Rede von Matthias W. Birkwald MdB
zur Beratung des Antrags der Abgeordneten
Sabine Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.
Fünf-Punkte-Programm zur Bekämpfung und Vermeidung von Langzeiterwerbslosigkeit - Drucksache 18/3146
am Donnerstag, den 13.11.2014 im Deutschen Bundestag
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Einer der Vorgänger von Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles, Arbeitsminister Franz Müntefering, hat die Rente erst ab 67 mit den Worten gerechtfertigt: Ohne Anstrengung geht es nicht. - Das sollte wohl bedeuten: Ältere Menschen müssen länger arbeiten, Ältere müssen sich mit Krankheiten und Stress am Arbeitsplatz arrangieren, und Ältere müssen sich leider oft mit Minijobs über Wasser halten, das heißt, sie bekommen höchstens 450 Euro im Monat. Knapp 2 Millionen der über 55-Jährigen haben nur einen Minijob, zum Beispiel als Hausmeister, Putzhilfe oder Taxifahrerin. Die strengen sich an. Aber viele von ihnen sind offiziell arbeitslos, und die meisten hätten lieber einen Vollzeitjob. Deswegen sage ich: Münteferings Satz war damals zynisch, er ist heute zynisch, und er wird noch lange zynisch bleiben.
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, keine Altersgruppe hat es auf dem Arbeitsmarkt so schwer wie die Älteren. Erstens sind Ältere im Durchschnitt häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen. Zweitens ist die Hälfte der 55- bis 64-jährigen Erwerbslosen langzeiterwerbslos. Drittens ist die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit von Älteren in nur zwei Jahren um 14 Wochen gestiegen. Im Januar 2013 waren Ältere im Schnitt noch 81 Wochen ohne Erwerbsarbeit. Heute sind es schon 95 Wochen. Das sind 22 Monate, also fast zwei Jahre. Das heißt dann, dass ein hartes Arbeitsleben oft auf den letzten Metern mit Hartz IV und all seinen Schikanen endet. Das ist schlimm, und damit muss endlich Schluss sein.
(Beifall bei der LINKEN)
Aber damit noch nicht genug: Hartz-IV-Zeiten werden nicht auf die Rente ab 63 bzw. 65 angerechnet. Der Maurer und die Krankenschwester schauen dann in die Röhre, wenn sie nur 43 Jahre geschafft haben. Aber auch der Bezug von Arbeitslosengeld I in den letzten beiden Jahren vor dem Renteneintritt wird nicht auf die 45 Beitragsjahre angerechnet, die man für die abschlagsfreie Rente ab 63 braucht. Nicht einmal die sechs Wochen Mutterschutz werden anerkannt. Das ist unglaublich, aber es geht noch weiter.
(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Aber zehn Jahre Kindererziehung berücksichtigt!)
In die Rentenkasse wird für Langzeiterwerbslose auch nichts mehr eingezahlt. Union und FDP haben die Pflichtbeiträge abgeschafft. Die sogenannte 58er-Regelung wurde abgeschafft. Und ‑ das ist der größte Skandal ‑: Bezieht man nach dem 63. Geburtstag Hartz-IV-Leistungen, bekommt man vom Jobcenter ein brutales Geburtstagsgeschenk: einen Brief, der einen mit hohen Abschlägen in die vorgezogene Zwangsrente befördert.
(Jutta Krellmann (DIE LINKE): Genau!)
So geht unsere Gesellschaft mit langzeiterwerbslosen Älteren um. Das ist beschämend, und das führt direkt in die Altersarmut. Das darf nicht sein.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ohne Anstrengung geht es nicht, sagt Franz Müntefering. Frau Staatssekretärin, ich frage jetzt Sie: Was tun Sie, um die Lage von älteren Erwerbslosen zu verbessern? Ich sage: bisher zu wenig. Haben Sie den Zugang zur Erwerbsminderungsrente erleichtert? ‑ Nein! Jeder zweite Antrag auf Erwerbsminderungsrente wird nach wie vor abgelehnt. Wie viele Betriebe kennen Sie, die einen der 282 000 langzeiterwerbslosen Älteren über 55 Jahre eingestellt haben? Ich würde sagen: wenige. Deshalb sage ich: Hören Sie mit der Gesundbeterei auf. Solange Sie an Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt für Ältere nichts vorweisen können, ist es unverantwortlich, an der Rente erst ab 67 festzuhalten. Schaffen Sie die Rente erst ab 67 ab. Ein Renteneintrittsalter von 65 Jahren ist genug, für viele mehr als genug.
(Beifall bei der LINKEN)
Darum fordern wir:
Erstens. Zahlen Sie aus Steuermitteln wieder Rentenbeiträge für Hartz-IV-Betroffene, und zwar in Höhe eines halben Durchschnittsverdienstes.
Zweitens. Schaffen Sie die Zwangsverrentung ab 63 ab, solange die Altersarmut in Deutschland Jahr für Jahr ansteigt.
Drittens. Fördern Sie die öffentlich geförderte Beschäftigung von Älteren, solange Unternehmen sich weigern, sie einzustellen.
Viertens. Erleichtern Sie den Zugang zur Erwerbsminderungsrente, und schaffen Sie die durch nichts zu rechtfertigenden Abschläge ab. Durchschnittliche Abschläge in Höhe von 77 Euro monatlich sind für die betroffenen Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentner viel Geld.
Frau Staatssekretärin, ohne Anstrengung geht es nicht. Lassen Sie die älteren Langzeiterwerbslosen nicht im Regen stehen!
Danke schön.
(Beifall bei der LINKEN)