Abschließende Rede zum Bundeshaushalt 2009 am 28.11.2009
Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE):Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Woche ist eine verlorene Woche im Kampf gegen die Wirtschaftskrise. Die Bundesregierung wehrt sich mit Händen und Füßen gegen ein wirksames Konjunkturprogramm. Damit gefährdet sie Arbeitsplätze von Millionen von Menschen, nicht nur in unserem Land, und das ist verantwortungslos.
(Beifall bei der LINKEN)
China, Japan, die USA und andere europäische Staaten haben Konjunkturprogramme aufgelegt, nur die Bundesregierung meint, einen deutschen Sonderweg gehen zu können. Wenn es um den aussichtslosen Krieg in Afghanistan, wenn es um den sinnlosen Kauf von Eurofightern geht, dann steht die Bundesregierung als atlantischer und europäischer Musterschüler in der ersten Reihe. Da warnt die Bundesregierung mit erhobenem Zeigefinger vor einem deutschen Sonderweg. Wenn es aber um die Sicherung von Millionen Arbeitsplätzen geht, dann spielt die atlantische und europäische Solidarität keine Rolle mehr. Die Bundesregierung glaubt, als Trittbrettfahrer der chinesischen, japanischen und amerikanischen Konjunkturzüge mitreisen zu können. Das ist nicht nur unsolidarisch, das ist auch verantwortungslos und für Deutschland ausgesprochen gefährlich.
(Beifall bei der LINKEN)
Was bietet uns die Regierung statt eines Konjunkturprogramms an? Durchhalteparolen wir haben sie heute mehrmals gehört und die Aufforderung, doch optimistisch zu sein. Kanzlerin und Finanzminister fordern die Bürger auf, Ruhe zu bewahren. Die Finanz- und Wirtschaftskrise wird damit, Herr Steinbrück, zu einem psychologischen Problem der Konsumenten heruntergespielt. Wenn jetzt alle die Nerven behalten, so die Botschaft der Bundesregierung, dann wird die Krise schon an uns vorüberziehen. Welch eine grandiose Fehleinschätzung!
(Beifall bei der LINKEN Jürgen Koppelin (FDP): Kann es sein, dass ihr die Nerven schon verloren habt?)
Die Bundesregierung ist eine Regierung der zwei Geschwindigkeiten. Sie ist über Nacht in der Lage, ein 500-Millarden-Euro-Paket zu schnüren. Das ist eine erstaunliche Leistung, wenn man bedenkt, dass das eine Rechnung mit sehr vielen explosiven Unbekannten ist. Wir wissen gar nicht, welche faulen Kredite in den Banken schlummern und welche Risiken auf den Steuerzahler zukommen. Wir wissen gar nicht, ob die Bankenmanager, die staatliche Bürgschaften in Anspruch nehmen, in der Lage sind, ihre Geschäftsmodelle an die neue Situation anzupassen, und ob sie es überhaupt wollen.
Dazu eine aktuelle Geschichte. Ein Fernsehjournalist fuhr nach Österreich, besuchte dort Zweigstellen deutscher Banken, gab sich zum Beispiel gegenüber der Commerzbank als Kunsthändler und Steuerhinterzieher aus. Er wollte wissen, ob Banken, die das Rettungspaket der Bundesregierung in Anspruch nehmen, weiter bereit sind, den Staat zu betrügen. Die Antwort vor Ort war: Ja, sie sind dazu bereit. Das ist wirklich ein Skandal!
(Beifall bei der LINKEN Jürgen Koppelin (FDP): Eure Gelder haben sie ja auch genommen!)
Die Bundesregierung hat unter Anleitung von Herrn Ackermann sehr schnell gehandelt, hat den Banken aber keine Auflagen erteilt, sondern nur vage Kannbestimmungen vorgesehen. Wäre es nicht sinnvoll gewesen, den Banken klar zu sagen: „Wer den Staat betrügt, dem wird nicht geholfen“? Hätte man nicht regeln können, dass einer Bank, die den Pakt in Anspruch nimmt und dabei erwischt wird, wie sie Steuerhinterziehern hilft, den Staat zu betrügen, die Bürgschaften sofort wieder entzogen werden? Wo steht das im Gesetz? Das fehlt!
Wir können nur feststellen, dass die Bundesregierung in der Lage ist, im fünften Gang, sozusagen in Michael-Schumacher-Geschwindigkeit, ein hochkomplexes 500-Milliarden-Euro-Paket zu schnüren, um vom fünften Gang sofort in den Rückwärtsgang zu schalten.
Die Kanzlerin wollte dem französischen Präsidenten Sarkozy doch ernsthaft erklären, dass ein Konjunkturprogramm hier eine komplizierte Angelegenheit sei, weil Deutschland ein föderaler Staat sei und ein solches Programm mit den Ländern und den Gemeinden abgestimmt werden müsse. Das ist eine absurde Argumentation. Man weiß doch, dass auch das Bankenrettungspaket innerhalb einer Woche mit den Ländern abgestimmt wurde.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Kanzlerin erklärt den Ost-Ministerpräsidenten nach fast 20 Jahren deutscher Einheit, eine Angleichung der Ostrenten an die Westrenten sei so kompliziert, dass man mindestens noch zehn Jahre dafür brauche. Ich kann Ihnen sagen: Von unserer Fraktion, von der Fraktion Die Linke, liegen im Bundestag Anträge zur Rentenangleichung vor. Die können wir in der nächsten Woche sofort beschließen.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Regierung der zwei Geschwindigkeiten ist also kein Zufall, sondern das ist Programm. Es gibt Dinge, die für die Bundesregierung wichtig sind, die mit hoher Geschwindigkeit vorangetrieben werden, und es gibt Dinge, die der Bundesregierung nicht wichtig sind, die dann schon mal ein paar Jahre liegen bleiben können.
(Petra Merkel (Berlin) (SPD): Das finde ich richtig perfide! Unglaublich! Sie haben doch mitgemacht, dass es so schnell geht! Wenigstens das Kurzzeitgedächtnis sollte funktionieren!)
Dazu ein Beispiel. Das Bundesverfassungsgericht verpflichtete den Gesetzgeber, die Vermögensteuer spätestens bis zum 31. Dezember 1996 neu zu regeln. Dieser Termin ist seit fast zwölf Jahren verstrichen. Kein Problem! Bekanntlich dauert die Erledigung der Aufgaben am längsten, an denen gar nicht gearbeitet wird.
(Widerspruch bei der SPD)
Die Bundesregierung kann, wenn sie will, und in manchen Fällen kann sie ganz gut, wenn es sich für sie selbst lohnt. An dieser Stelle wende ich mich einmal an die Sozialdemokraten, die gerade so munter dazwischenrufen. Nur ein winziges Beispiel: Für den ehemaligen Wirtschaftsstaatssekretär Ditmar Staffelt er ist übrigens einer der Konstrukteure der Berliner Bankgesellschaft, die Berlin den Banken-Skandal gebracht hat hat es sich gelohnt. Er ging zu EADS. EADS ist der größte Auftragnehmer des Staates in Sachen Rüstung. Ein wirklich lohnender Wechsel für einen Sozialdemokraten!
Finanzminister Steinbrück wies in seiner Rede am Dienstag alle Kritik an seiner Amtsführung zurück. Keiner habe wissen können, so Herr Steinbrück, dass Lehmann Brothers zusammenbrechen würde.
(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sie wussten in der DDR noch nicht einmal, was in der nächsten Woche passiert! Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Oskar wusste das!)
Das ist richtig. Aber Sie verschweigen, Herr Steinbrück, dass Ihre Finanzpolitik und die Finanzpolitik Ihrer Vorgänger in den letzten Jahren darauf ausgerichtet war, den Finanzmarkt zu deregulieren.
(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Hätte er mal bei der Stasi anrufen sollen?)
Sie haben mit Ihrer Politik dem Kasino Kapitalismus die Türen nach Deutschland geöffnet.
(Widerspruch bei der FDP Jürgen Koppelin (FDP): Das ist so irre! Wer hat das aufgeschrieben?)
Das war kein dummer Zufall, sondern lesen Sie Ihre Koalitionsvereinbarung! das war Programm, und zwar ein falsches Programm.
(Beifall bei der LINKEN)
Es wäre an der Zeit, dass die Bundesregierung die Geschichte der Finanz- und Wirtschaftskrise aufarbeitet und ihre Fehler klar benennt. Doch dazu fehlt ihr wahrscheinlich der Mut. Aber Herr Steinbrück hat in seiner Rede ja noch Gelegenheit dazu.
Nur mal nebenbei: Von den Ostdeutschen wird dreimal am Tag die Aufarbeitung der Geschichte verlangt. Ich wende mich jetzt einmal solidarisch an die CDU. Wenn ein jetziger CDU-Ministerpräsident in den 80er-Jahren noch nicht erkannt hatte, dass 1989 die DDR nicht mehr existieren würde, dann beschäftigt das die Medien mehr als das Versagen der Bundesregierung in der größten Wirtschafts- und Finanzkrise. Da läuft doch etwas falsch in diesem Land.
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, diese Woche ist eine verlorene Woche im Kampf gegen Demokratieabbau. Ist es nicht bemerkenswert, dass die Bundesregierung auf alle Probleme reflexartig mit Demokratieabbau reagiert? Sei es das Recht auf Asyl, sei es das Recht auf Privatsphäre, sei es das Budgetrecht des Bundestages alle diese Rechte wurden beschränkt, um angeblich schwerwiegende Probleme besser lösen zu können. Wir wissen, dass mit Einschränkung von Bürgerrechten kein einziges Problem zu lösen ist.
(Beifall bei der LINKEN)
Da wir ja in der Schlussrunde der Haushaltsdebatte sind, will ich hier nur auf das Budgetrecht des Bundestages eingehen. Wir werden heute einen Haushalt von 290 Milliarden Euro für das nächste Jahr beschließen. An diesem Haushalt hängt viel Lebenszeit der Abgeordneten und der Mitarbeiter des Haushaltsausschusses, für deren Unterstützung sie sitzen ja hier alle ich mich herzlich bedanken möchte.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Carsten Schneider (Erfurt) (SPD))
Wir sind die Einzelpläne, die Kapitel und Titel mit großer Sorgfalt durchgegangen. Doch der Haushaltsausschuss steckt in einer tiefen Sinnkrise.
(Jürgen Koppelin (FDP): Bitte, was?)
Denn das 500-Milliarden-Euro-Rettungspaket wird in einem Geheimgremium von neun Abgeordneten verhandelt. Diese neun Abgeordneten können auch nur nachträglich die Entscheidung der Regierung zur Kenntnis nehmen.
(Otto Fricke (FDP): Wieso der Regierung? Die Regierung hat da nichts zu entscheiden!)
Die Opposition ist in diesem Gremium in der Minderheit und wird keine Möglichkeiten haben, in der Öffentlichkeit Alarm zu schlagen.
(Jürgen Koppelin (FDP): Das ist so wirr!)
Wie wichtig der Regierung und den Koalitionsfraktionen dieses Gremium ist, zeigt sich daran, dass es heute erstmalig zusammengetreten ist, obwohl wir alle öffentlich darüber diskutieren und gespannt darauf sind, wann welche Bürgschaften an die Banken ausgegeben werden. Demokratie darf nicht nur in Zeiten der Konjunktur, sie muss auch in Zeiten der Krise funktionieren.
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, diese Woche ist eine verlorene Woche im Kampf gegen die Armut. Die Krise trifft nicht alle Menschen gleich. Auch wenn sich einige Milliardäre verzockt und Millionen verloren haben sie werden es verschmerzen. Die Krise trifft vor allem die hart, die an ihr am wenigsten Schuld haben. Dass zum Beispiel der Finanzminister Steinbrück die Kindergelderhöhung um 10 Euro pro Monat als Konjunkturprogramm verkauft, ist einfach nur zynisch.
(Beifall bei der LINKEN Otto Fricke (FDP): In Berlin seid ihr ja dagegen! Steffen Kampeter (CDU/CSU): Die PDS in Berlin ist dagegen!)
Diese Erhöhung gleicht noch nicht einmal ich habe das schon am Dienstag ausgeführt den Kaufkraftverlust aus, den die Familien seit der letzten Kindergelderhöhung hinnehmen mussten. Bei Kindern von ALG-II-Empfängern kommt dieses Geld überhaupt nicht an. Das ist wirklich nicht hinnehmbar.
(Beifall bei der LINKEN Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Pfui!))
Die Linke hat von der Regierung Sofortmaßnahmen gefordert, um die Menschen zu schützen, die besonders hart von der Krise betroffen sein werden.
Wir fordern erstens die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Hier muss ich schon einmal an die Adresse der SPD sagen: Statt wie Frau Nahles hier gestern die FDP dafür zu beschimpfen, dass diese angeblich die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns verhindere, sollten Sie lieber einmal die Mehrheiten in diesem Saal zusammenrechnen und sich bewusst machen, dass SPD, Linke und Grüne für den gesetzlichen Mindestlohn sind. Bei aller Verehrung für die Kolleginnen und Kollegen von der FDP: Wir wissen, Sie sind dagegen, aber an Ihnen wird ein solches Vorhaben zahlenmäßig nicht scheitern.
(Otto Fricke (FDP): Sehr wohl!)
Von Ihnen, Kolleginnen und Kollegen von der SPD, fordere ich also ein bisschen mehr Ehrlichkeit.
(Beifall bei der LINKEN Jürgen Koppelin (FDP): Ich glaube, die Linke hat eine Sinnkrise!)
Zweitens fordern wir die Anhebung des Arbeitslosengeldes II auf 435 Euro, und drittens fordern wir die Erhöhung des Kindergeldes auf 200 Euro. Sie, meine Damen und Herren, haben alle diese ökonomisch und sozialpolitisch vernünftigen Vorschläge abgelehnt.
Wir als Linke lehnen diesen Haushalt ab, weil er keine Antworten auf die Finanz- und Wirtschaftskrise gibt und weil er nicht im Ansatz versucht, mit der verhängnisvollen neoliberalen Politik zu brechen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN Jürgen Koppelin (FDP): Wer hat das denn aufgeschrieben?)
Dateiende