Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Anfang 2006 hat der Wissenschaftsrat Empfehlungen zur Entwicklung und Förderung der Geisteswissenschaften in Deutschland vorgelegt. 2007 nun ist zum Jahr der Geisteswissenschaften erklärt worden. Alles in allem sind dies zwei gewichtige Anlässe, sich im Bundestag mit den Entwicklungsbedingungen und Perspektiven der Geisteswissenschaften zu befassen.
Bei diesem Thema entwickeln PolitikerInnen ganz offensichtlich einen besonderen Ehrgeiz. Immerhin liegen dem Bundestag dazu vier Anträge vor. Niemand - weder aus Oppositions- noch aus Regierungsfraktionen - wollte sich gegenseitig das Thema überlassen. Was vorgelegt wurde ist alles in allem schon recht erstaunlich. Die Anträge weisen, wer hätte das gedacht, doch erhebliche Schnittmengen auf. Nun mag dieser Umstand erstens darauf zurückzuführen sein, dass sich alle an den Empfehlungen des Wissenschaftsrates entlang gearbeitet haben. Und in diesen Empfehlungen gibt es insbesondere mit Blick auf das Forschungspotential und -leistung der Geisteswissenschaften in diesem Land viel Positives zu lesen.
Zweitens stehen Debatten zu Geisteswissenschaften immer unter dem Verdacht, auch stark ideologisch geprägt und politisch instrumentalisiert zu werden. Vielleicht sollten auch Hoheitsgebiete abgesteckt werden, was die Antragsfülle ebenso begründen würde. Drittens ist die Wissenschafts- und Forschungsförderpolitik der Bundesregierung in den vergangenen Jahren ausgesprochen technologielastig und technikzentriert konzipiert. In all diesen Programmen sind Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften marginalisiert. Selbst wenn prozentual beachtliche Steigerungsraten bei der Förderung der Geisteswissenschaften verkündet wurden, nehmen sich 64 Mio. Euro Bundesmittel höchst bescheiden gegenüber den Milliarden für technologieorientierte Wissenschaftsdisziplinen aus. Im Gegensatz zu diesen sahen sich Geistes-, Kultur- und SozialwissenschaftlerInnen stets einem hohen Rechtsfertigungsdruck ausgesetzt. Ihre Existenzberechtigung wird zwar nicht offen und nicht öffentlich bestritten. Dass sich ihre Ergebnisse zumeist nicht in Euro und konkreten Produkten messen lassen, bringt sie aber in die Defensive, weil sie damit nicht in den Zeitgeist passen. Hinzu kommt, dass Schwächen und Leerstellen bei den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften meist erst nach Jahrzehnten erkennbar werden, weil sie in anderen Zeithorizonten wissenschaftlich arbeiten. Und weil es erst mit zeitlichem Abstand erkennbar wird, wo fehlende Erkenntnisse aus diesen Disziplinen mit zu ungünstigen gesellschaftlichen Weichenstellungen geführt haben.
Vier Anträge können zumindest als Indiz dafür angesehen werden, dass im politischen Raum nun Handlungsdruck wahrgenommen wird. Vor diesem Hintergrund erschien es den PolitikerInnen des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung dann auch durchaus sinnvoll, mal darüber nachzudenken, ob sich aus dem Geist der vier Anträge nicht auch ein Komprimat als Kompromiss vereinbaren ließe. Irgendwie fühlte man sich diesen - in den letzten Jahren doch arg gebeutelten - Wissenschaftsdisziplinen verpflichtet. Also trafen wir uns, um konkret an einem gemeinsamen Antrag zu arbeiten. Sich dabei nicht an Einzelheiten von Begründungs- und Feststellungsteilen zu verzetteln und damit vielleicht die gemeinsame Chance auf Nebenschauplätzen zu zerreden, wurde schnell Konsens.
Wir wollten uns auf den Forderungsteil konzentrieren und gemeinsam Verabredungen treffen, was nun im Interesse der Geistes- und Sozialwissenschaften getan werden muss. Auch dieses Herangehen lieferte immer noch genügend inhaltliche Schnittmengen! In den Fraktionen blieben zwei Problemkreise als Diskussionsmasse: Erstens: Wie kann dafür gesorgt werden, dass die Kompetenzen von Bund, Ländern und Wissenschaftseinrichtungen verfassungsrechtlich geachtet, aber gleichzeitig optimal zusammengeführt werden? Zweitens: Wie kann die Hauptkritik des Wissenschaftsrates an den schlechten Lehr- und Studienbedingungen infolge des Bolognaprozesses, der Einführung von Bachelor- und Masterausbildung und der jahrelangen Unterfinanzierung textlich integriert werden? Aussichtslos erschien dieses Vorhaben nicht. Noch bevor wir dazu in die Tiefe gehen konnten, kam bereits aus den Untiefen der politischen Vorstellungswelt von CSU und CDU das große „Njet“ - mits den Kommunisten mitanand moachen nia ned zsamma! Wär ja noch schöner! Und so haben nach diesem Spruch - weitab von Geisteswissenschaften - doch mal wieder Ideologen gewonnen. Dass sich CDU/CSU-Politiker immer noch an einen Beschluss aus buchstäblich dem letzten Jahrhundert klammern, drückt für mich inhaltlichen und intellektuellen Notstand aus.
Was nützt dann das Lob aus der Eröffnungsveranstaltung zum Jahr der Geisteswissenschaften, dass man sich ungewöhnlich schnell mit einem Positionspapier des Wissenschaftsrates befasst habe? An der Situation von tausenden Studierenden, Lehrenden und Forschenden wird sich auch künftig kaum etwas konkret ändern! Denn nunmehr wird ein Antrag beschlossen, der ganz zentrale Kritikpunkte aus den Empfehlungen des Wissenschaftsrates nicht berücksichtigt.