Zum Hauptinhalt springen

Gute Verhältnisse für alle statt Förderung von wenigen Handverlesenen

Archiv Linksfraktion - Rede von Nicole Gohlke,

Nicole Gohlke (DIE LINKE):
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Kolleginnen und Kollegen! Es ist oft schade, dass die öffentliche Aufmerksamkeit für Bundestagsdebatten am Freitagnachmittag eher gering ist. Heute passt die geringe Aufmerksamkeit allerdings ganz gut zum ebenfalls sehr geringen Beitrag, den das Deutschlandstipendium zur individuellen Studienförderung leistet.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Mit nicht einmal 1 Prozent geförderten Studierenden ist das Deutschlandstipendium das Programm, das am stärksten an den Bedürfnissen der Studierenden vorbeigeht. Deswegen fordert die Linke, diesen Rohrkrepierer nach fünf Jahren Probezeit endlich wieder einzustellen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wie ein trotziges Kind gesteht die Bundesregierung das Scheitern ihres Eliteprojekts nicht ein. Sie versucht wirklich verzweifelt, die Sache schönzureden. Die Erklärung dafür ist einfach: Sie wollen mit dem Deutschlandstipendium eine neue Form der Studienfinanzierung durchdrücken, und zwar eine Elitenförderung auf Kosten der Breite.

(Uwe Schummer [CDU/CSU]: Wer hat Ihnen das denn aufgeschrieben? – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Diese elitäre und unsoziale Politik ist Ihnen offenbar so wichtig, dass Sie nicht einmal den offensichtlichen Misserfolg Ihres Bildungsprojektes wahrnehmen. Ich empfehle ein wenig mehr klaren Kopf und Urteilsvermögen. Das wäre besser als so viel ideologische Verblendung.

(Beifall bei der LINKEN – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Lachhaft! Ideologie, Ideologie!)

Auch nach fünf Jahren sind die Fakten, wie sie waren: Nicht einmal 1 Prozent der Studierenden wird mit dem Deutschlandstipendium gefördert. Die Bundesregierung bewegt sich noch nicht einmal mehr in Richtung der ursprünglich geplanten Gefördertenquote von 8 bis 10 Prozent.

Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollegin Gohlke, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Feist?

Nicole Gohlke (DIE LINKE):
Ja, selbstverständlich.

Dr. Thomas Feist (CDU/CSU):
Recht vielen Dank, Frau Kollegin. – Weil Sie das so pointiert vorgetragen haben,

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt!)

fühle ich mich jetzt doch bemüßigt, eine Zwischenfrage zu stellen. Sie haben gesagt, die Zahl der über das Deutschlandstipendium geförderten Studierenden sei viel zu gering. Deshalb meine Frage: Was ist Ihr persönlicher Beitrag zur Förderung eines Studenten oder einer Studentin mit einem Deutschlandstipendium?

Nicole Gohlke (DIE LINKE):
Meine Aussage war, dass das Deutschlandstipendium offensichtlich kein Instrument zur individuellen Studienförderung ist, weil es nicht einmal 1 Prozent der Studierenden erreicht.

(Uwe Schummer [CDU/CSU]: Helfen Sie doch mit!)

Das habe ich gesagt. Ich habe nicht gesagt, dass die Zahl zu gering ist. Ich habe gesagt, es erreicht kaum Studierende. Das hat sich auch nach fünf Jahren Probezeit, in der Sie sich mit diesem Programm abmühen, nicht verändert. Ich denke, daraus könnte man politische Schlüsse ziehen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sollte man!)

Ich habe mich bei den Hochschulen genau kundig gemacht. Am Mittwochabend erst war ich übrigens in Leipzig. Die Hochschulen bezeichnen das ganze Verfahren nach wie vor als eine Belastung. Es ist eine Belastung, Stipendiengeber zu finden und die Auswahlverfahren durchzuführen.

(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Gerade in Leipzig nicht! – Veronika Bellmann [CDU/CSU]: Mit wem haben Sie denn gesprochen?)

Und der Bundesrechnungshof kritisiert das Deutschlandstipendium immer wieder wegen ausufernder Verwaltungskosten und der Verschwendung von Steuergeldern.
Die 300 Euro, die monatlich einkommensunabhängig an wenige, an sehr wenige vergeben werden, sind nicht bedarfsdeckend. Das bedeutet, sie werden überwiegend zur Aufstockung des viel zu geringen BAföG genutzt. Deswegen sagen wir als Linke klar: Erhöhen Sie endlich das BAföG,

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Das haben wir doch gerade erst gemacht!)

und zwar so, dass Studierende damit über die Runden kommen und gut studieren können, anstatt neue, untaugliche Förderinstrumente einzuführen.
Dazu kommt, dass das Deutschlandstipendium überhaupt nicht zur Planungssicherheit beiträgt. Denn nach einem Jahr wird geprüft, ob die Stipendiatinnen und Stipendiaten immer noch förderwürdig genug sind, und die Stipendiengeber entscheiden neu, ob die Förderung überhaupt aufrechterhalten werden soll oder nicht. Auch hier sage ich: Stärken Sie lieber das BAföG

(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Das haben wir gemacht!)


– das beinhaltet einen Rechtsanspruch auf Studienförderung –, anstatt mit dem Deutschlandstipendium Unsicherheit und Willkür zu erzeugen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie reden immer so gerne von den angeblich besonders leistungsstarken und begabten Studierenden, die Sie mit dem Stipendium zusätzlich belohnen wollen. Ich glaube, ehrlich gesagt, Sie operieren mit einem ziemlich antiquierten Begriff von Begabung und Leistung.

(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Sie glauben nur! Sie wissen nicht! Das ist das Problem!)

Der Begriff der Leistungsstärke oder der Begabung hat wirklich null Erklärungskraft. Er sagt etwas über Leistungsunterschiede zwischen Menschen aus, die man vielleicht beobachten kann, aber er sagt eben nichts über die gesellschaftlichen Umstände aus, die diese Unterschiede erst hervorbringen und beeinflussen. Genau auf diese gesellschaftlichen Umstände müsste man aber das politische Augenmerk legen, zum Beispiel auf die Fragen: Wie dick ist der Geldbeutel der Eltern? In welchem Viertel ist jemand aufgewachsen? Welche Schule wurde besucht? Mit welchen Schwierigkeiten hatte man oder frau zu kämpfen?

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Völlig realitätsverweigernd!)

Es wundert mich auch nicht, dass der Begabungsbegriff, so wie Sie ihn verwenden, bei denjenigen besonders beliebt ist, die am Ende die Zahl der Geförderten einschränken wollen. Der Begriff soll am Ende dafür herhalten, zu rechtfertigen, warum man nicht alle gleichermaßen gut fördert, sondern nur die wenigen, bei denen es sich lohnt. Genau das ist das Problem mit dieser Bundesregierung. Statt sich darum zu kümmern, Bildungsdiskriminierung abzubauen, beschäftigen Sie sich mit der Förderung der wenigen, der vermeintlichen Elite, und zementieren so die Spaltung der Gesellschaft.

(Beifall bei der LINKEN – Uwe Schummer [CDU/CSU]: Sie reden Kraut und Rüben!)

Ihr Deutschlandstipendium hat nicht einen jungen Menschen zusätzlich an die Hochschule gebracht. Es hat nicht einem Menschen aus einer armen Familie oder aus einem nichtakademischen Elternhaus eine neue Perspektive eröffnet.

(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Quatsch! – Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Völliger Unsinn!)

Das aber könnte das BAföG,


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

wenn die Bundesregierung es endlich wieder zu einer Förderung machen würde, die zum Leben und Studieren reicht und mit der man sich am Ende des Studiums auch nicht verschulden muss. Also erhöhen Sie endlich die BAföG-Freibeträge und -Bedarfssätze um 10 Prozent, und schaffen Sie den Darlehensteil ab.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Regierung geht es ganz offenbar ums Prinzip, um das Prinzip von Auslese und Elite. Uns geht es auch ums Prinzip, um die Prinzipien von Chancengleichheit, Rechtssicherheit und vom aktiven Ausgleich von Benachteiligungen. Treten Sie das Deutschlandstipendium in die Tonne, und widmen Sie sich wieder einmal Projekten mit Zukunft.
Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)