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Die Lösung heißt Kindergrundsicherung!

Archiv Linksfraktion - Rede von Janine Wissler,

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die AfD fordert ein Familiensplitting im Steuerrecht, angeblich, um die Kinderarmut zu bekämpfen. Das ist natürlich ein ziemlicher Unsinn; denn durch das Splitting profitieren in erster Linie Besserverdienende, es profitieren nicht Menschen, die zu Niedriglöhnen arbeiten oder die so wenig verdienen, dass sie unter den Grundfreibetrag fallen. Sie zahlen nämlich sehr wenige Steuern oder gar keine Steuern, wenn ihr Einkommen unter dem Grundfreibetrag liegt. Das heißt, sie würden dann auch nicht von Entlastungen profitieren. Die Menschen im Sozialleistungsbezug profitieren natürlich erst recht nicht.

(Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Das ist die Wahrheit!)

Ich will das Prinzip des Splittings und seine Verteilungswirkungen kurz erläutern: Beim Ehegattensplitting werden die Einkünfte der Ehepartner zusammengerechnet und gemeinsam besteuert. Wenn ein Partner gar kein Einkommen hat und der andere 30 000 Euro im Jahr verdient, dann werden also beide so besteuert, als würden sie jeweils 15 000 Euro jährlich verdienen.

(Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Das ist doch gerecht!)

Die Lohnsteuer für beide zusammen beträgt dann ungefähr 110 Euro pro Jahr. Ohne den Splittingvorteil würde der eine Partner aber gar keine und der verdienende Partner über 3 000 Euro Lohnsteuer zahlen.

(Jörn König [AfD]: Das ist der Sinn der Familie: dass man solidarisch zusammensteht!)

Das heißt, die Ehepartner sparen durch das Splitting etwa 3 000 Euro Steuern pro Jahr. Und das kann man bei einem Jahreseinkommen von 30 000 Euro auch ganz gut gebrauchen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ungerecht wird es aber eben dann, wenn der eine Partner wenig oder gar nichts verdient und der andere ein Spitzeneinkommen hat.

(Jörn König [AfD]: Warum?)

Denn ein solches Ehepaar spart eben nicht 3 000 Euro, sondern bis zu 17 700 Euro Steuern.

(Jörn König [AfD]: Leistung muss sich lohnen!)

Das ist alles andere als gerecht. Das ist schlicht die Verschwendung von Steuergeld; denn ein Konzernchef und seine nichtverdienende Ehefrau brauchen diese Steuerersparnis nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Leni Breymaier [SPD] und Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es gibt auch gar keinen vernünftigen Grund, Menschen steuerlich zu fördern, nur weil sie geheiratet haben. Und es gibt erst recht keinen vernünftigen Grund, ein Lebensmodell steuerlich zu fördern, bei dem der Mann sehr viel und die Frau wenig oder nichts verdient, weil sie nicht arbeiten geht und sie von ihrem Mann immer wieder erklärt kriegt, sie solle auch nicht arbeiten gehen, weil sich das aufgrund des Splittings sowieso nicht lohne.

(Jörn König [AfD]: Wo leben Sie denn? Ehrlich! Das gibt es heute doch gar nicht mehr!)

Das programmiert Altersarmut vor, das schafft ökonomische Abhängigkeiten. Deshalb sehen wir das Ehegattensplitting grundsätzlich als Problem, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Der AfD gefällt es natürlich, weil die Alleinverdienerehe zu ihrem reaktionären Frauen- und Familienbild passt.

(Zuruf der Abg. Mariana Iris Harder-Kühnel [AfD])

Die Ungerechtigkeiten, die damit verbunden sind, wollen Sie jetzt weiter ausbauen, indem Sie reiche Familien steuerlich noch stärker entlasten.

(Jörn König [AfD]: Fleißige Familien! Fleißige Familien!)

Mit dem Kampf gegen Armut und erst recht mit dem Kampf gegen Kinderarmut hat das, was Sie hier machen, überhaupt nichts zu tun.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das Familiensplitting ist der völlig falsche Weg im Kampf gegen Armut. Was wir brauchen, sind doch keine weiteren Steuererleichterungen für Besserverdiener; was wir brauchen, ist eine Kindergrundsicherung. Das ist der richtige Weg.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Förderung von Kindern hat im Steuerrecht doch überhaupt nichts verloren. Sonst bleibt es ewig bei dem Prinzip, dass Kinder reicher Familien steuerlich mehr gefördert werden als Kinder in armen Familien. Und die Kindergrundsicherung funktioniert genau so nicht. Deswegen fordern Sozialverbände, Gewerkschaften, andere gesellschaftliche Akteure und wir als Linke eine eigenständige Kindergrundsicherung. Das hat ja auch Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden und harrt noch seiner Umsetzung.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind dabei!)

Nötig ist genau das, nämlich ein deutliches höheres Kindergeld von etwa 330 Euro pro Monat und darüber hinaus für ärmere Familien eine Erhöhung dieses Betrags auf 630 Euro.

(Beifall bei der LINKEN)

Damit wären die Kinder auch endlich raus aus diesem ganzen Hartz‑IV-Drangsalierungssystem, das ab nächstem Jahr „Bürgergeld“ heißt.

Meine Damen und Herren, Kinder und Familien brauchen eine gesicherte finanzielle Basis. Sie brauchen aber auch Kitas und Schulen, wo nicht ein Viertel der Betreuung ausfällt, weil es an Personal fehlt. Armut bekämpft man durch Tariftreue, durch höhere Mindestlöhne und durch höhere Sozialleistungen.

(Maximilian Mordhorst [FDP]: Eine starke Wirtschaft hilft gegen Armut!)

Was Familien brauchen, ist Arbeitszeitverkürzung und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf

(Martin Reichardt [AfD]: Das können auch nur die erzählen, die wie Sie wahrscheinlich noch nie vernünftig gearbeitet haben!)

durch den Ausbau von Ganztagsschulen und Kitabetreuung – alles Dinge, gegen die die AfD immer gestimmt hat, meine Damen und Herren.

Mein letzter Satz, Frau Präsidentin. – Es geht der AfD eben nicht um Armutsbekämpfung; es geht ihr um die Rückkehr zu einem Familien- und Frauenbild aus den 50er-Jahren und seine Zementierung.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Mariana Iris Harder-Kühnel [AfD]: So ein Quatsch! – Martin Reichardt [AfD]: So ein Unsinn!)