Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung - Erster Fortschrittsbericht zur Hightechstrategie für Deutschland
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Professor Schellnhuber, Umweltpreisträger, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und Klimaberater der Kanzlerin, ist bekanntlich ein Mann klarer Worte. Auch das 21. Jahrhundert, sagte er unlängst, werde ein Jahrhundert der Wissenschaft. Aber die Wissenschaft trete quasi aus der Begleitung von Dialogen heraus. Sie müsse sich mit der Politik auf Augenhöhe treffen und ernst genommen werden. Gemeinsam müsse man die sogenannten Megathemen identifizieren, und dann müsse man alle Kräfte und Ressourcen bündeln und interdisziplinär an Lösungen arbeiten. Ich denke, an diesem Anspruch muss sich auch die Hightechstrategie der Bundesregierung messen lassen. Immerhin geht es um Entscheidungen für Jahrzehnte.
(Beifall bei der LINKEN)
Das bedeutet: Zwischen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft muss ein Netz gespannt werden. Wie ist das Netzwerk der Hightechstrategie derzeit geflochten? Sie, Frau Ministerin - das wurde schon erwähnt -, haben strategische Partnerschaften geknüpft. Wichtigstes Gremium ist die Forschungsunion, deren Mitglieder im Wesentlichen aus Wissenschaft und Wirtschaft kommen. Nicht ganz eindeutig lässt sich der Kollege Huber von der IG Metall zuordnen.
(Jörg Tauss [SPD]: Was?)
Sie als Ministerin vertreten sozusagen die Politik. Vertreter der gesellschaftlichen Öffentlichkeit sucht man hingegen vergebens, und das Parlament hatte zu keinem Zeitpunkt eine reale Chance, Einfluss auf die Gestaltung der Hightechstrategie zu nehmen.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Maschen dieses Netzes sind also nur zwischen Wissenschaft und Wirtschaft eng und wei-ten sich zur Politik deutlich. Zur Gesellschaft gibt es im Grunde genommen nur eine Masche; diese Masche kann man durchaus auch als Loch bezeichnen. Das betrachtet die Linke als gravierenden Webfehler. Wir kritisieren diesen Ansatz auch, weil durch ihn vor allem exportfähige Technologien mit Steuergeldern in Milliardenhöhe gepusht und kommerzialisiert werden. Sie, Frau Ministerin, fragen nicht: Welche Innovationen werden für die Lösung globaler Probleme wirklich benö-tigt? Welchen Maßstab haben wir eigentlich? Unser Maßstab sind Leitperspektiven, die sich aus der Zukunftsforschung ableiten lassen. Dazu gehören die Verbesserung der Lebensqualität, die Sicherung von wissenschaftlichen Entwicklungen und von Beschäftigung, die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und der Naturressourcen, die Sicherung von sozialer Gerechtigkeit und von Chancengleichheit, die Förderung der kulturellen Eigenentwicklung und der Vielfalt von Gruppen und Lebensgemeinschaften, die Förderung von menschendienlichen Technologien
(Beifall bei der LINKEN)
und die Verhinderung superriskanter Techniken und irreversibler Umweltzerstörungen. Diese Ziele sind in der Hightechstrategie nur fragmentarisch zu finden. Wir kritisieren die Hightechstrategie auch, weil sie mit dieser Einseitigkeit zur Einengung von Forschungsfreiheit führt,
(Jörg Tauss [SPD]: Was?)
und zwar auf eine ganz andere Weise, als bisher diskutiert wurde. Die Forschung wird nämlich im Wesentlichen auf innovative Dienstleistungen für die Wirtschaft reduziert. Das haben die Väter des Grundgesetzes ganz bestimmt nicht im Auge gehabt, als sie die Forschungsfreiheit in das Grundgesetz aufgenommen haben.
(Beifall bei der LINKEN - Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Die Mütter des Grundgesetzes auch nicht!)
- Selbstverständlich, die Mütter auch nicht. Ich glaube aber, damals war gar keine Frau dabei.
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Drei Frauen waren dabei! - Jörg Tauss [SPD]: Oh doch!)
- Ach so. Hier lasse ich mich gerne belehren. Die Linke kritisiert des Weiteren, dass Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften lediglich Akzeptanzforschung zur Einführung strittiger Technologien, etwa im Sicherheits-, Nano- oder Biotechnologiebereich, betreiben sollen. Es geht aber nicht nur darum, der Gesellschaft zu erklären, worin diese Technologien bestehen, sondern es geht auch darum, zu untersuchen, was sie bewirken. Wir haben gemeinsam zu entscheiden, ob wir diese Technologien haben wollen.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir kritisieren die Hightechstrategie auch, weil die kleinen und mittelständischen Unternehmen, die insbesondere in Ostdeutschland die eigentlichen Innovationstreiber sind, weiterhin ein hohes Geschäftsrisiko tragen müssen. Sie erhalten weit weniger Fördergelder als Großkonzerne, obwohl sie weit mehr Arbeitsplätze schaffen. Zudem wird der Zugang der kleinen und mittelständischen Unternehmen durch die Initiative ”KMU-innovativ” auf nur fünf Tech-nologiefelder begrenzt. Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen.
(Beifall bei der LINKEN)
Jetzt möchte ich an die Ausführungen von Herrn Röspel anknüpfen. Bei einigen Strategie- und Programmlinien fragt man sich wirklich: Wieso werfen wir hier noch Förder- bzw. Steuergelder hinterher? Das gilt beispielsweise für das Luftfahrtforschungsprogramm IV. Die deutsche Luftfahrtindustrie jammert, sie habe kein Geld zur Entwicklung emissionsarmer Triebwerke. Sie macht aber seit Jahren Rekordgewinne. Das gleiche Bild zeigt sich bei der Pharmainitiative. Die Pharmabranche ist bekanntermaßen extrem renditestark. Die Nutznießer der Strategielinie ”IKT 2020” zur Erforschung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien sind letztlich Konzerne der Branchen Automobilbau, Gesundheitstechnik, Maschinenbau und Softwareentwicklung. Die Linke fordert, diese Strategielinie so auszurichten, dass das Internet als Informations- und Wissensplattform viel mehr Menschen zugänglich gemacht wird.
(Beifall bei der LINKEN)
Als ich Ihren Bericht gelesen habe, ist mir an einer Stelle fast nichts mehr eingefallen. Ich habe mich gefragt: Wieso müssen wir diesen Bereich fördern? Es wird nämlich Fördergeld in Forschungen zur Ablösung von Ölplattformen und zur Entwicklung submariner Fördertechnologien gesteckt. Man muss sich einmal fragen: Haben die Ölkonzerne dieser Welt in den letzten Jahren nicht wirklich Milliarden und Abermilliarden an Rekordgewinnen erzielt? Diskutieren wir nicht gerade darüber, dass der Preis für Superbenzin bald auf 1,50 Euro und der Preis für Diesel bald auf 1,40 Euro pro Liter steigen könnte? Diesen Bereich unterstützen wir tatsächlich mit öffentlichen Geldern! Wie Sie sehen, regt mich das auf.
(Beifall bei der LINKEN)
Die erneuerbaren Energien werden hingegen mit nur 77,5 Millionen Euro gefördert; das halte ich für einen gravierenden Fehler. Die Bundesregierung macht sich mit Ihrer Hightechstrategie, genauso wie bei der Steuerpolitik, zur Lobbyistin der Interessen großer Unternehmen. Damit nicht genug, Frau Ministerin: Sie schaffen künstlich Märkte, indem Sie Nachfrage durch öffentliche Behörden versprechen. Das gehört bestimmt nicht zu den Kernaufgaben des Staates. - Eigentlich müssten mir die Liberalen jetzt zustimmen.
(Beifall bei der LINKEN)
Diese Hightechstrategie muss insgesamt einen Beitrag zur innovativen Lösung komplexer globaler Widersprüche leisten. Hier schließt sich der Kreis zu Professor Schellnhuber. Technologische Innovation, sagt er nämlich weiter, reicht nicht - wir brauchen auch einen Mentalitätswandel im Verbraucherverhalten. Das heißt, Hochtechnologien sind gleichberechtigt vor dem Hintergrund sozialer, ökonomischer, ökologischer und kultureller Innovationen zu entwickeln. Vielleicht hört ja die Kanzlerin und vielleicht hören auch Sie, Frau Ministerin, tatsächlich auf den Klimaberater.
Danke schön. (Beifall bei der LINKEN)