Gregor Gysi in der Bundestagsdebatte über den Antrag seiner Fraktion "Eskalation im Atomkonflikt mit dem Iran verhindern"
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Wir führen heute keine Diskussion über den iranischen Präsidenten und damit auch nicht über seine zum Teil bösartigen antisemitischen Auffassungen.
(Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Zum Teil?)
Das alles ist für uns alle indiskutabel. Wir führen eine andere Diskussion, nämlich über die Rolle Deutschlands im Falle eines Krieges gegen den Iran. Ein solcher Krieg wäre eine Katastrophe. Wir müssen uns hier darüber verständigen, wie wir uns dazu verhalten.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Seit langer Zeit geht es um Krieg und Frieden sowie das Völkerrecht. Der Atomwaffensperrvertrag enthält die beiden Regelungen, dass zum einen diejenigen, die keine Atomwaffen haben, keine bekommen dürfen und dass zum anderen die fünf Mächte, die damals als Einzige Atomwaffen hatten, diese abbauen müssen. Die USA und andere Länder haben aber den Atomwaffensperrvertrag schwerwiegend verletzt, weil sie ihre Atomwaffen nie abgerüstet haben.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Der Iran hat - ob uns das passt oder nicht - den Atomwaffensperrvertrag bislang nicht verletzt; denn er besitzt keine Atombombe.
(Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Das ist falsch!)
Ein weiterer Punkt ist, dass sich der Iran hinsichtlich der Atomwaffen etwas umzingelt fühlt. Das liegt nicht nur an den USA und Russland, sondern auch daran, dass Israel, Indien und Pakistan Atomwaffen haben. Bei Israel haben die USA dafür gesorgt. Bei Indien und Pakistan haben sie nichts dagegen unternommen. Nun arbeiten sie mit diesen Ländern diesbezüglich zusammen. Erklären Sie doch einmal jemandem im Iran, warum der Iran nicht darf, was Indien, Pakistan und Israel dürfen. Das macht die Sache doch nicht leichter, sondern komplizierter. Wir in Deutschland haben zu diesen Fragen überwiegend geschwiegen. Das ist das Problem.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von Klaeden?
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Ja.
Eckart von Klaeden (CDU/CSU):
Herr Kollege Gysi, ist Ihnen zum einen bekannt, dass der NPT verlangt, dass auch zivile Nuklearprogramme so transparent gestaltet werden, dass sie von der internationalen Gemeinschaft kontrolliert werden können, und somit der Iran sehr wohl den NPT verletzt hat? Ist Ihnen zum anderen bekannt, dass der Iran von sich selber behauptet, gar kein militärisches Nuklearprogramm zu betreiben, dass Sie also jetzt gerade, indem Sie Gründe für ein militärisches iranisches Nuklearprogramm anführen, eine Überverteidigung des Iran vornehmen, die vom Iran eigentlich gar nicht akzeptiert werden könnte?
(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Iranischer als der Iran!)
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Sie haben Recht mit der Aussage, dass es eine Kontrolle durch die Internationale Atomenergiebehörde geben soll und es in diesem Zusammenhang Verletzungen gab. Aber den Kern des Vertrages machen die Regelungen über den Nichtbesitz von Atomwaffen und den Abbau von Atomwaffen aus. Insofern geht die Gegenüberstellung zwischen den USA und dem Iran zum Nachteil der USA aus.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Auch ich glaube, dass der Iran irgendwie an Atomwaffen heran will, und zwar genau aus den Gründen, die ich geschildert habe, nämlich weil er meint, dadurch gewissermaßen eine andere Souveränität zu bekommen.
(Zuruf von der SPD: Das macht die Sache nicht besser!)
Also muss man sich überlegen, was man dagegen tun kann. Dagegen kann man einiges tun, nur eines nicht, nämlich einen Krieg führen, was sich die USA überlegen. Bei jeder Macht, die ihnen aus irgendeinem Grund nicht passt, denken sie, die Lösung bestehe im Krieg.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Das geht in Afghanistan schief, und das geht im Irak schief.
Lassen Sie mich zu Afghanistan eines sagen. Da ist Deutschland voll beteiligt. Was erleben wir denn jetzt? Wir erleben, dass die Taliban immer mehr Unterstützung bekommen. War das das Ziel? Man muss doch einmal darüber nachdenken, was da eigentlich falsch läuft. Niemand will die Taliban. Warum gelingt denen das? Weil die Besetzung und der Krieg die falsche Antwort sind.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Im Irak gibt es inzwischen Hunderttausende Tote. Es ist doch gar kein Ende abzusehen. Man sieht nicht einmal in der Ferne eine Lösung. Das beweist doch erneut: Der Krieg ist die falsche Antwort. Mit der Höchstform des Terrorismus, mittels Krieg, können Sie Terrorismus niemals wirksam bekämpfen. Dieser Nachweis ist inzwischen erbracht.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Deshalb sage ich: Auch im Iran geht es letztlich strategisch um die Vorherrschaft über Öl- und Gasvorräte im Vorderen und Mittleren Orient. Das weiß auch der Iran. Deshalb sucht er jetzt viel internationale Solidarität und versucht, sich gegen den Krieg zu schützen. Was macht Europa, was macht Deutschland? Wir eiern nur herum. Ich sage Ihnen, was dringend erforderlich ist: Verhandlungen! Das ist übrigens noch ein Beispiel. Wenn die USA verhandeln wollen - weil sie keinen Krieg führen können oder ihn nicht führen wollen -, dann stellen sie keine Vorbedingungen. So ist es bei Nordkorea. Da setzen sie sich zusammen und verständigen sich irgendwann. Mit dem Iran haben sie bis heute nicht einmal geredet. Das kann nun keine Lösung der Probleme sein.
(Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Das sind Vorbedingungen der internationalen Gemeinschaft, des Sicherheitsrats!)
Im Unterschied zu Ihnen traue ich Herrn Bush alles zu. Er führt nicht nur den Afghanistankrieg und den Irakkrieg. Er hat ein völkerrechtswidriges Foltergefängnis auf Guantánamo, und er hat in Osteuropa geheime CIA-Gefängnisse eröffnet. Was soll er denn noch machen, bis Sie glauben, dass er auch bereit ist, gegen den Iran Krieg zu führen, wenn es ihm in den Kram passt?
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Ich möchte jetzt, dass wir klar Nein dazu sagen, nicht zu 80 Prozent wie beim Irakkrieg. Das Bundesverwaltungsgericht hat festgestellt, dass wir durch die Zurverfügungstellung des Luftraums, von Flughäfen und von anderen Einrichtungen am völkerrechtswidrigen Krieg und damit auch an Völkerrechtsverbrechen beteiligt sind. Ich finde, für die Zukunft müssten wir sagen: Das wird mit uns nicht mehr funktionieren. Frankreich hat damals übrigens richtig Nein gesagt. Es geht. Sie müssen jetzt ein klares Nein sagen: Es gibt nichts von Deutschland für den Fall eines Krieges gegen den Iran und am Besten nichts von der Europäischen Union. Darum müssen wir streiten.
Nun bleibt die Frage, worum wir kämpfen müssen. Ich kann Ihnen sagen: Wenn wir keine Atomwaffen im Iran wollen und die wollen wir wohl alle nicht , dann gibt es drei Dinge, die wir erledigen müssen: Erstens. Wir müssen dem Iran eine Sicherheitsgarantie geben, um das Argument zu entkräften, dass er ansonsten überfallen wird. Zweitens. Wir brauchen eine Sicherheitsgarantie für Israel, und zwar gerade durch den Iran, damit sich der Nahostkonflikt in dieser Hinsicht nicht verschärft. Drittens. Wir müssen auch dem Iran, auch wenn es uns nicht passt es tut mir leid , die friedliche Nutzung der Atomenergie erlauben, wie sie allen anderen Staaten auch erlaubt ist.
(Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Das bestreitet doch niemand!)
Dann können wir vielleicht zu einem Frieden kommen.
Mit Vorherrschaft und mit militärischem Druck kommen wir nicht zum Frieden; vielmehr spitzt sich die Lage dadurch weiter zu. Ein Krieg gegen den Iran wäre eine Menschheitskatastrophe. Ich bitte Sie, dazu ganz klar und ohne Herumeierei Nein zu sagen.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))