Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Jedes
Mal, wenn wir hier im Bundestag zum Thema BAföG
diskutieren, gibt es mindestens einen Redner – meist na-
türlich aus den Reihen der SPD –, der den Geist Willy
Brandts beschwört, gibt es einen oder eine, der oder die
erzählt, wie Willy Brandt als Bundeskanzler 1971 das
BAföG eingeführt hat, und der oder die auf das große
und wichtige Erbe verweist, das es heute zu bewahren
gilt.
Liebe Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten,
ich bin da natürlich ganz bei Ihnen: Das Bundesausbil-
dungsförderungsgesetz, das endlich jungen Menschen
aus Arbeiterhaushalten den Zugang zur akademischen
Bildung eröffnete, war eines der wichtigsten sozialen In-
strumente überhaupt.
(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie
des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN])
Ich muss Ihnen aber auch sagen – jetzt kommt das Aber –:
Um den Geist der Reformen von 1971 zu erhalten, reicht
es natürlich nicht aus, ihn wieder und wieder zu be-
schwören und die Geschichte von damals zu erzählen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das heutige Handeln muss diesem Geist schon auch ge-
recht werden.
Mit Verlaub, Kolleginnen und Kollegen, bei dieser
BAföG-Novelle der Großen Koalition fehlt so einiges,
wenn man sie an dem sozialen Anspruch von 1971 mes-
sen möchte. Wie war das im Jahr 1971? Nachdem das
BAföG in Kraft getreten war, wurden 44,6 Prozent der
Studierenden damit gefördert. Man hatte also richtig
gute Chancen, zu den Geförderten zu gehören. Man
konnte tatsächlich vom BAföG leben und musste sich als
BAföG-Empfänger im Übrigen nicht verschulden, denn
das BAföG war ein Vollzuschuss.
(Beifall bei der LINKEN)
– Ja, für das BAföG von 1971 kann man klatschen.
Wie sieht das heute aus? 2013 haben nicht einmal
19 Prozent der Studierenden BAföG bekommen, also
nicht einmal jeder Fünfte. Ein BAföG-Empfänger, der
den Höchstsatz bekommt, ist ein noch selteneres Exem-
plar geworden.
(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das liegt
am wirtschaftlichen Aufschwung! –
Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das spricht
doch für uns!)
Gerade einmal 7 Prozent haben 2012 den vollen BAföG-
Satz bekommen. Das BAföG ist heute leider kaum mehr
als ein Schatten seiner selbst, und das ist das Ergebnis
vieler Jahre neoliberaler Politik.
(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Vollkommen
verfehlt!)
Es ist ein Drama, dass diese Regierung nicht bereit ist,
das von Grund auf zu korrigieren.
(Beifall bei der LINKEN)
Jetzt hat die Große Koalition ihre BAföG-Novelle
mit sehr wohlklingenden Etiketten versehen. Ich gebe
zu, bei Frau Wanka klang es gerade nicht ganz so eu-
phorisch. Sie hat, glaube ich, von „ganz ordentlich“ ge-
sprochen.
(Lachen der Abg. Dr. Claudia Lücking-Michel
[CDU/CSU])
Das ist nicht ganz so enthusiastisch, wie es im Gesetz
entwurf selber etikettiert worden ist. Dort heißt es „sub-
stanziell“ und „nachhaltig“; so nennen Union und SPD
ihre Reform.
(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sehr rich
tig!)
Ich weiß, dass es zum politischen Geschäft gehört, sich
selbst und das eigene Handeln möglichst positiv zu
labeln.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Oder schlecht
zureden, wie Sie das machen!)
Aber man sollte es nicht übertreiben, vor allem wenn es
eben nicht zur Sache passt.
„Substanziell“, das wäre zum Beispiel der Fall, wenn
das BAföG den Bedarf abdecken würde. Aber das von
der Regierung vorgesehene Plus bei den Bedarfssätzen
gleicht nicht einmal die Preissteigerungen der letzten
Jahre aus. Die Anhebung der Wohnkosten, die Sie vor-
nehmen wollen, liegt bereits jetzt, zwei Jahre bevor die
Novelle überhaupt in Kraft tritt, 50 Euro unter dem, was
Studierende im echten Leben für die Miete hinblättern
müssen. Ihre ganze Reform soll überhaupt erst in zwei
Jahren in Kraft treten. Das ist weder substanziell noch
nachhaltig, das ist Verschleppung.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Kai
Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
„Nachhaltig“ hätten Sie Ihre Reform dann nennen
dürfen, wenn Sie endlich eine automatische Anpassung
der Bedarfssätze an die Preisentwicklung ins BAföG
eingebaut hätten, sodass wir nicht alle paar Jahre um
Prozentpunkte feilschen müssen.
(Beifall bei der LINKEN)
Genau so, wie das die Große Koalition bei der Abgeord-
netendiät erst vor wenigen Monaten beschlossen hat.
(Zuruf von der LINKEN: Genau! –
Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Gut, dass Sie
die nicht kriegen!)
Aber bei den eigenen Diäten flutscht ohnehin so einiges,
was ansonsten ganz mühsame Prozesse sind. Die Abge-
ordnetendiäten wurden 2012 um 3,5 Prozent erhöht,
2013 um 4 Prozent, 2014 um 5 Prozent, und 2015 sollen
sie noch einmal um 4,8 Prozent steigen. Insgesamt
kommen wir Abgeordnete in vier Jahren auf eine Diäten
erhöhung um 18,5 Prozent. Das BAföG wurde in dersel-
ben Zeit gar nicht erhöht, und das finden Sie kein
Problem? Manchmal bekommt man leider den Eindruck:
Wären die Kinder der Abgeordneten auf das BAföG an-
gewiesen, gäbe es heute wahrscheinlich eine wirkliche
Erhöhung.
(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei
der CDU/CSU und der SPD – Dr. Daniela De
Ridder [SPD]: So billig! – Albert Rupprecht
[CDU/CSU]: Was ist denn das für ein Populis
mus jetzt? Was war das jetzt? Das ist ja wie
Lafontaine!)
Die Linke hat das, was eine nachhaltige und substan-
zielle Reform wäre, in fünf guten Änderungsanträgen
zur Abstimmung vorgelegt. Wir wollen, dass die
BAföG-Sätze und die Freibeträge sofort um 10 Prozent
erhöht werden. Wir wollen endlich die automatische An-
passung des BAföG an die Lebenshaltungskosten. Wir
schlagen vor, dass das BAföG wieder zum Vollzuschuss
umgebaut wird, damit sich junge Menschen nicht erst
verschulden müssen. Wir beantragen, dass Schülerinnen
und Schüler wieder gefördert werden können, auch
wenn sie noch bei ihren Eltern wohnen, und dass
Migrantinnen und Migranten und junge Geflüchtete
bereits nach drei Monaten Aufenthalt gefördert werden
können und nicht erst 15 Monate nachdem sie das
Asylverfahren durchlaufen haben mit ihrem Leben be-
ginnen können.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, könnten zur
Abwechslung unseren Änderungsanträgen einmal zu
stimmen.
(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Mit Sicher-
heit nicht!)
Das wäre nicht nur substanziell und nachhaltig, das wäre
auch überaus sympathisch.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)