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"Ein starker Staat für die innere Sicherheit, ein schwacher Staat für die soziale Sicherheit" (Rede)

Archiv Linksfraktion - Rede von Gesine Lötzsch,

Rede zu den Haushaltsberatungen des Bundestages

Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE):

Vielen Dank. Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Stellen Sie sich vor, Sie beobachten in einem Einkaufszentrum einen Taschendieb, der gerade einen Passanten dreist um eine beträchtliche Summe erleichtert. Doch dann er rennt nicht weg. Nein, er hält die Geldscheine in die Höhe und strahlt über das ganze Gesicht. Jeder würde doch denken: Dieser Mann ist verrückt. Nicht so in der Politik. Die Bundesregierung hat mit der umfangreichsten Steuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik den Bürgern kräftig in die Tasche gegriffen, und nun sehen wir den Finanzminister aus allen Zeitungen strahlen. Er freut sich über sein gelungenes Gesellenstück. Erstaunlich ist nur, dass keiner ruft: Haltet den Dieb!
(Beifall bei der LINKEN)
Zur Erinnerung: Die Bundesregierung hat nicht nur die Mehrwertsteuer erhöht, sondern auch die Versicherungsteuer. Sie hat die Entfernungspauschale und den Sparerfreibetrag verringert, und auch der Beitragssatz für die Renten- und Krankenversicherungen stieg im Januar. Verwundert es da, dass sich keiner so richtig mit Herrn Steinbrück freuen kann? Wie wir heute in einer Zeitung lesen können, genießt er das gesammelte Misstrauen der SPD.
Doch eine Ausnahme gibt es: Die Unternehmensteuerreform tritt im nächsten Jahr in Kraft und wird vor allem die
großen Konzerne um mindestens 10 Milliarden Euro entlasten.
In vielen Zeitungen kann man ausführliche Analysen lesen, warum die SPD in der Wählergunst so schlecht dasteht. Doch das kann man sich eigentlich sparen, wenn man nur zwei Sachverhalte zur Kenntnis nimmt:
Erstens. Die Konzerne, die sich vor Profiten kaum retten können, werden weiter finanziell entlastet. Wahrhaft
sozialdemokratische Politik, sage ich dazu nur.
(Beifall bei der LINKEN)
Zweitens. Die Arbeitslosengeld-II-Empfänger sollen trotz der gestiegenen Lebensmittelpreise und der Explosion der Energiepreise keinen Cent mehr bekommen.„Kalt und streberhaft“ nennt der Politikwissenschaftler Franz Walter die Politik der SPD, und immer mehr SPD-Wähler teilen diese Ansicht. Die aktuelle Studie Die Ängste der Deutschen 2007 kommt zu dem Ergebnis, dass die Deutschen am meisten Angst davor haben, dass alles teurer wird. Das ist natürlich nicht im Sinne von CDU und CSU. Besonders Herr Schäuble hat sich zum Ziel gesetzt, dass spätestens im nächsten Jahr die Angst vor dem Terror an erster Stelle in den Umfragen stehen soll. Denn die Bundesregierung weiß, dass sich ein Land einfacher regieren lässt, wenn die Menschen Angst haben. Das ständige Schüren von Angst ist nötig, um die gigantischen Ausgaben im Kampf gegen den Terror zu rechtfertigen. Ich will Sie nur daran erinnern, dass das 132-Millionen-Euro-Programm zur Stärkung der inneren Sicherheit, das der Innenminister in einer Nacht-und-Nebelaktion durch den Bundestag geschleust hat, hier schon fast totgeschwiegen werden soll.
Der weltweite Antiterrorkampf hat natürlich auch den Appetit des Verteidigungsministers angeregt. Für seinen
Haushalt sind 29 Milliarden Euro vorgesehen. Das ist mehr, als die Bundesregierung für zivile Investitionen
ausgibt, und damit eine wirkliche Schieflage.
(Beifall bei der LINKEN)
Der ehemaliger CDU-Generalsekretär Geißler antwortete auf die Frage eines Journalisten, was Konservatismus
heute ausmacht, wie folgt ich zitiere die Berliner Zeitung vom 6. September 2007 -:
Es ist schon erstaunlich, welche Widersprüche sich da so auftun: ein starker Staat für die innere Sicherheit,
ein schwacher Staat für die soziale Sicherheit merkwürdige Vorstellungen der sogenannten Neokonservativen.
Ich fordere Sie auf, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, nehmen Sie sich diese Worte Ihres ehemaligen Generalsekretärs zu Herzen, und denken Sie darüber nach!
(Beifall bei der LINKEN)
Wir Linke haben gute Vorschläge, wie man die Steuergelder der Bürgerinnen und Bürger besser und vor allen
Dingen gerechter ausgeben kann. Herr Struck hat den untauglichen Versuch unternommen, uns nachzuweisen, dass
unsere Finanzierungsvorschläge unseriös seien. Zum Ausdruck und Beweis seiner eigenen Seriosität meinte Herr Steinbrück, unsere Vorschläge als Voodoo-Ökonomie bezeichnen zu müssen. Ich glaube, eine billigere Propaganda kann man sich gar nicht vorstellen.
(Beifall bei der LINKEN)
In ihrer Rechnung hat die SPD-Führung nämlich völlig außer Acht gelassen, dass wir Gegenvorschläge und auch
sehr viele schöne Kürzungsvorschläge insbesondere hinsichtlich des aufgeblähten Verteidigungshaushaltes
haben. Aber auch hinsichtlich der Einnahmen haben wir viele Vorschläge für eine gerechtere Steuerpolitik.
Unsere Vorschläge zur Abschaffung des Mittelstandsbauches haben Sie, Herr Steinbrück, genau umgekehrt dargestellt. Sie haben behauptet, wir wollten den Mittelstand belasten. Die Wirklichkeit ist anders: Der Mittelstand und die Facharbeiter würden durch unsere Vorschläge entlastet.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich fordere Sie hier noch einmal auf: Nehmen Sie die Unternehmensteuerreform zurück, werfen Sie den
Unternehmen das Geld nicht hinterher! Wir werden unsere Vorschläge in den Haushaltsberatungen und in der
Öffentlichkeit vortragen. Ich bin mir sicher: Auch wenn die Vorschläge hier in diesem Haus nicht die Mehrheit
finden sollten, ihre Wirkung in der Öffentlichkeit werden sie nicht verfehlen. Das können Sie nicht zuletzt an unseren Umfragewerten ablesen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)

Rede, gehalten im Deutschen Bundestag am 11.09.2007 zu den Haushaltsberatungen der Bundesregierung.