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Die Geschichte der Vorratsspeicherung in - vorläufig - 7 Kapiteln

Archiv Linksfraktion - Rede von Petra Pau,

Petra Pau (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorweg ein Satz an Sie, Kollegin Piltz: Richtig ist, der Kollege Korte war nicht Mitglied der SED, aber ich war Mitglied der SED.

(Gisela Piltz (FDP): Ich habe gesagt: „ihnen“ klein, nicht „Ihnen“ groß!)

Aus einem schmerzhaften Auseinandersetzungsprozess mit der verfehlten Politik der SED, mit dem Scheitern des realen Sozialismus und auch aufgrund persönlicher Verantwortung, die ich in der DDR getragen habe, bin ich zu der festen Überzeugung gekommen: Eine sozialistische Partei ist nur dann eine linke Partei, wenn sie Bürgerrechte und Demokratie verteidigt und sich dafür einsetzt. Das kann der Kollege Korte genauso für sich in Anspruch nehmen, wie die Kollegin Jelpke und jeder andere Kollege aus der Fraktion Die Linke das für sich in Anspruch nehmen kann.

(Beifall bei der LINKEN Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Warum haben Sie sich dann nicht neu gegründet? Dann hätten Sie einen schönen Schlussstrich gezogen!)

Das könnte Ihnen so passen, dass wir einen neuen Namen wählen und uns neu gründen, aber nicht den Rucksack der Geschichte tragen. Nein, mit diesem Rucksack der Geschichte nehme ich mir heute das Recht, mich mit politischen Tendenzen auseinanderzusetzen, die aus meiner Sicht falsch sind.

Damit kommen wir jetzt einmal zum Thema. Das Bundesverfassungsgericht hat die praktizierte Vorratsdatenspeicherung aller Telekommunikationsdaten für verfassungswidrig erklärt. Das war gut für den Datenschutz und wichtig für den Rechtsstaat.

Das ist aber nicht das Ende der Geschichte, und das erleben wir heute. Die Begehrlichkeiten nach immer mehr persönlichen Daten sind ungebrochen. Das zeigen die ersten Stellungnahmen nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil, zum Beispiel die Stellungnahme von Bundesinnenminister Thomas de Maizière.

Deshalb will Bündnis 90/Die Grünen mit dem aktuellen Antrag verhindern, dass die gerade gestoppte Vorratsdatenspeicherung durch die EU-Hintertür wieder eingeführt und sogar noch ausgeweitet wird. Die Gefahr ist real, und deshalb unterstützt die Linke den grünen Antrag.

Zu alledem muss man die Vorgeschichte kennen. Vor sechs Jahren debattierte der Bundestag erstmals über die Vorratsdatenspeicherung aller Telekommunikationsverbindungsdaten. Der Bundestag lehnte seinerzeit, also 2004, dieses Ansinnen mit klarer Mehrheit ab.

Dann begann Kapitel 2 der Geschichte. Die damalige Bundesregierung stampfte in Brüssel so lange mit den Füßen, bis die EU-Kommission die Vorratsdatenspeicherung verfügte, und zwar verbindlich für alle EU-Mitgliedstaaten. Das war 2006.

Kapitel 3 ist genauso schnell erzählt. Die damalige Regierungskoalition, wieder bestehend aus CDU/CSU und SPD, beschloss 2007 im Bundestag die noch kurz zuvor einhellig abgelehnte Vorratsdatenspeicherung. Man berief sich dabei auf die Europäische Union, quasi auf einen höheren Notstand.

Kapitel 4 und 5 waren von der CDU/CSU und von der SPD so nicht erwartet worden. Erst formierte sich unter dem Kürzel „Vorratsdatenspeicherung“ eine bundesweite Bürgerrechtsbewegung. Sie drohte obendrein mit Massenklagen beim

Bundesverfassungsgericht. Dann entschied das Bundesverfassungsgericht nach einer Klage gegen den EU-Vertrag von Lissabon, dass EU-Recht mitnichten deutsches Recht breche, jedenfalls nicht, wenn dies gegen das Grundgesetz verstoße. Das war 2009. Erfolgreich geklagt hatte übrigens die Linke.

Kapitel 6 fand am 2. März 2010 ein vorläufiges Ende. In seinem Urteil erklärte das Bundesverfassungsgericht die praktizierte Vorratsdatenspeicherung aller Telekommunikationsdaten für verfassungswidrig und das entsprechende Gesetz für null und nichtig.

Umgehend folgte Kapitel 7. Während die einen das Urteil des Verfassungsgerichts als Erfolg für den Rechtsstaat priesen, bliesen die anderen sofort zur nächsten Attacke. Und wieder droht der Trick aus Kapitel 2, nämlich der Umweg über die EU-Instanzen.
Deshalb möchte ich anmerken: Wer unentwegt nach Wegen sucht, verbriefte Bürgerrechte auszuhebeln, der missachtet die Bürgerinnen und Bürger, gefährdet die Demokratie und lanciert die Europäische Union in eine zwielichtige, bürgerferne Ecke. Ich halte das für gefährlich.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nun fordert der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ich zitiere:
Die Bundesregierung möge auf der europäischen Ebene Vorhaben, die Vorratsdatenspeicherungen vorsehen, energisch … entgegentreten.
Ich hätte in diesem Antrag gern ein Wörtchen mehr, nämlich „alle“ Vorhaben. Stichworte wie ELENA, elektronischer Personalausweis oder elektronische Gesundheitskarte gehören dazu. Deshalb fordert die Linke im Übrigen immer noch ein Moratorium für all diese elektronischen Großprojekte.
Danke.

(Beifall bei der LINKEN)