Gregor Gysi in der Debatte über die Regierungserklärung von Kanzlerin Merkel zum G8-Gipfel vom 6. - 8. Juni in Heiligendamm
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, Sie wissen, ich versuche immer, zu differenzieren.(Lachen bei der CDU/CSU)
Warten sie doch ab. G 8 ist immer noch besser als G 1, denn G 1 hieße, dass die USA ganz allein, ohne sich überhaupt mit jemandem zu unterhalten, alles entschieden, was auf der Welt passiert. Das wollen wir nun auf gar keinen Fall.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich füge aber hinzu: G 8 ist nicht legitimiert. G 8 spielt sich als Weltregierung auf. Es gibt keinen einzigen Beschluss der Organisation der Vereinten Nationen, der das legitimiert.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie reden dort über Afrika; sie reden über Lateinamerika. Aber am G-8-Gipfel ist kein einziges afrikanisches Land beteiligt; es ist kein einziges lateinamerikanisches Land beteiligt. Große Teile der Welt sind ausgelassen. So kann man nicht demokratisch legitimiert Weltpolitik machen.
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Das Ganze hat eine Struktur. Sie nennen sich Präsidentin des G-8-Gipfels. Ja, was ist denn das? Gibt es hier ein Statut? Gibt es hier irgendetwas? Das ist einfach so entstanden, um Weltpolitik zu machen, und zwar ohne Beteiligung der UNO. Das ist nicht legitim. Hier ist der Protest legitim, der sagt: Wir wollen eine demokratisch reformierte UNO, die Weltpolitik macht.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich weiß, an einem Tag haben Sie die afrikanischen Staatschefs vorgeladen. Das macht das Ganze nicht legitimer, das sage ich hier ganz deutlich.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es stimmt, entscheidend ist der Inhalt. Darauf haben Sie auch verwiesen. Worüber wird diskutiert? Es wird zum Beispiel darüber diskutiert, dass China mehr exportiert als importiert. Das stört die USA, das stört die EU, und das stört Japan. Es ist interessant, dass dies auch Deutschland stört. Wenn es ein Land gibt, das deutlich mehr exportiert als importiert, dann ist das Deutschland. Wieso erlauben wir das gerade den Chinesen nicht? Ich kann das nicht begreifen.
(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der CDU/CSU: Das ist das Problem!)
Ja, das ist das Problem. Sie aber haben viel größere Probleme. Ihre Probleme möchte ich nicht haben. Dazu sage ich noch etwas.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie wollen über Hedgefonds diskutieren. Hinsichtlich der Hedgefonds haben Sie selbst gesagt, dass es nur ein paar Empfehlungen gibt. Frau Bundeskanzlerin, ich bitte Sie, wer einen Hedgefonds leitet, der kümmert sich nicht um solche albernen Empfehlungen.
(Beifall bei der LINKEN)
Entweder Sie greifen ein, und Sie verständigen sich auf Veränderungen in der Politik, die durchgreifen, oder Sie können es bleiben lassen. Das muss ich ganz deutlich sagen. Die Hedgefonds agieren doch, wie sie wollen. Und überhaupt: Wieso loben Sie die so? Sie haben einen Stellvertreter, der diese Fonds einmal Heuschrecken genannt hat. Was ist nun die Wahrheit?
(Beifall bei der LINKEN)
Nun bitten Sie die Hedgefonds um Transparenz. Dann können Sie die auch gleich bitten, sich aufzulösen. Das werden die aber nicht machen.
(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)
Dann soll es um Klimaschutz gehen. Da sind wir uns einig, hier muss weltweit etwas passieren. Da haben Sie recht, Frau Bundeskanzlerin. Ich weiß auch, dass Sie sich diesbezüglich engagieren. Es wäre aber ehrlich, wenn Sie hier sagten, die USA werden dem Kiotoabkommen auch nach diesem Gipfel nicht beitreten. Da sie das nicht machen, kommen wir diesbezüglich nicht weiter. Präsident Bush wird Ihnen jovial auf die Schulter klopfen. Das ist alles, was passiert. Das ist die Tragik. Hier müssen Sie energischer werden, und zwar mit den anderen zusammen. Weil wir das Klima und die Menschheit retten wollen, können die USA nicht so weitermachen. Das gilt übrigens auch für China. Das muss man genauso deutlich sagen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Dann soll es um Afrika gehen. Schon im Jahr 2003 ist auf dem G-8-Gipfel beschlossen worden, die Entwicklungshilfe für Afrika deutlich aufzustocken. Wenn man den Schuldenerlass für Nigeria abzieht, dann hat sich die Entwicklungshilfe seit 2003 um 2 Prozent gesteigert. Das ist alles, was passiert ist. Nun gibt es den Data-Report der Sänger Bono, Bob Geldof und Herbert Grönemeyer. Sie haben festgestellt, dass nur Japan und Großbritannien ihr Soll bezüglich der Entwicklungshilfe erfüllt haben. Es werden auch die Länder aufgezählt, die ihr Soll nicht erfüllt haben. Dazu gehören die USA, Frankreich, Kanada und Deutschland. Sie spucken hier große moralische Töne. Das Erste wäre doch wohl, dass man seine Pflichten diesbezüglich erfüllt. Das haben wir nicht gemacht.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das Problem beim G-8-Gipfel ist, dass es nicht um eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung geht. Ich nenne Ihnen einmal zwei Beispiele - auch wenn wir andere Auffassungen bezüglich des Freihandels haben als die FDP -, wo das Gegenteil passiert:
Nehmen wir einmal das Beispiel Lebensmittel. Lebensmittel sind in Europa hoch subventioniert. Das kann man in Europa hinnehmen; das hat etwas mit der Sicherheit von Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft usw. zu tun; das ist jetzt aber nicht mein Thema. Mein Thema ist: Die subventionierten Lebensmittel nach Asien und Afrika zu exportieren, ist eine Frechheit,
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
weil die Länder dort natürlich umgekehrt gar keine Möglichkeit zu solchen Subventionen haben. Das ist dann auch kein freier Handel, sondern subventionierter Handel.
Das zweite Beispiel sind Textilien. Bei Textilien machen wir Folgendes: Auf Importe aus Asien und Afrika erheben wir hohe Zölle. Dadurch haben die natürlich gar keine Chance, ihre Textilien hier zu verkaufen. Wenn afrikanische und asiatische Länder solche Zölle auf unsere Textilien erhöben, würde die Weltbank ihnen die Kredite streichen. Das ist die Wahrheit; darüber können Sie einmal diskutieren.
(Beifall bei der LINKEN - Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)
- Ich freue mich, dass Sie sich darüber aufregen. Wissen Sie, wer das geistige Eigentum an diesen beiden Beispielen hat? Heiner Geißler, CDU; der hat das in der Zeitung geschrieben.
(Beifall bei der LINKEN - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Das ist doch eine Strafe!)
Da sollten Sie ab und zu einmal nachlesen.
Worüber könnte man beim G 8-Gipfel zum Beispiel sprechen? Ich meine, über die Tobin-Steuer. Wenn Sie politischen Einfluss auf die Weltwirtschaft nehmen wollen, dann bedarf es einer Börsenumsatzsteuer. Sie müssen doch die Dinge lenken. Darf ich daran erinnern, Frau Bundeskanzlerin, dass selbst Herr Bush nach den entsetzlichen Anschlägen von 2001 in New York und Washington gesagt hat, dass man mehr Regulierung braucht? Und wissen Sie auch, warum? Weil festgestellt worden ist, dass die Hinterleute der Anschläge auch noch reich geworden sind, weil sie wussten, wann die Anschläge stattfinden, und rechtzeitig die richtigen Aktien kaufen und verkaufen konnten. Nicht einmal dagegen ist bis heute irgendetwas unternommen worden. Sie akzeptieren einfach das Primat der Wirtschaft über die Politik, statt das Primat der Politik über die Wirtschaft wiederherzustellen.
(Beifall bei der LINKEN)
Worüber sollten Sie reden? Sie könnten über die Beendigung der Kriege im Irak und in Afghanistan reden. Was soll denn die Theorie, die diesbezüglich aufgestellt worden ist, dass das ein wichtiger Krieg gegen den Terror sei? Die Zustände im Irak unter Hussein waren sicherlich furchtbar. Aber sie sind doch heute noch viel furchtbarer! Der Krieg hat zu nichts anderem als zu einer erhöhten Bereitschaft zum Terror geführt.
(Beifall bei der LINKEN)
Krieg ist die Höchstform von Terror, und mit der Höchstform von Terror kann man Terror niemals wirksam bekämpfen. Das beweisen Afghanistan und der Irak.
(Beifall bei der LINKEN)
Diese Dinge sollte man beenden und zum Völkerrecht zurückkehren. Ich sage das hier noch einmal ganz klar: Der Krieg gegen Jugoslawien, der Krieg gegen Irak, die Operation „Enduring Freedom“ sind und waren völkerrechtswidrig.
(Beifall bei der LINKEN)
Wenn die führenden Industriegesellschaften das Völkerrecht brechen, werden sie keine Chance mehr haben, bei den übrigen über 180 Staaten durchzusetzen, dass diese das Völkerrecht einhalten. Wir zerstören das Recht und setzen an dessen Stelle kein neues. Das ist nicht hinnehmbar.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie könnten und sollten auch über Rüstung reden. Jährlich wird für Rüstung auf der Erde ein Betrag von 1 Billion US-Dollar ausgegeben. 75 Prozent dieser Kosten tragen die acht Staaten, die sich zum Gipfel treffen. Die übrigen über 180 Staaten geben von diesem Betrag nur 25 Prozent aus. Was nutzt denn diese militärische Überlegenheit? Sie bringt gar nichts. Der Ausweg derjenigen, die militärisch unterlegen sind, ist, dass sie zum Terror greifen. Das ist das Ergebnis. Lassen Sie uns doch einmal anders denken als in rein militärischen Kategorien!
(Beifall bei der LINKEN)
Bush schreit immer sofort „Krieg!“, auch wenn der Iran nicht so funktioniert. Das löst unsere Probleme nicht; es verschärft sie nur weltweit. Wir brauchen endlich einen anderen Ansatz, auch durch einen Beschluss der Mehrheit des Bundestages.
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Dann, Frau Bundeskanzlerin, haben Sie gesagt, dass das alles zum Aufschwung geführt habe, und Sie seien stolz darauf, dass die ganzen furchtbaren Szenarios nicht wahr geworden seien. Ich bitte Sie: Aufschwung für wen eigentlich? Ich weiß, die Gewinne der Deutschen Bank steigen, und Hedgefonds freuen sich. Aber fragen Sie doch einmal die Arbeitslosen, die Rentnerinnen und Rentner, diejenigen in Mini- und Midijobs oder in Leiharbeitsverhältnissen oder die Kranken, ob sie das Gefühl haben, es gebe einen Aufschwung für sie.
(Dr. Sascha Raabe (SPD): 1 Million weniger Arbeitslose!)
Ich lese jeden Tag in der Zeitung, dass die Steuern sprudeln. Aber gab es auch nur einen Satz von Ihnen dazu, dass es dann endlich auch den Rentnerinnen und Rentnern, den Kranken und Arbeitslosen besser gehen müsse? Nicht einen Satz!
(Beifall bei der LINKEN)
Herr Staffelt, ich hatte gehofft, Sie würden jetzt nichts sagen. Sie haben vorhin vom gesetzlichen Mindestlohn gesprochen. Ich möchte Sie in diesem Zusammenhang an zwei Punkte erinnern. Erstens. Sieben Jahre lang haben Sie die Regierung gestellt. Aber Sie sind nicht einen Tag auf die Idee gekommen, einen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen, obwohl Sie dazu, wie gesagt, sieben Jahre lang Zeit hatten.
(Beifall bei der LINKEN)
Zweitens. Als wir im Wahlkampf für den gesetzlichen Mindestlohn gestritten haben, da wurde mir auch von der SPD immer erzählt, dies sei Unsinn. Heute tun Sie so, als wäre es Ihre Idee gewesen. Das ist nicht wahr. Aber Sie haben in Kürze die Möglichkeit, im Bundestag darüber abzustimmen. Warten wir einmal ab, was dann passiert.
(Beifall bei der LINKEN)
Es geht bei diesem G-8-Gipfel leider um die Durchsetzung einseitiger wirtschaftlicher und politischer Interessen der Industriegesellschaften. Es ist deshalb legitim, dagegen zu demonstrieren. Dieses Grundrecht ist im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankert.
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Was ich nicht verstehe und was mir wirklich Sorgen bereitet, ist die Art der Herangehensweise. Noch bevor ein Auto gebrannt hat das Anzünden von Autos verurteilen wir genauso wie Sie alle hier , waren es die Sicherheitsbehörden, die meinten, mit Razzien eine solche Stimmung erst einmal provozieren zu müssen.
(Beifall bei der LINKEN - Jörg van Essen (FDP): Autos brennen seit Monaten!)
Warum? Sie führen Razzien in der Hoffnung durch, eine Gegenbewegung zu kriminalisieren.
(Jörg van Essen (FDP): Die kriminalisiert sich doch selbst!)
Sie hoffen, dass viele sogenannte anständige Leute nicht mehr zur Demonstration gehen. Aber diesmal passiert das Gegenteil. Sie haben durch diese Maßnahme viele aufgeweckt. Diese gehen jetzt zur Demonstration, obwohl sie das ursprünglich gar nicht vorhatten.
(Beifall bei der LINKEN)
Ihr Bundesinnenminister spricht in diesem Zusammenhang von Vorbeugehaft. Ich kenne das geltende Recht diesbezüglich, aber ich sage Ihnen: Ich halte das für rechtsstaatlich unvertretbar und auch für grundgesetzwidrig.
(Zuruf des Abg. Clemens Binninger (CDU/CSU))
- Wissen Sie eigentlich was Vorbeugehaft bedeutet? Jemand wird in Haft genommen, obwohl ihm keine Straftat vorgeworfen werden kann. Sie nehmen ihm bis zu 14 Tagen die Freiheit für gar nichts, nur weil Sie sagen: Der könnte ja vielleicht einmal eine Straftat begehen. - Ich bitte Sie! Das ist überhaupt nicht hinnehmbar.
(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der CDU/CSU)
- Wenn Sie sich als Entschuldigung auf die DDR berufen, dann zeigt das, wie weit es mit Ihnen gekommen ist.
(Beifall bei der LINKEN)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Gysi.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.
Ich habe es heute leider zeitlich nicht mehr geschafft das macht aber nichts , Ihnen vorzulesen, was in der „Berliner Zeitung“ vom 19. Mai unter der Überschrift „Wie ein Grundrecht verdampft“ geschrieben wurde. Ich empfehle Ihnen, einmal nachzulesen, was da ein Mann, der kein Linker ist, darüber schreibt, wie Sie mit den Grundrechten auf Demonstrations- und Versammlungsfreiheit hier umgehen. Das ist nicht hinnehmbar.
Danke schön.
(Beifall bei der LINKEN)