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Gesine Lötzsch: Menschen in prekären Arbeits- und Wohnverhältnissen besonders schützen

Archiv Linksfraktion - Rede von Gesine Lötzsch,

Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Coronakrise wird überdeutlich: Seit Jahren ist das Gesundheitswesen auf Profit getrimmt worden. Das hat fatale Auswirkungen auf die Krankenhäuser. Das muss sich endlich ändern.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich kann mich noch gut an das Jahr 2003 erinnern: SPD, Grüne und Union haben gegen unsere Stimmen die Gesundheitsreform durchgedrückt. Ihre Grundidee war, ein Krankenhaus wie eine Schraubenfabrik auf Profit zu orientieren. Damals wurden die neoliberalen Fallpauschalen eingeführt. So, wie jede Schraube einen Preis hat, hat jetzt jede Krankheit ihren Preis. Was ist das Ergebnis? Die Krankenhäuser werden gezwungen, mit möglichst wenig Personal möglichst hohe Fallzahlen zu erzielen. Das ist der falsche Weg, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir fordern also die Abschaffung der neoliberalen Fallpauschalen. Die Pauschalen haben zur massenhaften Privatisierung von öffentlichen Krankenhäusern und zum Abbau von Personal geführt. Allein in den zehn Jahren von 2000 bis 2010 stieg die Anzahl der privaten Allgemeinkliniken um 30 Prozent, von 440 auf 575. Mittlerweile werden mehr Krankenhäuser privat als öffentlich geführt. Wir sagen: Krankenhäuser gehören in öffentliche Trägerschaft.

(Beifall bei der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist öffentliche Daseinsvorsorge, genau!)

Mit der Einführung der Fallpauschalen wurden auch innerhalb von nur vier Jahren 33 000 Vollzeitstellen im Pflegebereich abgebaut. Die verbliebenen Pflegerinnen und Pfleger müssen diese Fehlentwicklungen jetzt bitter ausbaden. Den Pflegerinnen und Pflegern gebühren nicht nur unsere Hochachtung und unser Dank, sondern endlich auch eine Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen und eine angemessene Bezahlung, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Minister Olaf Scholz sprach am Dienstag vom „Goldstandard“, den wir in Deutschland angeblich hätten. Ich sage: Da wäre etwas mehr Bescheidenheit angebracht. Schauen wir nur mal unser Nachbarland Dänemark an: Um bei der Pflege auf das Niveau von Dänemark zu kommen, müssten wir zusätzlich 265 900 Vollzeitkräfte einstellen. Das wäre gut für unser Gesundheitssystem, das wäre gut für die Menschen in unserem Land.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Laufe dieser Woche wurde immer wieder gesagt: „Jetzt kommt es auf das Verhalten jedes Einzelnen an“, und dabei wurde immer auf den Privatbereich verwiesen. Das ist natürlich nicht grundsätzlich falsch, aber wir dürfen die Bedingungen in der Arbeitswelt nicht ausblenden. Darüber müssen wir grundsätzlich reden.

(Beifall bei der LINKEN)

Denn Ansteckung ist eben nicht nur eine Folge persönlichen Fehlverhaltens. Das ist übrigens eine Schuldzuweisung, die gar kein Problem löst. Über Homeoffice wird jetzt viel diskutiert. Doch erklären Sie einmal: Wie soll ein Verkäufer, eine Busfahrerin oder ein Pfleger Homeoffice machen? Die fühlen sich doch veralbert!

(Beifall bei der LINKEN)

Warum, frage ich die Union, haben Sie erst nach monatelangem Gezerre den Weg für das Arbeitsschutzkontrollgesetz frei gemacht? Warum sind die unhaltbaren Zustände in den Schlachthöfen nicht schon längst beendet worden? Das ist eine Frage des Menschenbildes, der Menschenwürde und der Ethik. Ich sage: Am Tag der Menschenrechte müssen wir auch über Menschenrechte in der Arbeitswelt sprechen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da hat die CDU voll versagt!)

Es ist gut, dass bald ein Impfstoff gegen Covid-19 zur Verfügung steht. Auch ich freue mich darüber, dass dieser Impfstoff hier entwickelt wurde. Aber diese Entwicklung wurde nur möglich, weil die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler einen großen Teil der Forschung finanziert haben und der Staat den Impfstoff von Konzernen wie Pfizer aufkaufen wird. Weil die Öffentlichkeit das finanziert hat, müssen wir auch über eine gerechte Verteilung des Impfstoffs diskutieren. Jan Korte hat namens unserer Fraktion für die kommende Woche dazu eine Debatte angeregt. Die sollten wir unbedingt führen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir müssen auch über den Zusammenhang von Armut und Krankheit sprechen. Arme Menschen werden eher krank und schwerer krank. Sie sterben früher. Das gilt allgemein, aber auch und besonders bei Corona. Dazu gibt es zum Beispiel eine aktuelle Studie vom Universitätsklinikum Düsseldorf, die zeigt, dass ärmere Menschen besonders stark von Covid-19 betroffen sind und besonders schwer daran erkranken. Menschen, die Hartz IV beziehen, haben ein um 84 Prozent erhöhtes Risiko, mit dieser Erkrankung im Krankenhaus behandelt werden zu müssen. Wenn wir die Frage diskutieren, wer zuerst geimpft werden muss, sage ich: Wir müssen auch die Menschen schützen, die in prekären Verhältnissen arbeiten und wohnen. Ich finde, das ist eine Frage des Anstandes und der Solidarität.

(Beifall bei der LINKEN)

Unser Gesundheitssystem, meine Damen und Herren, muss endlich wieder seinen ursprünglichen Zweck erfüllen: Es muss dafür sorgen, dass Menschen wieder gesund werden. Darum gehören Krankenhäuser in öffentliches Eigentum.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)