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Finanzminister fährt das Land zu Gunsten schwarzer Null auf Verschleiß

Archiv Linksfraktion - Rede von Gesine Lötzsch,

Rede in der Schlussrunde der 1. Lesung / Beratung des Bundeshaushaltes 2015

Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE):

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am Mittwoch fand vor dem Bundestag eine große Demonstration statt. 62 Linienbusse aus dem ganzen Land waren nach Berlin gekommen. Die Verkehrsunternehmen übergaben eine Resolution an Bundestagsvizepräsident Singhammer, der sie dann an mich weitergab, verbunden mit freundlichen Worten für den Haushaltsausschuss. - Wir werden dieses Problem ja lösen müssen. In jedem Jahr müssen die öffentlichen Verkehrsunternehmen mehr Fahrgäste befördern. Aber die öffentlichen Mittel sind seit Jahren rückläufig. Ich weiß nicht, meine Damen und Herren, ob jemand aus der Ministerriege einmal im Berufsverkehr S-Bahn gefahren ist. Wenn nicht, sollten Sie das unbedingt einmal tun.

(Beifall bei der LINKEN)

Wann die S-Bahn kommt, ist nie ganz sicher. Wenn sie dann kommt, ist sie so überfüllt, dass viele aus diesem zweifelhaften Fahrerlebnis die Schlussfolgerung ziehen, wieder mit dem Auto zu fahren. Das ist eine fatale Entwicklung, die wir unbedingt stoppen müssen. (Beifall bei der LINKEN)

Wir alle wissen, dass nicht nur der Nahverkehr unter der schwarzen Null des Finanzministers leidet. Auch der Fernverkehr ist von der anhaltenden Investitionsverweigerung der Bundesregierung betroffen.

(Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Für den Verkehr sind die Länder zuständig!)

Im Musterland Bayern, das sich ja immer besonders positiv darstellt, sind 175 Bahnbrücken so beschädigt, dass eine Instandsetzung gar nicht mehr möglich ist. In Baden-Württemberg sind es 101 Brücken, die nicht mehr repariert werden können. Man könnte diese Aufzählung fortsetzen; das will ich hier nicht tun. Es geht aber auch um die Sanierung von Schulen, von Stromnetzen, ja auch von Straßen. Denn ganz ohne Straßen - das wissen auch Linke und, wie ich schätze, auch Grüne - geht es in unserem Land nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Meine Damen und Herren, das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung hat errechnet, dass in den Jahren 2003 bis 2013 der Substanzverlust der Infrastruktur 35 Milliarden Euro betragen hat. Das heißt nichts anderes, als dass das Land zulasten einer schwarzen Null auf Verschleiß gefahren wurde. Das ist nicht verantwortungsbewusst. Wir müssen den Investitionsstau endlich auflösen, um nicht die Zukunft unseres Landes zu verspielen.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Der Finanzminister hat in seiner Einbringungsrede zum Haushalt häufig das Wort „Verlässlichkeit“ benutzt. Aber dabei dachte er augenscheinlich weniger an die 27 Millionen Menschen, die jeden Tag mit dem öffentlichen Nahverkehr zur Arbeit oder zur Schule fahren. Diese Menschen erwarten eine verlässliche Bundesregierung, die sich darum kümmert, dass auch der Nahverkehr verlässlich ist. Das ist eine der wichtigsten Fragen, betrifft sie doch immerhin ein Viertel der Bevölkerung. Ihr gegenüber ist die Bundesregierung nicht verlässlich. Das muss sich ändern, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Schäuble ‑ er ist nicht anwesend ‑ bezog das Wort „Verlässlichkeit“ auch auf die Finanzmärkte. Ich frage: Warum können wir uns sechs Jahre nach der größten Finanzkrise in der jüngeren Geschichte immer noch nicht auf die Finanzmärkte verlassen? Warum dürfen auf den Finanzmärkten wieder Produkte gehandelt werden, die diese Krise mitverursacht haben? Das ist nicht in Ordnung, und das muss beendet werden!

(Beifall bei der LINKEN)

Ich würde es gut finden, wenn wir uns auf einen gut regulierten Finanzmarkt verlassen könnten, einen Finanzmarkt, der keine Glücksspiele veranstaltet, sondern einen Beitrag zur Finanzierung unserer verschlissenen Infrastruktur leistet. Das wäre der richtige Weg. Ich erinnere Sie alle nur an die Finanztransaktionsteuer, die schon 2010 Bestandteil des Zukunftspaketes war. 2 Milliarden Euro sollten ab 2012 in die Bundeskasse fließen. Bis heute ist davon kein einziger Cent angekommen.

Herr Schäuble hat jetzt einen bemerkenswerten Vorschlag gemacht: Er will den Wegfall des Solidaritätszuschlages durch die Erhöhung der Einkommensteuer ausgleichen. Da fragen wir doch: Warum hat er denn die fehlenden Einnahmen aus der Finanztransaktionsteuer nicht zum Beispiel durch eine höhere Besteuerung von Dividenden ausgeglichen? Allein die Familien Porsche und Piëch haben 2014 eine Dividendenausschüttung von 335 Millionen Euro erhalten. Wäre es nicht die Pflicht einer Regierung, an der die SPD beteiligt ist, diesen überbordenden Reichtum endlich zu begrenzen?

(Beifall bei der LINKEN)

Aber zurück zum Solidaritätszuschlag. Die Idee von Herrn Schäuble und Herrn Scholz ist es, die Einkommensteuer zu erhöhen und die kalte Progression abzuschaffen. So weit, so gut. Aber im Ergebnis soll es für den Steuerzahler ein Nullsummenspiel werden. Das wiederum ist nicht gut.

Ich sehe in der Abschaffung des Solidaritätszuschlages allerdings zwei Vorteile:

Erstens besteht die Chance, dass wir endlich einmal die Gelegenheit ergreifen, unser Steuersystem sozial gerechter zu gestalten.

Zweitens ‑ das ist für mich das Entscheidende ‑ besteht die Chance, der allgemein verbreiteten Auffassung zu begegnen, die Gelder aus dem Solidaritätszuschlag seien Mittel, die aus dem Westen in den Osten fließen. Das ist schon lange nicht mehr der Fall. Darum sollten wir auch mit diesem falschen Namen endlich aufhören.

(Beifall bei der LINKEN)

Zurzeit speisen sich die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag zu 67 Prozent aus Lohnsteuerzahlungen. Ich denke, bei einer Neuregelung sollten endlich einmal die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer steuerlich entlastet werden. Es wäre an der Zeit, die Vermögensteuer wieder einzuführen, eine Millionärssteuer zu erheben und endlich die Erbschaftsteuer zu erhöhen. Dann hätten wir auch mehr Geld in der Kasse.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, Herr Schäuble machte in seiner Rede deutlich, dass er doch bereit ist, über höhere Investitionen nachzudenken. Das ist gut. Nicht gut ist aber, dass diese höheren Investitionen in erster Linie als Renditen für Kapitaleigner gedacht waren. Der Bundesrechnungshof ‑ das hat heute schon mehrfach eine Rolle gespielt ‑ hat Projekte, die in öffentlich-privater Partnerschaft durchgeführt wurden, genau unter die Lupe genommen und kam zu dem Schluss, dass kommerzielle Unternehmen eben nicht wirtschaftlicher arbeiten als öffentliche Unternehmen. Im Gegenteil: Der Staat kann gerade zurzeit viel einfacher an billiges Geld kommen als kommerzielle Unternehmen.

Es gibt eine lange Liste von Public-private-Partnership-Projekten, die zum Nachteil von Städten, Ländern und Kommunen waren. Wir müssen uns alle nur an Folgendes erinnern: Wie war es denn mit der Maut und Toll Collect? Toll Collect, ein Konsortium von Deutscher Telekom und Daimler-Benz, schuldet dem Staat noch heute Unsummen an Geld.

(Roland Claus (DIE LINKE): 5 Milliarden Euro!)

- Es sind 5 Milliarden Euro, ruft mein Kollege Claus dazwischen. ‑ Allein die Anwaltskosten für das Schiedsverfahren betrugen für den Bund bisher 66,4 Millionen Euro. Davon hätte man eine Menge Schulen sanieren können. Ich glaube, das wäre eine bessere Verwendung für dieses Geld gewesen.

(Beifall bei der LINKEN)

PPP-Projekte ‑ so kann man zusammenfassen ‑ sind ein Fass ohne Boden und durch Parlamente eben nicht zu kontrollieren. Darum raten wir als Linke Ihnen: Lassen Sie endlich die Hände von diesem Unsinn!

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Swen Schulz (Spandau) (SPD))

Der Finanzminister hat das Wort „Verlässlichkeit“ noch an einer anderen Stelle in seiner Rede verwendet, und zwar ging es um das Wahlversprechen der Union, auf Steuererhöhungen zu verzichten. Er sagte, das gehöre zu den verlässlichen Rahmenbedingungen für private Investoren. Ich glaube, hier muss er sich noch ein bisschen mehr überlegen; denn der Chef des DIW, des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, der gleichzeitig neuer Investitionsbeauftragter von Herrn Gabriel ist, sprach von 500 Milliarden Euro, die bei deutschen Unternehmen auf der hohen Kante liegen und eben nicht investiert werden. Ich glaube, hier müssen Sie tätig werden. Diese Investitionen werden in unserem Land sehr dringend gebraucht.

(Beifall bei der LINKEN)

Es gibt aber auch immer mehr wohlhabende Menschen, die erkennen, dass sie einen größeren Beitrag für unser Land leisten müssen. Ich finde, darauf sollten wir auf keinen Fall verzichten. Allerdings erkennen dies nicht alle. Steuerhinterziehung ist noch immer ein Sport der Vermögenden.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Na, na! Was hat das mit Sport zu tun?)

Trotz der großen Steuerskandale der letzten Jahre sagt der Finanzminister, die strafbefreiende Selbstanzeige habe sich bewährt.

(Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Hat sich auch bewährt!)

Es ist doch absurd, dass sich Steuerhinterzieher freikaufen können, während sogenannte Schwarzfahrer wegen Beförderungserschleichung im Gefängnis landen. Das ist ein Zustand, den wir nicht mehr länger hinnehmen wollen.

(Beifall bei der LINKEN)

In dieser Woche ist sehr viel über Außenpolitik gesprochen worden ‑ zu Recht. Über Waffenlieferungen in Krisengebiete wurde häufig kontrovers diskutiert. Meiner Meinung nach haben wir aber zu wenig über die Ebola-Epidemie gesprochen. 2 097 Tote ‑ so viele Opfer hat die Ebola-Epidemie laut Weltgesundheitsorganisation allein in den drei am schwersten betroffenen Ländern Guinea, Liberia und Sierra Leone bisher gefordert. Die Experten der Weltgesundheitsorganisation rechnen mit einer sehr viel größeren Dunkelziffer, und eine positive Tendenz ist bisher nicht in Sicht.

Das ist doch wirklich eine humanitäre Katastrophe. Ich finde, hier reicht es nicht, nur wenige Krankenschwestern und Ärzte hinzuschicken, hier müssen wir mehr tun. Das Mindeste ist auf jeden Fall, dass wir im Einzelplan des Gesundheitsministeriums die Kürzung der Mittel für internationale Aufgaben zurücknehmen. Wir müssen uns hier mehr engagieren und dürfen nicht immer nur über Waffenlieferungen in Krisengebiete reden.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich will es Ihnen ganz deutlich sagen: Meine Fraktion wird sich nie damit abfinden, dass Waffenlieferungen in Krisengebiete für diese Bundesregierung immer eine höhere Priorität haben als die direkte humanitäre Hilfe. Wir stehen für humanitäre Hilfe und gegen Waffenlieferungen in Krisengebiete.

(Beifall bei der LINKEN - Volker Kauder (CDU/CSU): Das ist doch Quatsch, was Sie da sagen! Ein solcher Quatsch!)

‑ Herr Kauder, wenn Sie sich so erregen, dann kann das, was ich sage, ja nicht ganz falsch sein; das ist ja wohl ganz logisch.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN ‑ Volker Kauder (CDU/CSU): Ich rege mich überhaupt nicht auf! Ich wundere mich nur über manches dumme Geschwätz!)

Meine Damen und Herren, der Haushalt 2015 sollte aus Sicht der Linken einen Beitrag dafür leisten, die soziale Spaltung in unserer Gesellschaft, in Europa und in der Welt zu verringern und unsere gemeinsame Zukunft zu sichern. Bisher erfüllt dieser Haushaltsentwurf diesen Anspruch nicht. Wir werden uns in den Haushaltsberatungen dafür einsetzen, dass die Menschen, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, die eine bessere Bildung wollen und die sich für ihre Gesundheit eine solide Grundlage wünschen, von uns unterstützt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Diese Menschen machen sich nicht in allererster Linie Sorgen um die schwarze Null.

Um es ganz klar zu sagen: Wir als Linke wollen keine neuen Schulden; wir sind für den Schuldenabbau. Aber ‑ ‑

(Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): Ach! ‑ Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Aber?)

‑ Ich erkläre Ihnen das „Aber“ gleich, weil ich Ihnen sagen werde, wie wir uns das vorstellen.

Vizepräsidentin Claudia Roth: Aber nicht mehr so lange, Frau Kollegin.

Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Ich bin sofort fertig. Durch die Zwischenrufe wurde meine Redezeit ja etwas verlängert.

(Lachen bei der SPD ‑ Johannes Kahrs (SPD): Das ist eine neue Interpretation!) Ich bin aber sofort fertig.

Vizepräsidentin Claudia Roth: Bitte, Frau Kollegin.

Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Wir wollen endlich ein gerechtes Steuersystem. Dann ist unsere Zukunft auch zu sichern. Wir wollen, dass wir mit einem gerechten Steuersystem genügend Einnahmen haben, um unsere Zukunft für alle und nicht nur für einige wenige sozial gerecht zu sichern.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)