Rede in der 128. Sitzung des Bundestages zur Beratung des Antrags der LINKEN "Ungerechtigkeiten bei Mütterrente in Ostdeutschland und beim Übergangszuschlag beheben" und der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zum Antrag der LINKEN "Spezifische Altersarmut Ost durch Korrektur der Rentenüberleitung beheben".
Frau Präsidentin! Ich freue mich, dass Sie bei diesem Tagesordnungspunkt präsidieren. Meine Damen und Herren! Wir hatten heute früh eine sehr umfangreiche und intensive Debatte zur deutschen Einheit. Bei allen Rednerinnen und Rednern ist deutlich geworden, dass die Menschen ‑ trotz mancher Defizite ‑ auf das stolz sein können, was wir in den 25 Jahren erreicht haben, und zwar die Menschen in Ost und West.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie des Abg. Rüdiger Veit (SPD))
Aber eines bleibt: Bei der Rente haben wir weiterhin ganz große Defizite. Wir als Linke haben heute, ein Vierteljahrhundert nach Herstellung der deutschen Einheit, diese Debatte beantragt, um am Tag vor diesem Jubiläum ein Zeichen zu setzen, ein Zeichen für mehr soziale Gerechtigkeit. Deswegen lassen wir im Übrigen auch namentlich abstimmen. Ich hoffe, dass insbesondere die ostdeutschen Abgeordneten, die häufig in Wahlkämpfen sagen, dass sie sich dafür einsetzen werden, diese Gelegenheit nutzen und heute so abstimmen, wie sie es ihren Wählerinnen und Wählern versprochen haben.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Mehrheit des Hauses muss heute einfach nur den Anträgen der Linken zustimmen und die Bundesregierung beauftragen, die Ungerechtigkeiten bei der Rentenüberleitung und bei der Mütterrente zu beenden. Hier spricht ein Haushälter zu Ihnen. Daher möge niemand mit dem Argument kommen, das sei nicht zu bezahlen. Ich könnte Ihnen jetzt ganz viele Beispiele nennen, die zeigen, für welche Bereiche wir in letzter Zeit sehr schnell sehr große Summen beschlossen haben. Wenn wir das beschließen würden, hätten Tausend Ältere in unserem Land morgen noch einen Grund mehr, zu feiern.
(Beifall bei der LINKEN)
Es bleibt: Die fehlende Angleichung der Renten ist zum Symbol der Rechtsungleichheit Ost/West geworden. Die Beseitigung der Rentenungerechtigkeit wäre ein wichtiger Beitrag zur deutschen Einheit.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich will daran erinnern, dass Frau Merkel auf dem Seniorentag im Juni 2009 gesagt hat:
Ich stehe dazu, dass wir eine solche Angleichung von Ost und West brauchen. Ich würde ... sagen, dass das Thema in den ersten beiden Jahren der nächsten Legislaturperiode erledigt sein wird.
Das wäre 2011 gewesen. Wir schreiben inzwischen das Jahr 2015. Jetzt sagen Sie, es solle eventuell bis 2019 geschehen. Das wäre wieder die nächste Legislaturperiode. Das glaubt Ihnen niemand. Den Ankündigungen der Kanzlerin müssen endlich Taten folgen. Heute ist die Gelegenheit dazu.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Überleitung der Alterssicherungssysteme der DDR in bundesdeutsches Recht Anfang der 90er-Jahre war zweifelsfrei eine sehr komplexe Herausforderung. Ich will auch deutlich sagen, dass vieles dabei gelungen ist. Vieles ist, Gott sei Dank, auch erkämpft worden. Aber es ist nicht alles gut. Viele Menschen aus der DDR haben nach der Herstellung der staatlichen Einheit Rentengerechtigkeit leider nicht mehr erlebt. Die Beendigung aller Diskriminierung und Regelungen, die die Lebensleistung aus DDR-Zeiten nicht anerkennen, wären für viele Ältere finanziell wichtig; dies wäre soziale Gerechtigkeit. Ich will Ihnen drei Beispiele nennen.
Erstens: die Mütterrente. Es gibt unterschiedliche Rentenentgeltpunkte Ost und West und damit Kinder erster und zweiter Klasse. Das gilt nicht nur für Kinder, die in der DDR geboren sind, sondern auch für Kinder, die nach der Wende auf dem Territorium der ehemaligen DDR geboren sind. Es ist so, dass ein Kind, das im Jahre 1991 in Stuttgart geboren wurde, für die Mutter 29,21 Euro wert ist, ein Kind, das in Schwerin geboren wurde, allerdings nur 27,05 Euro. Ja, geht‘s noch? Das ist doch völlig inakzeptabel!
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wie kann man akzeptieren, dass Kinder unterschiedlich viel wert sind, meine Damen und Herren von der Großen Koalition? Das ist neues Unrecht, das Sie geschaffen haben.
Ein zweiter Punkt: die Überführungslücken für viele Beschäftigungsgruppen. Ich will die in der Braunkohleveredelung Beschäftigten - wahrhaftig nicht „staatsnah“ - nennen. Es leben noch 400 Betroffene, deren Rentenansprüche nicht anerkannt werden. Das ist weder sozial noch gerecht. Das ist einfach kleinkariert. Es geht in der Braunkohleveredelung um 400 Menschen. Das muss doch zu machen sein!
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es gibt übrigens weitere Berufsgruppen, für die dasselbe gilt.
Ich will ein drittes Problem nennen: die aus der DDR Geflüchteten, Abgeschobenen und Ausgereisten. Einer der Betroffenen, Gundhardt Lässig, sitzt heute Mittag auf der Tribüne. Wir haben damals, vor der Wende, so manchen Abend zusammen verbracht, auch viele Tage im schönen Prerow, wo wir manchmal zusammen am Strand gestanden haben. Er hat, als er damals gegangen ist, wie viele andere auch den „Wegweiser“ des Bundesministeriums des Innern für Flüchtlinge und Übersiedler aus der DDR bekommen, in dem es heißt:
Flüchtlinge und Übersiedler aus der DDR oder Berlin (Ost) werden in der gesetzlichen Rentenversicherung grundsätzlich so behandelt, als ob sie ihr gesamtes Arbeitsleben in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt hätten.
Für sie galt das sogenannte Fremdrentengesetz. Durch eine kleine Gesetzesänderung im Jahre 1993 ‑ kaum beachtet ‑ wurde diese Regelung abgeschafft. Für die DDR-Arbeitszeiten werden sie seitdem rentenrechtlich wieder behandelt wie ehemalige DDR-Bürger. Für ihn, für Gundhardt, sind das 500 Euro Monatsrente weniger. Jeden Monat! Das ist völlig inakzeptabel. Betroffen sind 200 000 Einzelpersonen. Ändern Sie das! Ändern Sie das wenigstens für diese Personengruppe!
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es ist im Übrigen egal, was das Bundesverfassungsgericht dazu ausführt. Es urteilt darüber, ob eine Regelung gegen das Grundgesetz verstößt. Hier geht es aber um eine soziale Frage. Diese Regelung ist nicht sozial gerecht,
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
zumal für diejenigen, die in die Schweiz gegangen sind, etwas anderes gilt. Für diejenigen, die in der Schweiz leben, gilt die alte Regelung weiterhin. Das ist doch völlig inakzeptabel. Nehmen Sie sich ein Beispiel daran!
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, 25 Jahre deutsche Einheit, das ist eine gute Gelegenheit, Bestrafungen von ehemaligen DDR-Bürgern und von Bundesbürgern, die auf dem Gebiet der ehemaligen DDR gelebt haben, zu beenden. Sie haben eine ganz einfache Möglichkeit: Stimmen Sie mit der roten Stimmkarte ab! Dann tun Sie am Vortag der Feierlichkeiten zu 25 Jahren deutscher Einheit ein sehr gutes Werk.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)