Zum Hauptinhalt springen

Hat der Bundesfinanzminister vorher gewusst, dass die HRE pleite ist?

Archiv Linksfraktion - Rede von Gregor Gysi,

Rede zum Antrag der Fraktion zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses im Fall HRE.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Es geht um die Bildung eines Untersuchungsausschusses, den die Regierung deshalb nicht zu fürchten scheint, weil sie sich darauf verlässt, dass es dafür keine Mehrheit gibt, was ich für völlig daneben hielte. Ich will versuchen, Ihnen dies zu erklären.

Dieses Parlament hat die Verantwortung für die Steuergelder, und zwar nach dem Grundgesetz eine höhere Verantwortung als die Bundesregierung. Dieses Parlament trifft regelmäßig Entscheidungen, Steuergelder für Privatbanken auszugeben, in verschiedener Form, in verschiedener Hinsicht, aber es ist nicht bereit, zu kontrollieren, was daraus wird und was damit geschieht und wie die Umstände sind. Wir wissen hier weniger als ein kleiner Beamter im Bundesfinanzministerium, und das ist nicht hinnehmbar.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos) und des Abg. Dr. Volker Wissing (FDP))

Ich füge hinzu, dass es Umstände gibt, die dringend einer Klärung bedürfen.
Ich beginne einmal mit Beispielen, die gar nicht Gegenstand des Untersuchungsausschusses werden sollen, um Ihre Aufmerksamkeit darauf zu richten. Wir haben hier darüber gesprochen und beschlossen, dass die IKB eine finanzielle Unterstützung bekommt. Oskar Lafontaine hat vorhin gesagt, dass sie gar nicht nötig gewesen wäre, weil man das auch anders hätte machen können. Aber okay, nun ist es ja beschlossen worden.

Wie sah es aus? Dem Bund gehörten 38 Prozent an der IKB. Es wurde ein Betrag von 9,2 Milliarden Euro bereitgestellt. Ich bitte Sie! Wenn hier manchmal um 1 Million gestritten wird, dann hat man keine Chance, aber diese 9,2 Milliarden wurden zur Verfügung gestellt. Dann aber wurde die Industriekreditbank für 150 Millionen Euro verkauft, und zwar, um es mit Müntefering zu sagen, an eine Heuschrecke. Ist es wahr, dass von den 150 Millionen Euro der Bund nur 38 Prozent bekommen hat, weil er nur zu 38 Prozent Eigentümer war, und den Rest die Privaten erhalten haben? Allerdings haben die Privaten von den 9,2 Milliarden Euro für die Schuldentilgung nicht einen halben Euro zur Verfügung gestellt; da waren sie plötzlich nicht zuständig. Das ist ein klassisches Beispiel dafür, wie es nicht geht. Aber ich will auch das alles einmal dahingestellt sein lassen.

Nun habe ich den Staatssekretär im Bundesfinanzministerium gefragt: Bekommen wir das Geld wieder, wenn die Heuschrecke wieder Gewinne macht? Darauf hat er gesagt: Nein, da bekommen wir nie etwas wieder. - Ich sage Ihnen klipp und klar: Das ist für mich ein schwerer Fall von Untreue; das ist nicht hinnehmbar.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Was klären wir eigentlich diesbezüglich auf? Wir klären nichts auf; wir lassen das einfach so stehen.

Nehmen wir die Commerzbank. Für die Commerzbank haben wir einen Betrag von 18,2 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Das war der höchste Betrag, der bis dahin in der Weltgeschichte von einem Staat für eine Privatbank zur Verfügung gestellt wurde. Inzwischen hat die HRE allerdings alles getoppt. Wie viel gehört uns von der Commerzbank, die noch einen Börsenwert von 3 Milliarden Euro hatte? Wir haben die Commerzbank quasi sechsmal bezahlt, aber uns gehört nur eine stille Beteiligung - der Bund muss also auch noch den Mund halten und darf bei den Geschäften nicht mitreden - von 25 Prozent. Das heißt, die Schulden übernehmen die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler allein, aber wenn später Gewinne fließen, bekommen sie nur ein Viertel, während drei Viertel privat sind. Das ist nicht mehr nachzuvollziehen. Wo bleibt da die Kontrolle durch das Parlament?

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Nun kommen wir zur HRE. Über die HRE ist schon beim vorhergehenden Tagesordnungspunkt viel gesprochen worden; ich muss das hier nicht wiederholen. Eins ist allerdings nicht besprochen worden, und da hätte ich gerne Klarheit von Ihnen. Dazu gibt es auch einen Antrag des Landes Berlin, und ich bin gespannt, wie Sie sich dazu verhalten werden. Ich meine die Reprivatisierung. Sie haben so viel Angst vor der Verstaatlichung, also der Umsetzung des betreffenden Artikels des Grundgesetzes, dass Sie im Gesetz gleich die Reprivatisierung regeln. Interessant ist, was da geregelt ist. Da steht: Wenn dieses Unternehmen nachhaltig stabilisiert ist, muss es wieder reprivatisiert werden. Dafür wünsche ich mir folgende Bedingung: Die Reprivatisierung darf frühestens dann stattfinden, wenn sämtliche geflossenen Steuergelder einschließlich der Zinsen wieder an den Bund zurückgeflossen sind. Das ist doch wohl das Mindeste.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Warum formulieren Sie nicht diese Bedingung? Meinetwegen kann das ja auch über die Erlöse durch die Reprivatisierung realisiert werden. Aber das muss doch eine Bedingung sein!

Ich befürchte, da Sie diese Bedingung nicht formulieren, dass Folgendes herauskommt: Vielleicht fließt die Hälfte oder ein Viertel des Geldes durch Gewinnbeteiligung oder Reprivatisierung zurück; aber mit der Privatisierung werden die Gewinne wieder privatisiert und werden in den Händen weniger Reicher landen, obwohl die Schulden zum größten Teil von den Bürgerinnen und Bürgern bezahlt worden sind.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Nun kommt bei der HRE noch eins hinzu. Das ist ein Umstand, der der Aufklärung bedarf. Die HRE war früher Teil der bayerischen HypoVereinsbank. Man muss den Managern lassen, dass sie damals durchaus schlau waren. Sie haben sich vor fünf Jahren von der HRE getrennt. Wenn ich das richtig deute, haben sie alle toxischen Papiere, also alles, was faul war und nichts bringt, gönnerhaft auf die HRE übertragen und den Rest selber behalten. Sie werden sich gesagt haben: Wenn die HRE pleitegeht, bezahlt das sicher der Staat, mit anderen Worten: die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, und wir haben nichts mehr damit zu tun. - Nun hatte aber der Gesetzgeber festgelegt: Eine Mutter haftet fünf Jahre für alle Schulden, die bei der Tochter später entstehen. Einen Tag nach Ablauf dieser Frist sagt uns der Bundesfinanzminister, dass die Hypo Real Estate pleite ist. Da muss doch das Parlament der Frage nachgehen, ob er das nicht schon vorher gewusst hat, welche Informationen es gegeben hat und ob es grobe Fahrlässigkeit oder sogar Vorsatz war, dass man die bayerische HypoVereinsbank aus ihrer Verpflichtung entlassen hat! Das bedarf doch wohl der Aufklärung, bevor Sie hier Millionen und Milliarden an Steuergeldern zur Verfügung stellen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Deshalb stellen wir den Antrag. Jetzt kommt das Argument, die Legislaturperiode sei zu kurz. Das ist völlig falsch. Wir haben die Fragen so einfach formuliert, dass sie in kürzester Zeit aufzuklären sind.

(Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Richtig! Das schaffen wir!)

Wir wissen, dass wir jetzt keinen Untersuchungsausschuss einsetzen können, der für seine Arbeit drei Jahre braucht. Aber das haben wir beachtet. Deshalb ist das weder für die Grünen noch für die FDP ein Argument, Nein zu sagen.

(Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Auch für die SPD übrigens nicht!)

Es gibt übrigens noch eine interessante Frage, die wir in unserem Antrag gestellt haben. Die Bankenaufsicht hat schon vor über einem Jahr, im Jahre 2007, angemahnt, dass die Hypo Real Estate anders kontrolliert werden solle. Warum hat das Bundesfinanzministerium darauf nicht reagiert? Warum gab es keine Entscheidung?

(Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Gute Frage!)

Das sind doch Fragen, die man einmal stellen darf.

Das zweite Argument dagegen - neben der Kürze der Zeit - lautet, dass wir ja ein Finanzmarktgremium haben, das geheim tagt und alle Informationen erhält.

(Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Wunderbar!)

Ich habe unser Mitglied gefragt. Zur IKB haben sie gar nichts erfahren. Bei der Commerzbank gab es alle Informationen, die wir auch schon in den Zeitungen gelesen haben.

Abgesehen davon finde ich die Herangehensweise auch völlig falsch. Wieso muss das in einem Geheimgremium behandelt werden? Ich bitte Sie: Das sind Gelder von Millionen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern. Es geht sie doch wohl etwas an, was daraus wird. Da kann man doch nicht sagen, dass es einen kleinen geheimen Ausschuss gibt, der darüber informiert wird.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Deshalb meine ich, dass wir diesen Untersuchungsausschuss benötigen.

Ich will an Sie appellieren: Wenn wir ein Stück Glaubwürdigkeit auch der Politik in der Öffentlichkeit wiederherstellen wollen, dann können solche Fragen nicht unbeantwortet im Raum stehen bleiben. Ich sage gar nicht, dass Herr Steinbrück das schon einen Tag vorher gewusst hat, obwohl die Vermutung naheliegt. Aber ich sage klar: Es bedarf der Aufklärung.

(Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Richtig!

Wenn herauskommt, dass das Bundesfinanzministerium schon längere Zeit vorher informiert war und den Ablauf der Frist abgewartet hat, dann ist das sogar strafrechtlich relevant. Das wäre ein ungeheurer Skandal, und zwar zum Nachteil der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Eigentlich müsste die Regierung beantragen, den Untersuchungsausschuss zu bilden, wenn sie denn das Gefühl hätte, dass sie dadurch rehabilitiert werden könnte.

(Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Ja!)

Mich macht Ihre Weigerung mehr als stutzig.

Ich will jetzt noch etwas zu den Grünen und zur FDP sagen. Es ist heute ja schon gesagt worden, dass Sie Zeit zum Nachdenken haben wollen. Zeit haben wir aber nicht mehr. Die Legislaturperiode ist begrenzt. Wir müssen das schnell entscheiden. Sie haben ja noch Zeit bis zur zweiten Lesung.

(Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eben!)

Wir werden versuchen, das in den Ausschüssen schnell zu behandeln. Ich greife Sie heute auch nicht so stark an, weil ich ja noch Ihre Zustimmung gewinnen will.

(Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das hätten Sie anders machen müssen, Herr Kollege!)

- Kommen Sie mir jetzt nicht mit Formfehlern und damit, dass ich Sie schon einen Sonntag vorher hätte anrufen müssen. Seien Sie nicht so pingelig! Es geht hier um die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland und nicht um Ihre komischen eitlen Gefühle. Das muss ich hier auch einmal klipp und klar sagen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Lassen Sie mich noch eines sagen: Wenn Sie das nicht tun, dann setzen Sie sich selber dem Verdacht aus, dass das mit den Spenden zu tun hat, die Oskar Lafontaine gerade zitiert hat.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Damit würden sie nämlich sagen, dass Sie sich eine Aufklärung bei den Banken nicht mehr trauen, weil dann die Spenden ausbleiben.

Ich sage Ihnen: Ich bin gar nicht gegen Staatsgelder für die Parteien. Ich weiß, dass das in der Bevölkerung auch umstritten ist. Sie sind mir aber lieber als Ihre Spenden von den Banken und von der Allianz. Das macht Sie abhängig, und das müssen wir überwinden.

Zeigen Sie jetzt, dass Sie nicht abhängig sind, indem Sie der Einrichtung des Untersuchungsausschusses zustimmen!

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))