Petra Pau in der Aktuellen Stunde zur Haltung der Bundesregierung zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz: Das Bundesverfassungsgericht hat am 15. Februar 2006 das so genannte Luftsicherheitsgesetz für verfassungswidrig und damit für null und nichtig erklärt. Niemand hat das Recht, Menschenwürde zu gewichten und das Leben der einen zu schützen, indem man das Leben der anderen dem Tode weiht. Niemand heißt, auch der Staat darf es nicht, nicht die Regierung, nicht das Parlament.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundesverfassungsgericht hat vorgestern das so ge¬nannte Luftsicherheitsgesetz für verfassungswidrig und damit für null und nichtig erklärt. Ich persönlich möchte anmerken: Ich bin darüber sehr froh. Das Luftsicher¬heitsgesetz war eine Lizenz zum Töten. (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU) Noch vor ein paar Jahren hätte ich nicht geglaubt, dass ausgerechnet Rot-Grün so etwas beschließen würde. Sie taten es dennoch. Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt: Nie¬mand hat das Recht, Menschenwürde zu gewichten und das Leben der einen zu schützen, indem man das Leben der anderen dem Tode weiht. Niemand heißt, auch der Staat darf es nicht, nicht die Regierung, nicht das Parla¬ment. Karlsruhe hat mit diesem Urteil zugleich die Kern-argumente der FDP und der damaligen PDS im Bundes¬tag bestätigt. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen es: Es ging beim Luftsicherheitsgesetz nicht nur um die Frage, ob ein von Terroristen entführtes Flugzeug mit¬samt der als Geiseln genommenen Passagiere abge¬schossen werden darf. Es ging immer auch um die Frage, ob die Bundeswehr umfassender, als es im Grundgesetz ohnehin erlaubt ist, im Innern der Bundesrepublik einge¬setzt werden darf. Die Linksfraktion sagt dazu Nein. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Es gibt gute Gründe für das Gebot der Trennung von Polizei und Bundeswehr: historische, politische und sachliche. Es gibt auch gute Gründe dafür, dass die Bun¬deswehr Bundessache ist und die Polizei Ländersache. Die Erfinder des Luftsicherheitsgesetzes wollten beides umgehen: das Trennungsgebot und die jeweiligen Zu¬ständigkeiten. Das Bundesverfassungsgericht hat das in seiner Begründung als Kompetenzüberschreitung des Parlaments kritisiert. Seitdem - so liest und hört man je¬denfalls - grübeln insbesondere Unionspolitiker darüber, wie sie trotz des Karlsruher Urteils die Bundeswehr im Innern einsetzen könnten. Ich finde, das ist arrogant und auch tollkühn. (Beifall bei der LINKEN) Es gibt hierzulande eine Gruppe, die in letzter Zeit auf¬fällig oft mit der Verfassung bricht, nämlich ausgerech¬net die Minister, die für den Schutz der Verfassung zu¬ständig sind. Die regelmäßige Folge des Ganzen ist, dass wir uns immer wieder vor dem Bundesverfassungsge¬richt treffen. Die Frage nach dem Einsatz der Bundeswehr im In¬nern ist inzwischen uralt und wird immer wieder einmal von der Union aufgeworfen, so auch schon vor 15 Jah-ren, als Wolfgang Schäuble ebenfalls Innenminister war. Seitdem sucht sich die Union für die Umsetzung dieses Vorhabens ständig neue Anlässe. Nunmehr ist es die Fußballweltmeisterschaft. Der Anlass ist gut gewählt, denn angesichts der zunehmenden Euphorie werden Grundrechte ganz schnell an den Rand gedrängt. Gerade deshalb mahne ich: Die Weltmeisterschaft soll kommen, aber die Grundrechte müssen bleiben. Ich appelliere auch an Sie: Die Fußballweltmeisterschaft darf nicht län¬ger mit Ängsten beladen und politisch missbraucht wer¬den. Jeder weiß, Großveranstaltungen sind immer beson¬dere Herausforderungen für die innere Sicherheit. Eine seriöse Debatte darüber wäre durchaus sinnvoll, eine Geisterdebatte zum Einsatz der Bundeswehr ist es nicht. Dieser Tage fand übrigens hier in Berlin ein europäi¬scher Polizeikongress statt. Auf ihm sprach auch Bran¬denburgs Innenminister Schönbohm. Er sprach verblüf¬fend offen und für mich auch erhellend. Es könne sein - so sein Szenario -, dass sich 1.-Mai-Krawalle in Berlin hinziehen, bis die Polizei erschöpft ist. Dann müsse doch die Bundeswehr eingreifen; das müsse sie dann auch dürfen. Ich danke Herrn Schönbohm für diese Offenheit. Ich gehöre nicht zu denen, die alles schwarzweiß oder schwarzrot sehen. (Zurufe von der CDU/CSU: Ach nein!) Aber zur selben Zeit, da der Ex-General über Bundes¬wehreinsätze in Berlin-Kreuzberg nachdenkt, erhalten wir Botschaften aus Osnabrück. Dort soll die Polizei 1-Euro-Jobbern den Weg gebahnt haben, damit diese den aktuellen Verdi-Streik brechen. Das wäre ein Ein¬griff in die Tarifautonomie. Das alles lässt natürlich nichts Gutes ahnen. Im Gegenteil, es nährt den Verdacht, die Koalition bereite sich sehr wohl auf verstärkte so¬ziale Auseinandersetzungen und Unruhen vor und benö¬tige dafür die Bundeswehr im Innern. Auch deshalb vermute ich, Ihr Kollege Schönbohm hat Ihnen, Herr Bundesinnenminister Schäuble, mit sei¬nen offenen Worten hier in Berlin einen Bärendienst er¬wiesen. Allerdings ist das Ihr Problem. Schönbohm hat bestätigt, was ohnehin in der Luft liegt: Es geht gar nicht um die Fußballweltmeisterschaft, sondern um die Milita¬risierung der Innenpolitik. Ich denke, genau das dürfen Demokraten und Liberale nicht zulassen. (Beifall bei der LINKEN - Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Interessante Formulie¬rung: „Demokraten und Liberale“!)Die Spiele sollen kommen, die Grundrechte müssen bleiben.
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Rede
von
Petra Pau,