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Die Armut bekämpfen - nicht den Sozialstaat!

Archiv Linksfraktion - Rede von Cornelia Möhring,

- Es gilt das gesprochene Wort -

Herr Präsident, meine Damen und Herren

Ich möchte meine Rede mit einem Märchen beginnen:
Es war einmal ein Mann, der wurde durch seine Hände Arbeit reich…
Soweit das Märchen. Und hätte ich gesagt: es war einmal eine Frau.. dann wäre uns allen noch schneller aufgefallen, dass da etwas nicht stimmen kann.
Das Gegenteil des Märchens ist in unserer Gesellschaft der Fall: In der Bundesrepublik werden Menschen trotz Arbeit - arm. Etwa 1,4 Million Erwerbstätige erhalten für ihre Arbeit so wenig Lohn, dass sie auf ergänzende Hartz-IV-Leistungen angewiesen sind. Ca. 300.000 von ihnen arbeiten in Vollzeitjobs.
Und schauen wir noch genauer hin, wünschten wir uns das Reich der Phantasie lieber nicht zu verlassen - so skandalös ist die Realität in unserem Land.
Laut offizieller Statistik sind rund 11,4 Millionen Menschen in der BRD arm oder von Armut bedroht. Das ist mittlerweile jede/r siebte.
Wenn wir von mehr als 2,5 Mio Kindern sprechen, die in Armut leben, dann ist das nicht nur eine Zahl. Dahinter verbergen sich Schicksale. Geschichten, die davon erzählen, wie Kinder hungrig und ohne Frühstück in die Schule kommen, von Jugendlichen die sich ein bisschen Geld durch Leergut im Müll sammeln verdienen müssen. Es sind Geschichten von Kindern und Jugendlichen, die kraft Geburt schon weniger Chancen auf Bildung und Arbeit - auf eine Zukunft - haben, als die Kinder wohlhabender Eltern.
Wir reden über Rentnerinnen und Rentner, die auf ein arbeitsreiches und bewegtes Leben zurückblicken und in ihrem wohlverdienten Ruhestand trotzdem jeden Cent umdrehen müssen.
Wir reden über Millionen ehemals erwerbstätige Männer und Frauen, die per Gesetz in die Armutsfalle Hartz IV abgeschoben wurden.
Wir reden über die stetig steigende Anzahl von Frauen, die gleich mehrere Arbeitsverhältnisse eingehen müssen, um ihre Familien zu ernähren. Sie bekommen ihre Kinder und Partner kaum noch zu Gesicht, arbeiten deutlich über 10 Stunden / Tag und steuern dennoch in die Altersarmut.
Die Armut in unserem Land zeigt sich auch an fehlenden Kindergartenplätzen, Lehrerinnen und Lehrern, Fachärzten, Ausbildungs- und Arbeitsplätzen. Kommunen und Städte müssen Theater schließen, Kinderbetreuung abbauen, können notwendige Investitionen nicht vornehmen. Sportvereine, Initiativen, Beratungsstellen, soziale Projekte bekommen keine Zuschüsse mehr.
Kultur, Sport, Bildung, Mobilität, Gesundheit, Erholung… all das kostet, ist zum Luxus geworden, den sich Viele nicht mehr leisten können.
Wir leben in einer armen Gesellschaft! Und steuern in eine noch ärmere, wenn nicht endlich was passiert.
Hier und heute findet eine politisch gewollte, gigantische Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums statt. Sie macht wenige Reiche immer reicher und vergrößert die Armut in unserem Land rasant.
Das jüngste Beispiel dieser unsozialer Politik sind die von der Bundesregierung am schwarzen Montag dieser Woche vorgeschlagenen Kürzungen. Im Namen der Haushaltskonsolidierung wird der Rotstift einseitig zu Lasten derjenigen angesetzt, die eh schon wenig haben. Die Verursacher von Krisen und Armut dürfen ungehindert weiter machen.
Während die Beteiligung von Unternehmen an der Haushaltssanierung bis zum Ende der Wahlperiode mit insgesamt rund 14 Milliarden Euro beziffert wird, sollen im selben Zeitraum bei Arbeitslosen und ihren Familien 40,7 Milliarden Euro gekürzt werden. Durch Streichung der Rentenbeiträge und des Elterngeldes für Hartz IV-EmpfängerInnen, Kürzungen bei den Fördermitteln für Erwerbslose, Arbeitsplatzabbau im öffentlichen Dienst.
Selbst die von der Bundesregierung ausgewiesene Beteiligung von Unternehmen an den Kürzungen ist bei genauem Hinsehen eine Luftnummer. Die mit 2 Mrd. Euro angesetzte „Kernelemente - Abgabe“ kostet die Betreiber der Atommeiler keinen müden Cent. Es werden lediglich Subventionen der Bundesregierung gekürzt und im Gegenzug die Laufzeiten der AKW verlängert.
Auch die angebliche Beteiligung des Bankensektors mit 2 Mrd. Euro ab 2012 fließt nicht in die Haushaltskasse, sondern in einen speziellen Fonds, in den die Steuerzahler bereits hunderte Milliarden Euro gezahlt haben. Damit soll nicht die jetzige Krise bewältigt werden, sondern die nächste vorbereitet werden.

Diese Kürzungsorgie der Bundesregierung ist sozial ungerecht, politisch gefährlich und schadet der Zukunftsfähigkeit der gesamten Gesellschaft. DIE LINKE lehnt sie deshalb ab! Wir werden gemeinsam mit Initiativen, Vereinen, Verbänden, Kirchen und Gewerkschaften gegen ihre Umsetzung kämpfen!

Seit einem halben Jahr läuft die EU weite Kampagne gegen Armut und soziale Ausgrenzung. Weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Es scheint als hätten auch die meisten in diesem Hause davon (und von der gesellschaftlichen Realität) bisher nichts mit bekommen.
Dass die Kampagne begleitende Motto der Bundesregierung lautet: „Mit neuem Mut“.
Ihren eigenen Mut für neue Strategien gegen Armut kann die Bundesregierung damit nicht gemeint haben. Im Gegenteil: Die Kanzlerin lehnte im Europäischen Rat das gemeinsame Ziel ab, die Armutsquote auf 25 % zu senken. Und damit auch die entsprechenden Maßnahmen zur Armutsbekämpfung.

Mit der Beteiligung an der Kampagne will die Bundesregierung nicht die gesellschaftliche Ursachen der Armut bekämpfen, sondern die politische Verantwortung verschieben. Weg von den politischen Akteuren hin zu den von Armut betroffenen Menschen in der Gesellschaft. Bei der Eröffnungsveranstaltung der Kampagne gegen Armut erklärten die Vertreterinnen der Bundesregierung, es sei unter den heutigen Verhältnissen leider nicht unwahrscheinlich arm zu werden. Nicht alle Betroffenen seien aus eigenem Verschulden arm, deshalb brauchten sie auch Verständnis statt Stigmatisierung. Wir alle sollten ihnen Mut machen, sich aus eigener Kraft aus Armut zu befreien.
Werte Kolleginnen und Kollegen, diesen Zynismus mit Worten zu beschreiben, würde mir eine Rüge des Präsidenten einbringen!
Wer aber denkt es sei geistige Armut, der irrt. Es ist politisches Kalkül der verantwortlichen Regierung und ihrer Hintermänner. Armut ist und bleibt ein politisches Problem und wird als politisches Instrument genutzt!
Wer Armut ernsthaft beseitigen will, muss besonders in Krisenzeiten strukturelle und konsequente Gegenmaßnahmen entwickeln und umsetzen.
Die LINKE fordert im vorliegenden Antrag deshalb ein sofortiges politisches Gegensteuern in allen maßgeblichen Politikfeldern und das in Europa wie auch in unserem Land. Wir brauchen endlich eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von oben nach unten. Wir brauchen tatsächliche Investitionen in die Zukunft.
Ein Programm zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung muss gerade in Krisenzeiten an den Ursachen ansetzen und diese mit wirksamen Maßnahmen bekämpfen.

Anstatt die Reste des Sozialstaates zu beerdigen, muss die Bekämpfung von Armut national wie international höchste Priorität erhalten.

Doch die Bundesregierung verfolgt im Europäischen Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung eine Politik der Ignoranz und der sozialen Kälte. Sie treibt das Land immer tiefer in die Krise. Dafür gehört sie schleunigst abgewählt.
Denn eine andere Politik ist nötig und möglich!