Rede zur Debatte zur nuklearen Abrüstung
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt auf unserer Erde 10 000 Atomsprengköpfe, davon 4500 in der NATO. Das heißt, die Menschheit ist in der Lage, sich vielfach und vollständig zu vernichten. Den Sinn konnte mir noch niemand erklären. Ich begrüße deshalb ausdrücklich, dass - ich glaube, sogar als erster amerikanischer Präsident seit Amerika Atomwaffen besitzt - Obama jetzt erklärt hat, er wolle eine atomwaffenfreie Welt. Daran haben wir in jeder Hinsicht zu arbeiten.(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos) - Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Ronald Reagan zum Beispiel auch!)
Der Vertrag von 1968 über die Nichtverbreitung von Atomwaffen enthält drei verschiedene Verpflichtungen. Er enthält einmal die Verpflichtung auf Abrüstung, die nicht erfüllt wurde, zum Zweiten das Verbot der Verbreitung von Atomwaffen und zum Dritten die Zusage an eine friedliche Nutzung von Atomenergie, egal, wie wir jetzt dazu stehen.
189 Staaten - das darf man nicht vergessen - haben diesen Vertrag unterschrieben und ratifiziert, nur nicht Indien, Pakistan und Israel. Nordkorea ist 2003 ausgetreten; das ist ein weiteres Problem. Die letzte Überprüfungskonferenz fand 2005 statt und brachte nichts, da die USA damals an Abrüstung noch nicht interessiert waren.
Es gibt inzwischen sicher acht Nuklearmächte: die USA, Russland, China, Großbritannien, Frankreich, Indien, Pakistan und Israel. Bei Nordkorea besteht Unsicherheit, und dem Iran wird vorgeworfen, Atomwaffen herstellen zu wollen. Das alles bereitet große Sorgen, nicht nur wegen Nordkorea und Iran, sondern zum Beispiel auch wegen Pakistan, wenn man an die instabile Situation in diesem Land, an die Rolle der Taliban usw. denkt. Bei Indien darf ich Sie an den Kaschmirkonflikt und andere Dinge erinnern.
2000 war ich in Indien und habe mit dem damaligen indischen Außenminister gesprochen. Was er mir erzählt hat, war wirklich interessant. Ich habe dort natürlich pflichtgemäß kritisiert, dass Indien Atomwaffen baut. Daraufhin hat er mich gefragt: „Waren Sie eigentlich für oder gegen den Jugoslawienkrieg?“ Ich habe gesagt: „Ich war dagegen.“ Er fragte weiter: „Hatte Jugoslawien Atomwaffen?“ Ich sagte: „Nein.“ Dann sagte er: „Glauben Sie, Belgrad wäre bombardiert worden, wenn Jugoslawien Atomwaffen gehabt hätte?“ Das war seine Antwort. Es ist nicht so, dass ich darauf nichts geantwortet hätte.
Mir ist aber klar geworden: Wir können glaubwürdig den Verzicht auf Atomwaffen nur durchsetzen, wenn die Atommächte ihre Atomwaffen ernsthaft abbauen, bis hin zu Null. Einen anderen Weg gibt es nicht.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Sonst bleibt das ein Privileg, weil Staaten immer wieder sagen werden, sie seien ja nur unangreifbar, wenn sie selber die Atomwaffen besitzen, und genau das müssen wir abbauen.
Wir begrüßen den Vorschlag von Obama. Es ist auch zu begrüßen, dass er zusammen mit dem russischen Präsidenten einen neuen Startvertrag abschließen will. Es ist ebenfalls nicht zu unterschätzen, dass er gesagt hat, er verzichte auf Atomtests.
Ich glaube, dass wir diesen Weg gehen müssen. Ich sage es noch einmal: Nur wenn die Atommächte jetzt vereinbaren, wie sie schrittweise die Atomwaffen abbauen bis zur Zahl Null, sind sie auch berechtigt, nicht nur zu fordern, sondern international durchzusetzen, dass nirgendwo und zu keinem Zeitpunkt mehr eine einzige Atombombe gebaut wird. Genau das muss das Ziel sein.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Von Deutschland ging im letzten Jahrhundert der schlimmste Krieg aus, der Zweite Weltkrieg. Deshalb müssen wir an Abrüstung ein besonderes Interesse haben, das wir durch Signale ganz besonders zum Ausdruck bringen müssen. Auch Deutschland kann einen Beitrag zur nuklearen Abrüstung leisten. Das Erste wäre die Forderung nach einem Abzug der noch vorhandenen US-Atombomben in Deutschland. Wer braucht denn diese Atombomben?
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Die Deutschen brauchen sie am allerwenigsten, Europa und die USA brauchen sie auch nicht. Wir können diese Atomwaffen loswerden. Wenn Obama glaubwürdig ist in seinem Wunsch nach atomarer Abrüstung, hat er nicht ein einziges Argument dafür, die Atomwaffen in Deutschland zu belassen. Das müssen wir nutzen. Deshalb gibt es Anträge, die fordern, der Bundestag solle das beschließen.
Zweitens müssen wir auf einen eindeutigen Verzicht auf die nukleare Teilhabe in der NATO durch die Bereitstellung von Trägersystemen, von Bundeswehrpersonal oder durch anderweitige Unterstützung setzen. Auch das ist möglich. Griechenland und Kanada haben keine nukleare Teilhabe in der NATO. Sie waren die Ersten, die diesen Weg gegangen sind. Auch Deutschland muss diesen Weg jetzt gehen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Interessant ist, dass die Union dagegen ist. Sie wollen nicht, dass die Regierung aufgefordert wird, mit der amerikanischen Regierung über einen Abzug der Atomwaffen aus Deutschland zu verhandeln, und schon gar nicht wollen Sie die nukleare Teilhabe in der NATO aufgeben.
Die Bundeskanzlerin hat das in der Bundestagsdebatte am 26. März 2009 begründet. Sie hat wörtlich Folgendes gesagt - ich darf zitieren :
Wir sollten gut aufpassen, dass wir Ziel und Weg nicht vermischen.
(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Weg ist das Ziel!)
Außerdem hat sie gesagt:
Die Bundesregierung hat deshalb die nukleare Teilhabe in der Allianz im Weißbuch verankert, weil wir wissen, dass sie uns Einfluss im Bündnis sichert.
Das ist eine Denkweise aus dem Kalten Krieg, die wir heute überhaupt nicht mehr gebrauchen können. Wollen Sie denn ernsthaft sagen, dass Kanada und Griechenland keinen Einfluss in der NATO haben, nur weil sie auf die nukleare Teilhabe verzichtet haben? Bei unserer Geschichte hätten wir die Ersten sein müssen, die verzichten.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Die Ersten können wir nicht mehr sein. Nun lassen Sie uns wenigstens die Dritten werden!
Wir unterstützen den Antrag der Grünen, der unserem Antrag ganz ähnlich ist.
Der Antrag der FDP ist unserem auch ähnlich, hat allerdings einen Mangel. Die nukleare Teilhabe kritisieren Sie im Feststellungsteil, aber im Forderungsteil kommt der Verzicht nicht zum Ausdruck, was ich schade finde; denn die Bundesregierung müsste aufgefordert werden, diesbezüglich einen anderen Weg zu gehen.
Herr Steinmeier, es ist ja ganz schön, was Sie hier verkünden, aber in dem Antrag von Union und SPD gibt es nicht einen Halbsatz zu den amerikanischen Atomwaffen in Deutschland
(Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Sehr richtig! Genau so ist es!)
und findet sich nichts dagegen, dass wir eine nukleare Teilhabe in der NATO haben.
Jetzt werden Sie mir erklären, dass das wieder an der Union liegt - die Erklärung kenne ich seit vielen Jahren -; ich sage Ihnen: Das ist ein Problem. Das Problem besteht in Folgendem: Es gibt von der Bevölkerung gewählte politische Mehrheiten im Bundestag, die nichts erreichen, weil die politische Konstellation dagegenspricht. Erklären Sie den Leuten mal, dass es eine Mehrheit gibt, nämlich von SPD, Grünen und uns Linken, die für einen gesetzlichen Mindestlohn ist, dass ein solcher Mindestlohn im Bundestag aber nicht zu beschließen ist! Erklären Sie den Leuten mal, dass es eine Mehrheit von SPD, Linken, Grünen und FDP gibt, die die Regierung auffordern will, dafür zu sorgen, dass die amerikanischen Atomwaffen so schnell wie möglich aus Deutschland verschwinden und wir auch auf die nukleare Teilhabe in der NATO verzichten, dass aber trotz dieser Mehrheit kein solcher Beschluss zustande kommt! Es gibt eine Mehrheit, die das Staatsziel Kultur im Grundgesetz verankern will, aber auch dieser Beschluss kommt nicht zustande, und zwar deshalb nicht, weil Sie sich regelmäßig der Union unterordnen. Wenn das so ist, dann müssen Sie im Wahlkampf auch sagen, dass Sie Versprechungen in die ganze Welt hinein machen, damit aber nichts zu tun haben, weil letztlich die Union entscheidet, was Sie dürfen und was Sie nicht dürfen. Das ist die Konstellation, mit der wir es im Bundestag gegenwärtig zu tun haben.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Gysi, Sie müssen -
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Deshalb ist das Ganze nicht glaubwürdig. - Herr Präsident, ich bin schon fertig.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das ist ja nicht zu fassen.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Ich war so was von diszipliniert. - Ich hoffe, wir werden die Atomwaffen so schnell wie möglich los.
Danke schön.
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Gert Winkelmeier (fraktionslos))