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Freiheit von Forschung und Lehre schützen!

Archiv Linksfraktion - Rede von Nicole Gohlke,

Herr Präsident / Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen,
Die Bundesregierung hat gerade das „Gesetz zur Flexibilisierung von haushaltsrechtlichen Rahmenbedingungen außeruniversitärer Wissenschaftseinrichtungen“ beschlossen – ein Vorhaben, das Sie euphemistisch „Wissenschaftsfreiheitsgesetz“ nennen. Allerdings wird bei Ihnen der große Verfassungsgrundsatz der Freiheit von Forschung und Lehre auf die Deregulierung staatlicher Steuerung und auf unternehmerische Institutsführung reduziert. Ihre Wissenschaftsfreiheit ist die Freiheit, SpitzenwissenschaftlerInnen in den Bereichen einzusetzen, in denen man private Geldgeber findet. Das ist Freiheit nach Lesart der FDP!
Die Freiheit von Forschung und Lehre ist bedroht – doch die Gefahr kommt von ganz anderer Seite.
Denn viele Forscherinnen und Forscher müssen um ihre Autonomie kämpfen. Müssen darum kämpfen, sich ihre Themen selbst aussuchen zu können, müssen darum kämpfen, wirklich erkenntnisgeleitet forschen zu können und nicht abhängig von Drittmittelgebern zu sein. Und Unternehmen und Verbände nutzen die schwache Situation der unterfinanzierten Hochschulen aus, um ihre Interessen in der Wissenschaft durchzusetzen. Nicht immer, aber auffällig oft führt das dazu, dass massiv Einfluss auf Forschung und Lehre genommen wird. Da werden Ergebnisse zurückgehalten, umgedeutet, Forschung zu bestimmten Themen untersagt oder Gefälligkeitsgutachten in Auftrag gegeben. Beispiele gefällig?
An der Humboldt-Uni Berlin soll ein Professor im Auftrag des Deutschen Atomforums eine Studie verfassen, die pünktlich zur letzten Bundestagswahl 2009 vorrechnen sollte, warum Kernenergie nicht nur den Konzernen Milliarden bringt, sondern vor allem der Gesellschaft nützt. Das Geld für diese Studie - immerhin 135.000 € sollten insgesamt fließen - kassiert der Professor über die Firma seiner Frau. Doch die Uni stellt die weitere Überprüfung des Falles ein.
Anderer Fall: die Universität Bremen hat sich 1986 eine Zivilklausel gegeben, wonach nur zu friedlichen und zivilen Zwecken geforscht werden darf, und die die Mitglieder der Universität auffordert, Forschungsmittel abzulehnen, die Rüstungszwecken dienen könnten. Nun bietet der OHB-Konzern der klammen Uni eine Stiftungsprofessur im Bereich Raumfahrttechnologie an. Bedingung: die Zivilklausel muss weg.
Oder der nächste Fall: die Deutsche Bank sponsort ein Forschungszentrum für Finanzmathematik an zwei Berliner Universitäten. Der Kooperationsvertrag wird bekannt. Er sieht Mitspracherechte der Bank bei der Berufung von Professuren vor, bei der Veröffentlichungspraxis und bei den Rechten an den entstandenen Publikationen. In strittigen Fällen soll nicht etwa die Hochschule entscheiden dürfen, sondern ein Vertreter der Bank.
Angesichts dieser Entwicklungen sieht sich mittlerweile sogar der wirtschaftsnahe Stifterverband genötigt, einen Verhaltenskodex für Stiftungsprofessuren aufzustellen.
Erschwert wird eine Aufklärung und Bewertung solcher Fälle dadurch, dass Unternehmen für ihre Kooperationsverträge mit den Hochschulen aus „wettbewerbsrechtlichen Gründen“ fast immer Geheimhaltung durchgesetzt haben, sodass niemand nachvollziehen kann, wie viel Einfluss die Unternehmen haben und wie weitreichend die Vereinbarungen sind. Die Liste der Auseinandersetzungen um die Veröffentlichung solche Verträge ist lang: BASF, Google in Berlin, der Pharmakonzern Bayer in Köln, Eon in Aachen und so weiter.
Wenn Sie etwas für die Wissenschaftsfreiheit tun wollen, Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, dann sorgen Sie zuerst einmal für Transparenz. Verträge von staatlichen Hochschulen und Forschungseinrichtungen mit Unternehmen sind keine Privatsache, sondern eine öffentliche Angelegenheit. Diese Angaben müssen offengelegt werden!
Wir brauchen Regeln für die Kooperation. Berufungen, Stellenbesetzungen, Veröffentlichungen, Patente - für diese Bereiche muss ein präziser Verhaltenskodex entwickelt werden.
Und: Wenn Ihnen die Freiheit von Forschung und Lehre wirklich ein hohes Gut ist, sollten Sie die Wissenschaft ordentlich finanzieren und vor der Einflussnahme durch Privatinteressen schützen!

Diese Rede wurde zu Protokoll gegeben.