Meine Damen und Herren!
dass Sie, Frau Ministerin, eine Hightechstrategie vorgelegt haben, ist unbestritten dringend notwendig. Der methodische Ansatz selbst ist nicht neu. Japan hat ihn erstmals in den 50er-Jahren getestet und danach einen gewaltigen wissenschaftlich-technischen Aufstieg genommen. Die Chinesen haben sich des gleichen Ansatzes bedient: Ihre Wirtschaft boomt derzeit ohne Ende.
Der Reichtum intellektueller Ressourcen dieses Landes steht der Knappheit finanzieller Ressourcen des Staates gegenüber. Man muss sich also überlegen, wie man beides in ein optimales Verhältnis zueinander bringt. Aus unserer Sicht muss das mit dem Ziel geschehen, den Nutzen für möglichst viele Menschen zu vergrößern. Ihre Sicht dagegen richtet sich vor allem auf die Kommerzialisierung von Erkenntnissen.
Das heißt, mit Steuergeldern geförderte Forschungsergebnisse werden letztlich privatisiert. Darin liegt der entscheidende Unterschied zwischen Ihrem und unserem Herangehen. Wohlgemerkt: Wir sind nicht gegen die Verwertung des Wissens; aber das ist nicht unsere alleinige Priorität. Nichtsdestotrotz haben Sie sich nun auf der Basis einer Stärken-Schwächen-Analyse vorhandener Potenziale für Förderprioritäten entschieden. Diese Klarstellung macht sicherlich den Hauptverdienst der Hightechstrategie aus.
Es ist ein Anfang gemacht; das ist ja schon einmal etwas. Ich will aber einige Grundprobleme benennen, weil sie wesentlichen Einfluss auf Erfolg oder Misserfolg dieser Strategie haben; das haben Sie selber erwähnt. Erstens. Die EU versucht, Wissenschafts- und Technologieentwicklung sowohl in Inhalt als auch in den Fördermodalitäten zu harmonisieren. Sie betrachtet sich selbst als konkurrierenden Block zu anderen Regionen der Erde. Zeitgleich versuchen alle EU-Länder, sich mittels nationaler Strategien ebenfalls einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Ländern, auch denen der EU, zu verschaffen. Nun haben auch noch die 16 deutschen Bundesländer Innovationsstrategien entwickelt. Dabei ist es kaum gelungen, die Regelungen untereinander zu harmonisieren. Das wird von der Wirtschaft zu Recht kritisiert. Ich komme aus der Region Halle/Leipzig und sehe, dass dort ganz unterschiedliche Regelungen gelten.
Die gegenwärtige Situation bedarf also nicht des Aufbaus von Technoblöcken oder eines Leitmarktes Deutschland, wie Sie es bezeichnen, sondern kooperativer Lösungen, die sich langfristig als zukunftsfähig erweisen werden. Bei Ihrem Ansatz ist immer der Sieg das Ziel. Aber wir alle wissen: Es wird nur wenige Gewinner geben. Das haben wir längst beim Wettbewerb um Industrieansiedlungen erlebt. Auch da hat niemand die Konkurrenzlinie verlassen.
Es werden also weiter Unsummen öffentlicher Gelder im Glauben an Markt und Wettbewerb in Fördertöpfe von Einzelstrategien geworfen, ohne dass man es am Ende auch nur plumpsen hört. Bei der Umsetzung von Erkenntnissen müssen wir uns doch fragen: Was ist gesellschaftlich wirklich sinnvoll? Umgesetzt werden sollte doch das, was vielen Menschen und damit der Gesellschaft als Ganzes Nutzen bringt und eben nicht zu vermarkten ist. Ich will noch einmal daran erinnern: Hier werden Steuergelder eingesetzt. Also sollten doch jene, die diese Steuergelder sozusagen als Absender zahlen, die ersten Adressaten dieser Politik sein. Zweitens. Die Hightechstrategie begleitet inhaltlich die Investitionen in Forschung und Entwicklung.
Bis 2009 - das haben Sie gesagt - sollen 15 Milliarden Euro ausgegeben werden. Sie finanzieren aber genau genommen nur die Basis einer Förderpyramide. Ich meine, damit ist es längst nicht getan. Wir brauchen mehr Förderebenen. Bislang konzentrieren Sie sich vor allem auf die Gründung von innovativen Unternehmen. Dagegen ist nichts einzuwenden; diesem Ziel dienen der Hightechgründerfonds und die Forschungsprämie. Letztere sollte im Übrigen nicht nur für Wissenschaftseinrichtungen, sondern vor allem auch für kleine und mittelständische Unternehmen erreichbar sein. Was meine ich mit „mehr Förderebenen“? Ich meine, dass sich die Förderung eben auch auf die Phasen der Genehmigungen, der Vorserienproduktion, der Produktionsaufnahme und der Markteinführung erstrecken muss. Das ist besonders wichtig für den Osten; denn gerade in diesen Phasen verhungern viele Unternehmen oder sie werden ausgebootet.
Ich will das an einem Beispiel aus meiner Heimatstadt Halle illustrieren. Dort hat ein hochinnovatives junges Unternehmen einen Alzheimerfrüherkennungstest entwickelt. Klinische Studien waren erfolgreich. Jetzt könnte man in die Vorserienproduktion gehen. Bis dahin wäre alles wunderbar, wenn nicht - wie es jetzt geschieht - die öffentliche Förderung ausgesetzt würde. Für mich ist das unfassbar: Wir haben ein solches Unternehmen mit 5 Millionen Euro öffentlich gefördert. Und was passiert? Jetzt wird die Förderung ausgesetzt; die Firma muss Insolvenz anmelden. Nebenbei bemerkt ist Alzheimer zu einer der großen Volkskrankheiten geworden. Heute ist übrigens Weltalzheimertag. Ich glaube, dass man sich solcher Produkte annehmen müsste.
Gerade dieses Produkt wäre eigentlich ein Selbstläufer geworden. Jetzt steht - wie immer in solchen Fällen - ein großer Pharmakonzern auf der Matte und möchte die Lizenz kaufen. Dann sind die Arbeitsplätze und natürlich auch die Investitionen weg. An dieser Stelle werden Sie sicherlich genauso den Kopf schütteln wie ich. Ich fühle mich in diesem Zusammenhang an den MP-3-Player erinnert: hier entwickelt, versilbert in den USA; ganz zu schweigen von den Arbeitsplätzen, die dadurch verloren gegangen sind. Das all dies nach einer umfangreichen Förderung durch Steuergelder passiert ist, ist unverantwortlich. Die Hightechstrategie wird auch von einer Kontroverse um einzelne technologische Innovationen begleitet.
Es ist völlig klar: Innovationen kann man nicht grundsätzlich ablehnen. Aber man muss darüber streiten, welche Auswirkungen die Innovationen haben. Dass man sich an dieser Stelle nicht mit 17 Hightechstrategien im Einzelnen auseinander setzen kann, ist ganz klar. Ich finde Ihren Ansatz aber durchaus methodisch interessant. Stärken, Chancen, Schwächen und Herausforderungen zu definieren, macht die Sache transparenter. Dadurch könnten das Parlament und die Öffentlichkeit besser beteiligt werden. Die von Ihnen eingerichteten Innovationskreise sind ein interessantes Instrument, aber dienen zunächst einmal Ihrer eigenen Beratung; sie wenden sich nicht in erster Linie an die Öffentlichkeit.
Bei der Hightechstrategie geht es um Zukunftsfragen. Das heißt, dass noch vieles konkretisiert werden muss. Es ist auch notwendig, einen gesellschaftlichen Dialog darüber zu führen, was letzten Endes gefördert werden soll. Ich möchte auf einige ausgewählte Themen näher eingehen: Erstens. Geförderte Projekte wie Galileo, Artes-11, Ariane 5, ISS und Rapid Eye sind von erheblichem zivilen Nutzen. Sie können aber auch militärisch genutzt werden. Diese fließenden Grenzen sehen wir im Übrigen auch im Bereich der Sicherheitsforschung; Herr Röspel hat es bereits erwähnt. Deshalb fordern wir an dieser Stelle größtmögliche Transparenz in der Umsetzung. Zweitens. Ich sehe in der elektronischen Gesundheitskarte keinen Leuchtturm für die Hightechstrategie. Dabei leuchten höchstens die Augen von Krankheitsverwaltern. In den Mittelpunkt gehören Projekte der Altersforschung, der medizinischen Betreuung von Schwerstkranken und der Hospizforschung. Unsere Gesellschaft altert. Darauf brauchen wir menschenwürdige Antworten.
Das Thema ist es wohl wert, an vorderster Stelle in eine Hightechstrategie aufgenommen zu werden. Drittens. Unter dem Titel „Nukleare Sicherheits- und Endlagerforschung stärken“ ist deutlich erkennbar, was man sich offen hält: die Revision des Atomausstiegs. Sie haben in diesem Zusammenhang butterweiche Formulierungen gewählt und versuchen in dieser Frage ganz offensichtlich, die große Koalition zu überwintern, um dann neue Blüten zu treiben. Viertens. Im Teil „Neue Wege in Landwirtschaft und Industrie“ wird versucht, der Grünen Gentechnik zu neuer Akzeptanz zu verhelfen. Über den Wechsel von der Nahrungsmittel- hin zur Rohstoff- und Energielieferantenschiene soll diese neue Akzeptanz aufgebaut werden. Selbst wenn man - wie ich - für einen differenzierten Umgang mit der Grünen Gentechnik plädiert, muss man anerkennen, dass auch mehr Akzeptanz an dem Grundproblem der Anwendung Grüner Gentechnik letztlich nichts ändert. Fünftens. Ich halte den von Ihnen gewählten Ansatz in der Nanotechnologie für tragfähig. Die angestrebte Begleit- bzw. Anwendungsforschung greift nach meinem Empfinden aber zu spät. Es ist eine so sensible Hochtechnologie, dass meiner Meinung nach in diesem Bereich vor allem Voraussetzungsforschung betrieben werden muss, um letztlich verantwortlich entscheiden zu können, welche Entwicklungen in diesem Bereich gefördert werden sollen und welche nicht. Sechstens. Wenn in Zukunft über Internet nicht mehr nur Daten abgerufen, sondern auch Geräte direkt erreicht werden können, stellt sich die Frage nach informationeller Selbstbestimmung und Datensicherheit in einer völlig neuen Qualität. Immerhin eröffnen sich Möglichkeiten der lückenlosen Erfassung menschlicher Bewegung und Aktivitäten. Daher kann es bei diesen Anwendungspotenzialen nicht nur um Forschungsförderung gehen.
Gleichermaßen haben wir zu ergründen, wie man unzulässigen Zu- und Eingriff in die Privatsphäre der Menschen verhindern kann. Ich weiß, dass diese Stichpunkte nur fragmentarisch sind. Niemand kann hier auf Vollständigkeit plädieren. Die vorgelegte Hightechstrategie ist für mich ohnehin nur Auftakt für weitere Diskussionen. Ohne solche Diskussionen besteht das Risiko einer Fehlauswahl. Wenn wir falsch auswählen, nährt man damit am Ende unter Umständen Wissenschaftsskepsis und Wissenschaftsfeindlichkeit. Ich glaube, das kann nicht in unserem Interesse sein. Im Interesse der Menschen muss am Ende mehr Lebensqualität erreicht werden. Die Hightechstrategie sollte demzufolge wesentliche Inspiration aus der Frage gewinnen, wie sich Menschen die zukünftige Gesellschaft vorstellen. Wenn es sich lohnt, eine Sache zu machen, dann lohnt es sich auch, sie gut zu machen.