, was in den letzten Tagen in diesem Land passiert ist, wirklich ernst meinen und wenn Sie daraus konsequent einen deutlichen Schluss ziehen wollen, dann muss dieser Bundestag heute geschlossen Nein zu diesem Asylpaket sagen.
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU - Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Mit Sicherheit nicht!)
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)