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Für eine grundlegende Neujustierung der Bologna Reform!

Archiv Linksfraktion - Rede von Nicole Gohlke,

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, Herr Präsident,
Im Jahre 2012 jährt sich die Einführung der zweitstufigen und modularisierten Studiengänge zum 13. Mal. Sie war die größte Hochschulreform der Nachkriegsgeschichte. Versprochen wurden die Vereinheitlichung der Bildungsabschlüsse in Europa, die Verbesserung der Qualität der Studiengänge sowie ein erhöhte Mobilität der Studierenden in ganz Europa. Das alles klang sehr vielversprechend.
So liest sich auch der kürzlich veröffentlichte Bologna-Bericht der Bundesregierung . Aber welche Situation finden wir heute konkret an den Hochschulen vor?
Private Akkreditierungsagenturen sind damit beauftragt die neuen Studiengänge zu begutachten und zu zertifizieren. Diese Agenturen sind zwar von einem staatlich eingerichteten Akkreditierungsrat zugelassen, es gibt aber weder eine klare gesetzliche Grundlage noch angemessene Einflussmöglichkeiten auf die Arbeit der Agenturen. Bis heute gibt es keine umfassenden Anforderungen an die Studierbarkeit der Studiengänge oder an einen demokratischen Ablauf des Akkreditierungsprozesses. Gravierende Qualitätsmängel und eine hohe Frustration bei allen, die sich in den vergangenen 13 Jahren für eine qualitative Studienreform eingesetzt haben, sind die Folge.
Der Alltag der Studierenden- und wie hoch der Leidensdruck ist haben die Bildungsproteste der Studierenden der letzten Jahre gezeigt- ist von Verschulung, Anwesenheitspflicht und ständigen Leistungsnachweisen geprägt. Den Studierenden wird per Studienordnung vorgeschrieben wann sie welches Studienmodul absolvieren müssen; sie werden durch ständige Anwesenheitskontrollen angehalten, ein riesiges Pensum an Veranstaltungen zu besuchen, weil sie sonst ihren Leistungsnachweis nicht erhalten, und sie hetzen von einer Prüfung zur nächsten. Die Studierenden selbst nennen das Bulimie-Lernen: Auswendig lernen, in der Prüfung auskotzen – und dann wieder vergessen. Das ist die Realität ihrer viel gepriesenen neuen Studiengänge.
Dass die Studierbarkeit des Bachelors eine wirkliche Zumutung ist, belegen auch die Zahlen des aktuellen Studierendensurveys: 42 % der Studierenden müssen einen zu hohen Lernaufwand für Prüfungen aufbringen, und nur 16 % sehen sich in der Lage ihre Semesteraufgaben zeitlich gut erfüllen. 61% der Bachelorstudierenden fühlen sich durch die Arbeitsintensität in ihrem Studium überfordert. Diese Realität sollte die Bundesregierung endlich mal zur Kenntnis nehmen, und sich nicht selbst beweihräuchern, dass schon 85 % der Studiengänge umgestellt sind. Ein neues Etikett allein ist doch kein politischer Erfolg!
Wenn Sie mal einen Blick hinter die Fassade wagen würden, könnten sie sehen: Das Studium hat mit einer wirklich guten wissenschaftlichen Ausbildung für die Mehrheit der Studierenden oder einem selbstbestimmten Lernen kaum noch etwas zu tun. Anwendungsorientierung und Praxisorientierung sind doch längst der Auslieferung von Bildung an Konzerninteressen gewichen! Bildung und Wissenschaft sind aber mehr!
Noch nicht einmal die Mobilität der Studierenden hat sich verbessert, auch wenn sie uns das in ihrem Bericht weismachen wollen. Laut einer Studie von DAAD und BMBF, die das DSW erst im Dezember 2011 zitiert hat, stagnieren die studienbezogenen Auslandsaufenthalte seit dem Jahr 2000. Aber das wundert einen ja auch nicht, wenn die Anerkennung von Studienleistungen, die an einer anderen Hochschule abgelegt wurden, nicht mal innerhalb eines Bundeslandes vernünftig funktioniert.
Alle Versprechen für eine bessere Mobilität und eine bessere Qualität sind gebrochen worden. Das, was übrigbleibt von Bologna, ist eine enorme Bildungskürzung, denn genau das bedeutet die neue Studienstruktur doch letztendlich: die Masse der Studierenden soll mit kürzeren Studienzeiten durch die Hochschulen geschleust werden und nur einer kleinen Elite wird der Zugang zum weiterführenden und zum wissenschaftlichen Studium ermöglicht.
Und was bedeutet ein kürzeres Studium für die Hochschulabsolventinnen? Für die, die eben nur den Bachelor machen dürfen? Sie werden dementsprechend schlechter bezahlt. Ich zitiere den Bologna-Bericht des Kabinetts: Bei allen Studienrichtungen beträgt die Einkommensdifferenz gegenüber den traditionellen Abschlüssen durchschnittlich - 7,3 % für Fachhochschulabsolventinnen und -absolventen bzw. - 20,3% die Absolventinnen und Absolventen der Universitäten. Sie haben es also geschafft, einen Zweiklassenarbeitsmarkt für Akademikerinnen und Akademiker zu errichten. Das ist der eigentlich politische Skandal!
So kann es nicht weitergehen, und da hilft uns leider auch der Antrag der SPD-Fraktion nicht wirklich weiter. Natürlich ist es richtig und wichtig, die soziale Dimension bei Bologna zu verbessern; diesen Forderungen aus ihrem Antrag ist auch zuzustimmen, aber das kann doch nur ein Teilaspekt einer Veränderung sein. Und da auch Ihr Antrag keinerlei konkrete Zahlen nennt, sehe ich für eine echte Verbesserung der Bedingungen für die Studierenden auch eher schwarz.
DIE LINKE fordert eine grundlegende Reform und Neujustierung der Bologna Reform! Wir möchten, dass an der Hochschule Kritische Wissenschaft statt Employability gelehrt wird und dass Studierende ihre Studieninhalte selbst bestimmen können. Und: wir brauchen endlich das Recht auf einen Masterzugang für alle Studierenden, damit jeder den Abschluss machen kann den er oder sie machen möchte!
Rede von Nicole Gohlke zu Protokoll