Nicht nur Sahnebonbon, sondern Menschenrecht
Cornelia Möhring (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, es ist zu Beginn der Debatte nicht verkehrt, wenn ich noch etwas zur Bedeutung dieses Übereinkommens sage. Das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, kurz CEDAW genannt, ist das wichtigste völkerrechtliche Instrument für die Gleichstellung von Frauen. Alle Staaten, die diesen Vertrag der Vereinten Nationen unterzeichnet haben, sind zur rechtlichen und faktischen Gleichstellung von Frauen in allen Lebensbereichen verpflichtet.
Was heißt das? - Das ist eigentlich ganz einfach: Erstens darf der Staat selbst nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen. Zweitens muss er auch aktiv dafür sorgen, dass Chancengleichheit nicht nur auf dem Papier steht, sondern gesellschaftliche Realität wird.
(Beifall bei der LINKEN)
Der Staat ist außerdem verpflichtet, diese Politik auch proaktiv zu verfolgen. „Proaktiv“ bedeutet im ursprünglichen Sinne übrigens „ohne abzuwarten“, sogar „unverzüglich und mit eigenen Initiativen“. Daran hapert es dann schon ein bisschen.
Vor 30 Jahren ist dieses Übereinkommen in nationales Recht übergegangen, und seitdem überprüft der CEDAW-Ausschuss regelmäßig die Einhaltung dieses Abkommens und gibt konkrete Empfehlungen zu allen 16 Artikeln. Deutschland hat sich mit der Ratifizierung im Übrigen auch verpflichtet, diese Empfehlungen umzusetzen und mindestens ernst zu nehmen.
Liebe Frau Ferner, Ihnen persönlich nehme ich das alles ab. Wir haben ja gemeinsam direkt bei der UN dafür gestritten. Ich habe aber nicht so gute Hoffnungen in die Gesamt-GroKo wie in Sie. Auf dieser kleinen Karte, die ich hier habe, sind alle 16 Artikel des CEDAW-Abkommens verzeichnet. Vielleicht nehmen Sie die einmal mit und verteilen sie im Kabinett und in den Koalitionsfraktionen sozusagen als Leitschnur für die Gleichstellungspolitik. Das wäre doch mal etwas.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
In dem hier vorliegenden kombinierten siebten und achten Bericht der Bundesrepublik Deutschland macht es nämlich mitnichten den Eindruck, als würde die Bundesregierung das CEDAW-Abkommen wirklich ernst nehmen. Der Bericht liest sich eher wie ein schlechtes Entschuldigungsheft. In weiten Teilen wird gar nicht auf die Empfehlungen geantwortet, sondern einfach der Status quo beschrieben, gerechtfertigt und beschönigt. Wir wissen schon länger - das ist, denke ich, übereinstimmende Meinung in diesem Haus -, dass die vorherige Bundesregierung - Sie haben auf den langen Berichtszeitraum hingewiesen - gleichstellungspolitisch nicht sonderlich interessiert war. Aber der Bericht zeigt auch: Die GroKo hat keinen Plan.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie haben kein Konzept, um die Diskriminierung von Frauen wirklich grundlegend und umfassend zu bekämpfen, und Sie verstecken Ihre Planlosigkeit lediglich hinter ein paar gleichstellungspolitischen Trippelschritten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich mache das einmal exemplarisch an Artikel 11 des Abkommens fest. Inhalt von Artikel 11 sind unter anderem die Beseitigung jeder Form von Diskriminierung im Erwerbsleben, das Recht auf Arbeit sowie das Recht auf gleiches Entgelt und gleiche Sozialleistungen. Gleichstellung ist immer auch eine soziale Frage. Solange Frauen in der Armutsfalle stecken, ist Gleichstellung nicht zu erreichen, und solange Frauen ökonomisch nicht unabhängig von Ehemännern oder wem auch immer sind, ist Gleichstellung ebenfalls nicht zu erreichen. Damit sage ich nicht, dass, wenn wir ökonomisch selbstständig agierende Frauen haben, damit die Gleichstellung erreicht ist.
Der CEDAW-Ausschuss ist zu Recht besorgt über die Situation von Frauen im Erwerbsleben. Frauen sind zwar vermehrt erwerbstätig - das hat Frau Ferner eben auch bestätigt; die Erwerbsquote ist gestiegen -, aber das hat nicht zu einem Anstieg des Anteils der Erwerbsarbeit von Frauen am Gesamtarbeitsvolumen geführt. Das heißt schlicht und ergreifend: Frauen sind nur stärker in Teilzeit beschäftigt, also weniger in Vollzeit. Die Quote ist also zurückgegangen, und dafür gibt es mehr Jobs in Teilzeit. Und nicht nur das: Frauen arbeiten vorwiegend in befristeten und gering bezahlten Beschäftigungsverhältnissen. Hinzu kommen die 5,3 Millionen Minijobs, in denen auch zu zwei Dritteln Frauen arbeiten.
(Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Alles schlecht für die Rente!)
Wie antwortet die Bundesregierung im Bericht auf dieses Problem? Sie behauptet einfach, dass Frauen zum größten Teil in Normalarbeitsverhältnisse eingestiegen sind. Der Trick dabei ist: Sie rechnet alles zu Normalarbeitsverhältnissen, was über einer Wochenarbeitszeit von 21 Stunden liegt. Ehrlich gestanden, liebe Kolleginnen und Kollegen, das grenzt an Verarschung.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ein Normalarbeitsverhältnis sollte sich perspektivisch, meiner Meinung nach, im Rahmen einer 30-Stunden-Woche bewegen, und zwar für beide Geschlechter, und zu einem Gehalt, von dem man auch gut leben kann.
(Beifall bei der LINKEN)
Der CEDAW-Ausschuss sieht ebenfalls mit Besorgnis die seit langem bestehende Lohn- und Entgeltlücke. Er hat recht damit. Die Entgeltlücke zwischen den Geschlechtern liegt konstant bei 22 Prozent. Falls Ihr Gesetz das Bundeskanzleramt jemals wieder verlässt, wird das darin vorgesehene Auskunftsrecht leider weder diese Lücke schließen noch die Aufwertung von Frauenarbeit bewirken.
Auch in den Führungsetagen sind Frauen eine Seltenheit. Auch in den Bundesbehörden und Bundesministerien gibt es etliche patriarchale Hochburgen. Im Bundesrechnungshof sind gerade einmal miserable 18,92 Prozent Frauen in Führungspositionen. Auch Minister Schäuble scheint weibliches Führungsvolk eher zu scheuen: Bei ihm sind von den 202 Führungskräften gerade einmal ein Fünftel weiblich. Nur im Bundesrat ist jede zweite Führungskraft eine Frau. Das zeigt aber: Wenn die Hausleitung es wirklich will, dann geht es auch.
(Beifall bei der LINKEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frauen in Deutschland bekommen weniger Geld und haben weniger Chancen, aber Frauen arbeiten nicht weniger. Das stellt auch der CEDAW-Ausschuss fest und bemängelt die Folgen, zum Beispiel für die Altersversorgung von Frauen. Frauen arbeiten mit 45,5 Stunden pro Woche im Durchschnitt eine Stunde länger als Männer. Zwei Drittel dieser Zeit leisten sie unbezahlt, das sind immerhin 29,5 Stunden. Diese unbezahlte Arbeit umfasst etliches: Haushaltsführung, aber auch die Betreuung und Pflege von Kindern und anderen Haushaltsmitgliedern, Unterstützung für Personen, die nicht im Haushalt leben, und noch einiges mehr. Frauen schaffen also den Löwenanteil der Tätigkeiten weg, ohne die unsere Gesellschaft überhaupt nicht existieren könnte. Was bekommen sie dafür? Eine schlechtere Bezahlung, und wenn sie erwerbslos werden, haben sie nicht einmal einen eigenen Anspruch auf Sozialleistungen, weil sie in Bedarfsgemeinschaften gepresst werden. Für die Alterssicherung hat das alles schwerwiegende Folgen.
(Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Wohl wahr!)
In Deutschland beziehen Frauen nur 60,6 Prozent der Alterseinkommen der Männer, oder anders ausgedrückt 39,4 Prozent weniger.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine der heftigsten Diskriminierungen ist Armut. Die Schere zwischen Arm und Reich hat mittlerweile völlig absurde Ausmaße erreicht. Im Jahr 2014 waren rund 12,5 Millionen Menschen in Deutschland arm oder armutsgefährdet. Auch hier finden wir mehr Frauen als Männer. Alleinerziehende das sind auch zu 90 Prozent Frauen tragen ein besonders hohes Armutsrisiko. 40 Prozent von ihnen sind einkommensarm.
Wie antwortet die Bundesregierung? Sie spart Fragen der Arbeitsteilung fast aus und meint, das Problem sei mit der Elternzeit und dem Elterngeld Plus fast erledigt. Sie hält weiter daran fest, dass Frauen sich eine dauerhafte und gut bezahlte Erwerbsarbeit suchen sollten, trotz der vorgetragenen Fakten und Daten. Ich finde das geradezu unerträglich.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Alle Frauen - wirklich alle Frauen! - haben eine eigenständige Perspektive verdient, und zwar nicht nur als Sahnebonbon, sondern als Menschenrecht.
Der gesamte Bericht zu allen Artikeln liest sich leider so wie beschrieben. Entschlossenes Handeln wäre jetzt aber angemessener, damit die zahlreichen Frauen nicht länger diskriminiert werden und endlich ökonomisch unabhängig leben können. Die Linke will gerechte und gleiche Löhne, die Aufwertung von Frauenarbeit, endlich mehr Personal in der Pflege, eine sanktionsfreie Mindestsicherung, die Abschaffung von Bedarfsgemeinschaften und nicht zuletzt eine armutsfeste gesetzliche Rente.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Linke meint gleichstellungspolitisch und darüber hinaus: Das muss drin sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)