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Frauen in Wissenschaft und Forschung

Archiv Linksfraktion - Rede von Petra Sitte,

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

was lange währt, wird endlich gut, könnte man angesichts der Tatsache, dass ich ziemlich genau vor einem Jahr bereits eine Rede zum heutigen Thema „Geschlechtergerechtigkeit in Wissenschaft und Forschung“ gehalten habe, denken.

Seitdem hat der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung eine Öffentliche Anhörung dazu durchgeführt, die Grünen und wir haben je einen Antrag vorgelegt und nun legt gerade noch vor der Sommerpause die Große Koalition ihre Strategie für Gleichstellung in der Wissenschaft vor. Wird also alles gut? Es gibt zunächst einmal einen Erfolg zu verzeichnen: Die Problematik der geringen Repräsentanz von Frauen in der Wissenschaft ist breit in der Politik angekommen. Und - die Koalition hat sich wichtigen Ergebnissen der Anhörung angeschlossen, die auch wir vorgebracht haben. Doch bei zentralen Aspekten hätten wir Ihnen mehr Mut gewünscht. Es freut uns, dass die Koalition verbindliche Zielvereinbarungen zur Gleichstellung mit öffentlich geförderten Forschungseinrichtungen und mit Hochschulen einfordert.

Dass die Zielvereinbarungen finanziell sanktioniert werden sollen, ist ein echtes Novum - Darauf drängt DIE LINKE seit langem. Doch da Hochschulen Ländersache sind, hätte man auch die Bund-Länder-Verhandlungen zum Hochschulpakt II zum Anlass nehmen sollen, die Länder auf die Politik geschlechterorientierter Zielvereinbarungen zu verpflichten. Dass das vonnöten ist, zeigt das sehr unterschiedliche Verständnis von Frauenförderung in den einzelnen Ländern heute. Erfreulich ist wiederum die Erkenntnis der Koalition, dass ohne angemessene Vertretung von Frauen in Berufungs- und Gutachtergremien und ohne Geschlechtersensibilisierung durch Schulungen, das Vorrücken von Frauen auf Spitzenpositionen nicht erfolgversprechend ist. Transparente Bewerbungsverfahren mit verstärkter weiblicher Mitbestimmung und verbindliche Quoten für Leitungspositionen halten wir für ganz wichtig. Warum dann aber nicht über eine institutionalisierte Nachwuchsförderung insgesamt nachdenken?

In der Anhörung haben viele Experten darauf hingewiesen, dass die Ansiedlung von Promotionen und Habilitationen am Lehrstuhl eine persönliche Abhängigkeit von den Betreuenden bedeutet, die sich für Frauen besonders nachteilig auswirkt. Deshalb fordern wir in unserem Antrag den Anstoß zur Debatte eine Nachwuchsförderung, die am Fachbereich geregelt und durch Personalverantwortliche professionell betreut wird. Einen Aufschlag dazu könnte der Wissenschaftsrat machen.

Der letzte und zugleich wichtigste Punkt, der mir am Herzen liegt, erfordert eine andere Perspektive auf Frauen. Ich finde, man muss nicht nur die aktive Ausgrenzung von Frauen im Blick haben. Sondern sich auch fragen, wo sie sehr rational sind und sich trotz Befähigung vielleicht bewusst gegen eine wissenschaftliche Karriere entscheiden. Weil ihre Vorstellungen von einem guten Leben darin nicht unterzubringen sind. Ich spreche hier von der Vereinbarkeit von Karriereplanung, geregeltem Einkommen, Familie und sozialen Kontakten. Damit ist einerseits die noch vielerorts mangelhafte Infrastruktur für Kinderbetreuung gemeint. Doch zu gleich großen persönlichen Belastungen führen auch die immer kürzer befristeten Arbeitsverträge, die keine zumindest mittelfristige Planungssicherheit über Einkommen und den Ort der Beschäftigung geben. Auch die völlige zeitliche Verfügungserwartung ohne Regelungen für Ausgleich macht für viele Frauen die wissenschaftliche Berufung als Beruf unattraktiv. Hier setzen wir auf wissenschaftsspezifische tarifliche Regelungen für Hochschulen und Forschungseinrichtungen, aber auch z. B. auf Tenure-Track-Verfahren für Nachwuchsprofessuren. Die Koalition spricht zwar das Problem fehlender Möglichkeiten für Karriereplanung an, warum aber scheut sie konkrete Lösungsansätze? Das ist nur lediglich gut gemeint.

Vom FDP-Antrag schließlich trennen uns zwar nicht Welten, aber doch Grundansichten. Wir lehnen in der Diskussion um Geschlechtergerechtigkeit die Fixierung auf die Elite der Wissenschaft ab. Man kann von Spitzenkräften sprechen, von hervorragenden Individuen - statt von Elite als einer besonderen Schicht. Denn aus unserer Sicht widerspricht diese Redeweise der Anlage unseres Wissenschaftssystems, in dem diejenigen einen Platz finden, die die besondere Eignung für eine weiterführende wissenschaftliche Qualifikation nachweisen. Machen wir uns doch nichts vor: ein Blick nach ganz oben gaukelt vor, dass lediglich etwas Nachsteuerung notwendig ist.

Für PolitikerInnen ist das immer einfacher, als eine ganze Gruppe - Wissenschaftlerinnen auf unterschiedlichen Positionen - mit eben unterschiedlichen Bedürfnissen in den Blick zu nehmen. Und so macht es sich aus meiner Sicht auch die FDP recht einfach, wenn sie ein „Wünsch-Dir-Was“-Konzert in ihrem Antrag einberuft. Für wen hier Politik gemacht werden soll, ist nicht wirklich erkennbar.