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Innovationen für Deutschland (7. Forschungsrahmenprogramm der EU)

Archiv Linksfraktion - Rede von Petra Sitte,

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

wir reden über das neue EU Forschungsrahmenprogramm ganz zu Beginn der deutschen EU Ratspräsidentschaft. Ich bin schon der Auffassung, dass man beides nicht voneinander trennen kann, dass man auch in diesem Kontext EU Forschungspolitik diskutieren muss. Deshalb muss man eben auch etwas zu dieser Ratspräsidentschaft sagen, die natürlich eine gewichtige Aufgabe ist - für jedes Land. Sie wissen genauso gut wie ich, dass diese Ratspräsidentschaft für Deutschland eine ganz besondere Herausforderung ist, und zwar nicht, weil Deutschland vor kurzem die Ratspräsidentschaft übernommen hat, sondern weil die Europäische Gemeinschaft selbst in einer Krise steckt. Das manifestiert sich nicht nur im Scheitern des Verfassungsvertrages.

Seine Ablehnung durch Volksabstimmungen, die Unterbrechung des Ratifikationsprozesses in vielen Mitgliedstaaten erfordern zwangsläufig einen Neuansatz und eine Diskussion über Ziele und Inhalte der europäischen Verfassung. Das hat auch mit europäischer Forschungspolitik zu tun. Ich befürchte allerdings, dass Krisenmanager es nicht im Sinn haben, die Ablehnungsgründe stärker zu thematisieren. Offensichtlich scheint auch die Bundesregierung diesen Kurs zu tolerieren; denn, wie angekündigt, wird jetzt eine Diplomatie der kleinen Gesprächskreise begonnen. Dabei werden - so ist zu befürchten Kritiken weichgezeichnet, Abstraktionsebenen erhöht, um letztlich vielleicht doch noch zu Kompromissen zu kommen. Diese Verschleierung darf die Bundesregierung während ihrer Ratspräsidentschaft eben nicht zulassen. Sie muss dem aktiv begegnen. Das ist ihre Verantwortung innerhalb dieses Prozesses.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie werden der EU Verfassung nur dann neue Impulse geben können, wenn Sie vertrauenbildende Inhalte vorschlagen. Wir haben in unserem Memorandum festgehalten: Die EU ist als politischer, ökonomischer, sozialer und ökologischer Verbund zu konzipieren. Europa darf sich nicht auf ökonomische Rivalität gegen andere Regionen und damit gegen Menschen in anderen Regionen reduzieren.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir gewinnen die Zukunft gemeinsam nur, wenn wir uns eben nicht abgrenzen, sondern auf eine faire und friedliche Globalisierung setzen. Das ist aus unserer Sicht die Gestaltungsidee für Gesamteuropa.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ihr seid doch gegen die Globalisierung!)

Das ist auch die Gestaltungsidee, die die Forschungspolitik Europas durchziehen müsste.

(Beifall bei der LINKEN)

Was heißt das jetzt konkret? Erstens. Ungerechtigkeiten im Bildungssystem, insbesondere sozialbedingte, sind abzubauen. Zweitens. Der europäische Forschungs- und Bildungsraum muss demokratische Mitwirkung ermöglichen. Drittens. Die Themen sind an den zentralen Konflikten und Widersprüchen der Gesellschaft an der Arbeitslosigkeit, der demografischen Entwicklung und der Armut - auszurichten. Viertens. Der Wissenstransfer muss neue reale Beschäftigungschancen bieten. Jetzt schauen wir einmal, wie das neue EU-Forschungsrahmenprogramm herangeht: Als Ziel wird bestimmt - es wurde eben schon erwähnt -, Europa als wissensbasierten, wettbewerbsfähigen Wirtschaftsraum zu gestalten. Ich sage: Die Forschungsinvestitionen der Mitgliedsstaaten zu steigern, bleibt fragwürdig, solange ihr kleinster gemeinsamer Nenner vor allem in privatwirtschaftlicher Verwertbarkeit besteht.

(Beifall bei der LINKEN)

So verwundert es am Ende nicht, wenn es der Forschungsförderung auf europäischer Ebene an Leitlinien für einen europäischen und globalen Integrationsprozess fehlt. Soziale und ökologische Nachhaltigkeit bleiben nur unverbindliche Ziele der Forschungsförderung. Frau Merkel hat unlängst gesagt, sie wolle das Thema Klimawandel zum Schwerpunkt der EU-Präsidentschaft machen. Die Forschungsförderung im Bereich Klimawandel ist in diesem Forschungsrahmenprogramm aber nur in Versatzstücken fixiert.

Vom Mittelzuwachs profitieren vor allem Hochtechnologien und Verfahrensoptimierungen. Informations-, Kommunikations-, Nano-, Produktions- sowie Werkstofftechnologien und nicht zuletzt die Weltraumforschung werden mit rund 15 Milliarden Euro bedacht. Themen- und disziplinenübergreifende Forschungen, die Konzepte zur Bewältigung von sozialen, ökologischen und ökonomischen Problemen erarbeiten könnten, bleiben in diesem Programm im Verhältnis zu den anderen Forschungsbereichen krass unterfinanziert. Während im Hightechbereich Milliarden investiert werden, sind für Geistes- und Sozialwissenschaften nur 610 Millionen Euro vorgesehen. Daher sollte die Bundesregierung ihre Ratspräsidentschaft nutzen, aus dem deutschen Jahr der Geisteswissenschaften 2007 neue Impulse für die EU-Politik zu gewinnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sage ausdrücklich: Wir sollten endlich anfangen, das wissenschaftliche Potenzial der Geistes- und Sozialwissenschaften für die Erarbeitung dringend benötigter globaler Gestaltungskonzepte zu nutzen. Ähnliche Defizite gibt es aber auch in anderen Bereichen, etwa im Bereich der Energieforschung. So sind für erneuerbare Energien nur 400 Millionen Euro vorgesehen. Dagegen werden in die Kern- und Fusionsenergie zweistellige Milliardenbeträge gesteckt. Was aber ist allenthalben unbestritten? Die Perspektiven erneuerbarer Energien sind vielversprechend. Das gilt nicht für die Kernenergie. Die Perspektiven der Fusionsenergie sind völlig offen. Deshalb sagen wir: Hier müssen die Förderprioritäten umgekehrt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Ökonomisierung der Forschung engt nicht nur die Forschung selbst ein. Nein, die Forschung liefert uns wissenschaftlich fundierte Alternativen für unsere politischen Entscheidungen, die wir hier zu fällen haben. Infolgedessen wird es, wenn dort keine Förderung erfolgt, wenn dort keine Konzepte entwickelt werden, unseren Debatten und den öffentlichen Debatten immer an Substanz fehlen. Deshalb ist diese Entwicklung so dramatisch; das darf die Forschungspolitik auf EU-Ebene nicht ignorieren. Deshalb wenden wir, Die Linke, uns auch so entschieden gegen das neue Sicherheitsforschungsprogramm.

(Beifall bei der LINKEN)

Es steht exemplarisch für das, was wir kritisieren. Mittel dieses Programms werden in erster Linie nicht etwa zivil für den Schutz vor Umwelt- und Naturkatastrophen, sondern einseitig für technologische Forschungen in den Bereichen der Terrorismusbekämpfung und der äußeren Verteidigung eingesetzt. Die Ergebnisse dieser mit öffentlichen Mitteln, also mit Steuergeldern gewonnenen Erkenntnisse werden dann privatwirtschaftlich angeeignet und kommerzialisiert. Es ist völlig logisch, dass mit dieser Ausrichtung der Forschungspolitik am Ende nicht viel von den Ankündigungen übrig bleibt, sich auf Prävention und Ursachenbekämpfung zu konzentrieren. Ich will darauf verweisen, dass der Weg, den die Bundesregierung bei der Umverteilung und Strukturveränderung von Instituten jetzt geht, außerordentlich problematisch ist. Da finden sich Institute aus dem Sicherheitsbereich nämlich plötzlich in zivilen Forschungseinrichtungen wieder. Damit verwischen sich letztlich auch die Grenzen zwischen Wehr-, Verteidigungs- und ziviler Sicherheitsforschung. Das widerspricht der Beschlusslage des Bundestages.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich bin sehr gespannt auf die Kabinettsvorlage, die Ende Januar zum nationalen Sicherheitsprogramm der Bundesrepublik Deutschland eingebracht werden wird. Ich will dabei auch auf die Situation der Beschäftigten verweisen. Nachdem sie über Jahre im zivilen Forschungsbereich gearbeitet haben, finden sie sich jetzt unter Umständen in Themen integriert, die eine militärische Ausrichtung haben. Das widerspricht der EU-Charta für Forscherinnen und Forscher. Ich glaube, dass die Bundesregierung sich in diesem Bereich der EU-Position gebeugt hat und dass an dieser Stelle die eigentlich vorhanden gewesenen Widerstände aufgegeben worden sind. Wir können das nicht akzeptieren. Diese Art von Heimatschutz in Deutschland bzw. Europa lehnt die Linke ab. Abschließend sei mit Blick auf die natürlich auch mediale Selbstdarstellung zu den Chancen Deutschlands in der Ratspräsidentschaft doch noch einmal an Folgendes erinnert: Es handelt sich um ein turnusmäßiges Ereignis. Jedes Mitgliedsland ereilt das früher oder später, gewollt oder ungewollt.

Aus der Diskussion der letzten Wochen konnte man aber den Eindruck gewinnen, als habe Deutschland die Ratspräsidentschaft erobert und sei jetzt in der Lage, für das nächste halbe Jahr das Europawetter vorauszusagen.

(Beifall bei der LINKEN)

An 181 Tagen wird die Bundesregierung allein 107 Konferenzen abhalten. Nun hoffe ich sehr, dass diese Ratspräsidentschaft sich am Ende der Zeit nicht auf eine Ratskonferenzschaft reduziert haben wird. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN)