Meine Damen und Herren!
trotz anhaltender Exporterfolge hat sich die technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands auf längere Sicht nicht gut entwickelt. Die Bedingungen für eine dynamische technologische Erneuerung und einen nachhaltigen Strukturwandel in Richtung Wissenswirtschaft müssen deutlich verbessert werden. Das sind die ersten beiden Sätze des Berichtes zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands. Jetzt zitiere ich den Kernsatz aus der Pressemitteilung der SPD-Kollegen Tauss und Röspel dazu:
(Jörg Tauss (SPD): Guter Satz!)
Ja, ja, Herr Tauss. Sie erinnern mich immer an Faust I, Vers 2086: „des Basses Grundgewalt“. In Ihrer Pressemitteilung heißt es: Der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit 2006 ist zugleich ein wichtiger Beleg dafür, dass es uns in den vergangenen Jahren gelungen ist, Deutschland wieder zu einem führenden Forschungs-, Wissenschafts- und Innovationsstandort in der Welt zu machen.
(René Röspel (SPD): Sie müssen auch einmal weiter lesen! Über den ersten Satz hinaus!)
Um diesen Kernsatz überhaupt zu finden, musste man alles gelesen haben. Ob diese Pressemitteilung einer getrübten Wahrnehmung oder einer Fehleinschätzung entspringt, sei einmal dahingestellt. Sie ist allerdings ein lehrhaftes Beispiel dafür, wie sinnvoll das Studium von Originalquellen ist. Im Falle dieses Technologieberichtes lohnt sich das Lesen ganz außerordentlich. Dieser Bericht selbst basiert nämlich auf der Arbeit von neun außeruniversitären Forschungsinstituten und er ist ein beredtes Beispiel dafür, wie wissenschaftliche Kompetenz zur Reflexion gesellschaftlicher Problemlagen eingesetzt werden kann. Bei dem Bericht handelt es sich um einen Auftrag aus der Politik. Gerade durch solche Beauftragungen aus der Politik muss sich Wissenschaft den Problemen der Gesellschaft öffnen. Der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft wertete in seiner Rede vor dem Wissenschaftlichen Rat positiv - ich zitiere -, dass Wissenschaft und Forschung sich heute einer großen Unterstützung aus Politik und Öffentlichkeit erfreuen können.
(Beifall des Abg. Jörg Tauss (SPD))
Er wies aber zugleich auch auf die gestiegenen Erwartungen hin: Die Gesellschaft erwartet von der Wissenschaft Lösungen oder zumindest Hilfestellungen, um angesichts der großen globalen Herausforderungen zu bestehen … Natürlich ist Wissenschaft nicht zweckfrei, sondern einem allgemeinen humanen Zweck verpflichtet. Weiter heißt es: Und Wissenschaft wirkt sich auf die Gesellschaft aus, weil ihre Ergebnisse Anwendung finden und damit für jeden erfahrbar werden. Wichtig ist, dass sich jeder einzelne Wissenschaftler um eine sorgfältige Arbeit bemüht. Ist das nicht der Fall, leidet - verständlicherweise - das Vertrauen in die Wissenschaft als Ganze. So weit der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft. Skepsis gegenüber der Wissenschaft wächst vor allem dann, wenn diese nur eindimensional nach Zielvorgaben von Politik arbeitet. Wenn beispielsweise die Menschen Sachverständige in Kommissionen wie zum Beispiel in der zu Hartz IV als Kronzeugen für nachhaltige Verschlechterungen der eigenen Lebenssituation erfahren, dann ist das ebenjener Vertrauensverlust.
(Beifall bei der LINKEN)
In der Verantwortung der Wissenschaft steht es aber, eine Bandbreite an Handlungsalternativen aufzumachen und öffentlich zur Diskussion zu stellen. Dabei müssen jene Experten auch Sensibilität für die Zumutbarkeit und für Grenzen des gesellschaftlichen Friedens haben. Politik wiederum darf sich umgekehrt nicht hinter der Objektivität von Vorschlägen aus der Wissenschaft verstecken; denn für die Wahl des konkreten Lösungsansatzes ist immer noch sie selbst verantwortlich. (Beifall bei der LINKEN) Wenn Ministerin Schavan Forschung als „Teil der intellektuellen Kultur des Landes“ bewertet, dann gehört der eben skizzierte Ansatz, nämlich Wissenschaft und Forschung in gesellschaftlicher Verantwortung zu denken, dazu - und das ist keine Ideologielastigkeit, Frau Pieper.
(Beifall bei der LINKEN)
Wenn Sie also, wie im Antrag gefordert, sehr bald den Rat für Innovation und Wachstum einsetzen, dann doch genau mit der Zielrichtung, zu fordern, dass Wissenschaft mehrdimensional ist. Die vorliegenden Anträge und die Stellungnahme der Bundesregierung sind demgegenüber ausgesprochen technologielastig. Stärker in den Mittelpunkt rücken müssten unserer Meinung nach die Forschung zum gesellschaftlichen Wandel, zum Erkennen und Verstehen sozialer Entwicklungsprozesse, das generative Verhalten der Menschen, die Alterung der Bevölkerung, Bildungs- und Kommunikationsforschung - und auch Koordination und Wirksamkeit von Fiskal- und Steuerpolitik. Schließlich soll Politik sensitiv und frühzeitig Steuerungsoptionen entwickeln und öffentlich zur Diskussion stellen.
Leider laufen diese Felder in dem viele Seiten umfassenden Koalitionsantrag zum 6 Milliarden-Euro-Programm in einem Dreizeiler unter Punkt 15 das ist deutlich unter „ferner liefen“. Im Antrag zum 7. Forschungsrahmenprogramm der EU dagegen wird diesen Feldern ein wenig mehr Raum eingeräumt. Die EU misst diesen Feldern offensichtlich ein größeres Gewicht bei. Lassen Sie mich an dieser Stelle gleich einem Missverständnis vorbeugen: Wir werfen Ihnen Technologielastigkeit nur deshalb vor, weil Sie nicht in vergleichbarem Umfang und Tiefgang die Förderung von Wissenschaft und Forschung in den anderen Disziplinen fordern. Soweit es um technologische Forschung und Entwicklung geht, werden im Bericht der Bundesregierung, in der Regierungserklärung selbst und, mit einigen Abstrichen, in den vorliegenden Anträgen sowohl hinsichtlich der Systematik als auch des Inhalts die wichtigsten Problemkreise erkannt. Das war das wissen Sie so gut wie ich - längst fällig. Im Technologiebericht ist zu lesen „Die Bedingungen für eine dynamische technologische Erneuerung und einen nachhaltigen Strukturwandel in Richtung Wissenswirtschaft müssen deutlich besser werden“.
Es ist auch zu lesen, dass andere Länder bei der Förderung von Bildung und Wissenschaft sowie von Forschung und Technologie seit Jahren deutlich weiter sind. Die aufgeführten Schwerpunkte, die in diesem Bericht bzw. auch in der Regierungserklärung zum Ausdruck gekommen sind, wie die Bio- und Nanotechnologie, Informationstechnologie und Raumfahrt, scheinen uns durchaus richtig gesetzt zu sein. Es wird jedoch eine Binnendifferenzierung innerhalb dieser Felder geben müssen; denn jedes ist in der Breite nicht abzudecken und zu finanzieren Deshalb sagen wir an dieser Stelle: Sich in diesem Zusammenhang auf die Gesundheitsforschung zu konzentrieren, halten wir für richtig. Allerdings sollte sich die Bundesregierung darauf vorbereiten, dass die Forschungsergebnisse aus den Bereichen Medizintechnik, Diagnostik und Therapie Erwartungen wecken werden, deren Erfüllung die Leistungsfähigkeit unseres gegenwärtigen Gesundheitssystems aber bei weitem übersteigen würde. Zu der Förderung der so wichtigen Gesundheitsforschung gibt es leider keinen vergleichbaren Ansatz in der Gesundheitspolitik, der darauf zielt, dass die Anwendung der Forschungsergebnisse allen zugute kommen kann, und zwar unabhängig von der Zahlungsfähigkeit des Einzelnen.
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung will bis 2006 eine ressortübergreifende Strategie zur nationalen Sicherheitsforschung erarbeiten. Das 7. Forschungsrahmenprogramm der EU wird erstmals den Bereich Sicherheitsforschung einschließen. Wir teilen aber ausdrücklich nicht die Position der EU-Kommission, wonach die Trennung zwischen militärischer und ziviler Forschung ein Hemmnis darstellt. Ein europäisches Programm für Sicherheitsforschung ab 2007 sollte keinesfalls dazu dienen, die ohnehin vorhandenen Grauzonen auszuweiten. (Beifall bei der LINKEN) Wir nehmen daher sehr aufmerksam zur Kenntnis, was Sie in Ihren Programmen und in Ihren Anträgen geschrieben haben, nämlich mit dem Sicherheitsforschungsprogramm keine Forschung für unmittelbar militärische Zwecke zu unterstützen. Es bleibt Raum für Interpretationen; das ist mir klar. Aber wir werden am Ende sehen, wie es wirklich aussieht. Dagegen teilen wir vollständig Ihre Zielstellung, dass Forschung zur Konfliktvermeidung und zur Friedenssicherung verstärkt werden muss.
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, alle vorliegenden Berichte und Anträge gehen auf den gravierenden Widerspruch nicht ein, dass durch den Einsatz von Wissenschaft und Forschung in den letzten Jahren auch Tausende von Arbeitsplätzen verloren gegangen sind. Diese destruktiven sozialen Wirkungen müssen ebenfalls zum Gegenstand der Untersuchung, zum Gegenstand unseres politischen Denkens und Handelns gemacht werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Das heißt, es geht auch darum, innovative Wege aus der Massenarbeitslosigkeit zu finden. 6 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung sind ein Anfang, aber nicht die Lösung. Dass in diesem Zusammenhang die kleinen und mittelständischen Unternehmen ins Zentrum Ihrer Politik gerückt werden, halten wir für ausgesprochen wichtig; denn es sind vor allem diese Unternehmen, die die Masse an Ausbildungsplätzen und Arbeitsplätzen zur Verfügung stellen und über eine besondere Innovationsfähigkeit verfügen. Hier besteht ein besonderes Potenzial für die Entwicklung in Ostdeutschland, damit dort innovative und qualitativ hochwertige Arbeitsplätzen entstehen. Das ist eine Strategie gegen Niedriglohnarbeitsplätze.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich will abschließend noch einen Hinweis geben: Es ist dramatisch, was im Bericht zum Bereich Weiterbildung steht; dieses Thema hat schon vorhin eine Rolle gespielt. Darauf werden wir im Rahmen der Haushaltsdebatte zurückkommen müssen. Innovation ist kein Naturereignis, das einfach so über uns kommt. Sie ist ein Prozess, den es zu gestalten gilt, und zwar innovativ in Inhalt, in Form und natürlich in den Ergebnissen. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN)