Sehr geehrte Damen und Herren,
der Antrag der FDP „Fusionsforschung zielgerichtet weiterführen - Deutschen Beitrag sichern“ soll ein Thema parlamentarisch begleiten, das im Wesentlichen vorbei an nationalen Parlamenten wie auch der EU vorangetrieben wurde. Bezogen auf den hier angesprochenen Internationalen Thermonuklearen Testreaktor, kurz: ITER, wurden im August 2006 - wie man so schön sagt - eigentlich alle Messen gesungen. Damals einigten sich EU, Japan, China, Russland, USA, Indien und Südkorea auf Vertrag und Ort dieses Testreaktors.
Die Gesamtkosten werden sich bis 2041 auf rund 16 Milliarden Euro belaufen. Die EU soll fast 5 Milliarden Euro aufbringen. Dazu kommen noch extra Beiträge, die durch die Mitgliedstaaten - darunter auch Deutschland - aufzubringen sind. ITER ist jedoch nur ein Projekt, welches im Rahmen der Erneuerung nuklearer Energietechnologien verfolgt wird. Nukleartechnologien haben zu Recht ein Akzeptanzproblem, welches auf die damit verbundenen Risiken wie Proliferations- oder Betriebsgefahren oder ungelöste Endlagerfragen zurückgeht. Deshalb werden neben Fusionsreaktorsystemen wie ITER auch weitere nukleare Energietechnologien durch Forscherinnen und Forscher untersucht. Dazu gehört beispielsweise auch die Entwicklung neuer Kernkraftwerke der Generation IV. Diese Forschungen sind extrem zeitintensiv und teuer.
Aus diesem Grund sind auch weltweite Formen der Zusammenarbeit von Wirtschaft und Staaten eingegangen worden. Innerhalb dieser Projekte und Mittel werden schon heute exorbitante Summen aufgebracht, die überwiegend öffentliche Mittel waren und sind. Die gesellschaftliche Öffentlichkeit hat Ziele, Umfang, Umsetzung und Nutzen neuer Nukleartechnologien jedoch nie ernsthaft breit diskutiert bzw. diskutieren können. Fachkreise dagegen schon. Dort ist man sich sehr wohl der Konfliktstoffe dieser Forschung, ihrer offenen Perspektiven im Hinblick auf die Realisierung neuer Kernkraftwerke, der kommerziellen Aneignung künftiger Forschungsergebnisse, der Akzeptanz sowie der Wirkung auf andere Strategien von Energiegewinnung bewusst. Nur ein Beispiel dafür: Nukleare Energietechnologien sind mit ihrer hohen Kapitalintensität hauptsächlich für eine zentralisierte Stromerzeugung geeignet. Innerhalb der aktuellen Klimadebatte aber wird maßgeblich der Kapazitätsausbau von kleineren Energiegewinnungseinheiten nahe bei Verbraucherinnen und Verbrauchern thematisiert. Dieser Trend der Dezentralisierung trifft auf erhebliche Akzeptanz in der Bevölkerung.
Insbesondere Technologien zur Gewinnung emeuerbarer Energien entsprechen dem Bedürfnis, sich eben nicht den Globalplayern der Energieerzeugung und ihren Preisdiktaten auszuliefern. Und im Bereich nuklearer Energietechnologien werden nur diese das notwendige Kapital beschaffen können. Zwangsläufig ergeben sich daraus Fragen wie: Stehen die beiden Strategien zur Energiegewinnung nicht in völlig ungleicher Konkurrenz zueinander? Wird es dann nicht zu einer Verdrängung erneuerbarer Formen der Energiegewinnung kommen? Wenn denn in einigen Jahrzehnten solch ein Projekt wie ITER tatsächlich über zu bauende Kraftwerke Schritt für Schritt in die Energieversorgung Einzug hielte, wer hätte Verfügungsgewalt? Welche Möglichkeiten der Kontrolle müssten der Gesellschaft erhalten bleiben, um die Ausgabe von zig Milliarden öffentlicher Gelder respektive Steuergelder zu rechtfertigen?
Nun mögen ja die FDP als Antragstellerin und andere für neue nukleare Energietechnologien Engagierte behaupten: Um Himmels willen, so weit sei man ja noch lange nicht. Denen halte ich entgegen: Doch, wir sind so weit. Immerhin wurden bei Euratom durch Kommissionsbeschluss für die nukleare Forschungsförderung entscheidende Weichenstellungen vorgenommen. So werden im 7. Forschungsrahmenprogramm bis zum Jahr 2011 rund 2,8 Milliarden Euro für die Nuklearforschung ausgegeben, davon über 1,9 Milliarden für die Fusionsforschung. Die daraus entspringende Eigendynamik wird kaum kritisch reflektiert und ist schon gar nicht Gegenstand von Interventionen seitens Parlamenten und Regierungen. So durchzieht auch den FDP-Antrag die Grundstimmung, es seien doch schon so viel Mittel investiert worden, da könne man doch nicht mehr das Gesamtprojekt infrage stellen!
Meine Damen und Herrn von der FDP, Sie werden nicht bestreiten können, dass das kein überzeugendes inhaltliches Argument für die unreflektierte Fortsetzung dieser Politik sein kann. Natürlich muss man sich differenziert mit den Chancen und Grenzen jeder einzelnen Technologie auseinandersetzen. Für Formen der erneuerbaren Energien wird es doch auch eingefordert! Da können ja wohl keine unterschiedlichen Maßstäbe angelegt werden.
ITER bzw. die Kernfusion sind zweifelsohne eine interessante Option, vor allem deutlich risikoärmer als Kernspaltung im Hinblick auf die Umwelteigenschaften und das Proliferationsrisiko. Aber würde man heute auf der Straße Passanten die Frage stellen, ob sie sich etwas unter erneuerbarer und Fusionsenergie vorstellen könnten, dann wären Kenntnisse ganz sicher sehr einseitig vorhanden. Deshalb ist es notwendig, bei so zukunftsträchtigen Fragen wie Energieressourcen durch öffentliche Debatten auch Kompetenz zu bilden, um Transparenz herzustellen und Mitentscheidung zu ermöglichen. Auch gehört zu einer vernünftigen Risikoabwägung neben den finanziellen Argumenten, die derzeit gegen eine Fusionsforschung sprechen, die Frage nach Wirtschaftlichkeit, Effizienz und nach der Zeitschiene. So kann erst in 30 Jahren beantwortet werden, ob die Energiegewinnung mittels Fusionsreaktoren regulär möglich sein wird. Auch benötigen die Forschungen einen hohen Energiebedarf.
Dass ITER irgendwann einmal zehn Mal mehr Energie liefert, als er zum Betrieb braucht, ist derzeit noch nicht absehbar. Vor diesem Hintergrund muss man sich fragen, ob dann nicht besser die Priorität auf ökologisch und ökonomisch sinnvollere Technologien gesetzt werden sollte, die eine schnellere CO2-Reduktion ermöglichen, wie beispielsweise die Investition in die Erforschung von Biomasse-Technologien. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Sie selbst haben hier in dem Hohen Hause einen Antrag zur Einrichtung eines Biomasse-Forschungszentrums eingebracht. Sie machen dieses sinnvolle Anliegen zum Feigenblatt, wenn Sie nun die Priorität auf die teure Fusionsforschung setzen. Ich finde, Milliarden Euro öffentlicher Gelder auszugeben, ohne über gesellschaftliche Perspektiven der verfolgten Projekte Rechenschaft abzulegen, ist undemokratisch, weil künftige Verbraucherinnen und Verbraucher außen vor bleiben. Verbraucherinnen und Verbraucher sind aber nicht auf ihren Konsumentenstatus einzunisten. Vielmehr müssen sie auch die Konsequenzen für Mensch und Natur zutragen.
Vor diesem Hintergrund und angesichts internationalisierter Forschung ist es daher notwendig, eine unabhängige und vorausschauende Technologiefolgeabschätzung im Bereich der nuklearen Enengietechnologien zu sichern. Das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag hat mit seinem Sachstandsbericht von 2002 ein solches Beispiel und gute Grundlage geliefert!