Rede zum Stand der Deutschen Einheit am 9.11.2007
Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE):Vielen Dank. Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Präsident, Sie haben in Ihren einführenden Worten auf die wechselvolle Geschichte des 9. November hingewiesen. Für meine Fraktion möchte ich ganz deutlich sagen: Wir dürfen nie den Anblick der brennenden Synagogen vom 9. November 1938 aus unserem Gedächtnis entlassen. Das muss immer Anlass für uns sein, gegen Neofaschismus und Rechtsextremismus zu kämpfen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Meine Damen und Herren von der SPD, Sie haben frenetisch geklatscht, als mein Vorredner auf Oskar Lafontaine und seine Äußerungen in den Jahren 1989/90 einging. Ich möchte Sie daran erinnern: Oskar Lafontaine war damals Ihr Kanzlerkandidat und später Ihr Parteivorsitzender.
(Beifall bei der LINKEN - Lachen bei der CDU/CSU und der SPD - Christian Lange (Backnang) (SPD): Dann ist er angekommen, wo er hingehört!)
Um einen Uferweg am Potsdamer Griebnitzsee ist ein heftiger Streit entbrannt. Nach dem Mauerfall schlenderten dort täglich Spaziergänger mit Blick auf wunderschöne Weiden und das tiefgrüne Wasser des Griebnitzsees entlang und genossen die gewonnene Freiheit. Damit soll nach Auffassung der dortigen Villenbesitzer Schluss sein. Sie reklamieren den Weg für sich. Sie ließen den Weg kurzerhand durch eine Handvoll Schlägertypen absperren. Da diese Wildwestmethoden untersagt wurden, versuchen die Anwälte der Villenbesitzer jetzt mit allen juristischen Mitteln, den Weg für die Öffentlichkeit sperren zu lassen. Diese Leute wollen den Blick auf den See mit niemandem teilen. Sie wollen ihn ganz für sich allein haben.
Diese Geschichte beschreibt die Situation in unserem Land plastischer als alle Berichte und Studien, die die Bundesregierung bisher vorgelegt hat.
(Jan Mücke (FDP): Das glauben Sie doch selbst nicht!)
Jeden Tag erleben wir, wie öffentliches Eigentum in private Taschen fließt, wie Bürgerinnen und Bürger enteignet werden, und jeden Tag erleben wir, wie die Bundesregierung Zäune zieht, die die Gesellschaft in viele kleine Teilgesellschaften aufspalten.
(Beifall bei der LINKEN - Widerspruch bei der SPD)
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat in einer aktuellen Studie festgestellt, dass 10 Prozent der Deutschen fast zwei Drittel des gesamten Volksvermögens besitzen, die Mehrheit dagegen fast nichts hat. Die Studie zeigt, dass das Durchschnittsvermögen eines Westdeutschen zweieinhalbmal höher als das eines Ostdeutschen ist. Ostdeutsche sind eher verschuldet und besitzen seltener Wohneigentum. Auch Frauen sind benachteiligt. Ihr Kapital ist im Schnitt fast 30 000 Euro niedriger als das von Männern.
(Zuruf von der CDU/CSU: 40 Jahre!)
Diese Verteilung ist nicht von Gott gegeben, sie ist auch nicht mit dem Zuruf „40 Jahre!“ zu erklären, sie ist das Ergebnis der Umverteilungspolitik der alten und der neuen Bundesregierung.
(Beifall bei der LINKEN)
Die CDU/CSU-SPD-Regierung denkt nicht im Traum daran, diese Umverteilung zu stoppen. Nein, Sie legen immer noch eins drauf. Die geplante Erbschaftsteuerreform wird die Reichen noch reicher machen. Das ist ein Skandal.
(Beifall bei der LINKEN)
Der geplante Verkauf der Bahn ist eine Enteignung der Bürgerinnen und Bürger, die die Bahn mit ihren Steuern über Jahrzehnte finanziert haben. Für den Osten, Herr Kollege Tiefensee, ist dieser Verkauf besonders schlimm, weil er zu vielen Streckenstilllegungen in den neuen Bundesländern führen wird. Auch die Einführung von Studiengebühren schafft Bildungsmauern, die sich nicht durch Stipendien durchbrechen lassen werden.
(Beifall bei der LINKEN Christian Lange (Backnang) (SPD): Sie hätten sich aus Anlass dieses Tages ein bisschen mehr Mühe geben können!)
Für eine ostdeutsche Familie, die kaum über Ersparnisse verfügt, ist es eine große finanzielle Belastung, ihre Kinder auf die Universität zu schicken.
Zusammengefasst kann man sagen: Es ist nicht gut, wenn man arm ist. Es ist gar nicht gut, wenn man arm ist und im Osten lebt. Es ist ganz schlecht, wenn man arm im Osten lebt und eine Migrantin ist.
Wer für Ostdeutschland eine Zukunft will, der muss in Bildung investieren. Ich interessiere mich schon länger für die Verteilung der Gelder im Rahmen von Bundesprogrammen. Es zeigt sich, dass der Osten unterdurchschnittlich wenig Geld aus diesen Programmen erhält. Für die Raumfahrt gehen nur 7 Prozent, für die Energieforschung nur 10 Prozent und für den Studenten- und Wissenschaftleraustausch nur ganze 4 Prozent der Mittel dieser Bundesprogramme in den Osten. Bei der Exzellenzinitiative der Bundesregierung gingen die ostdeutschen Universitäten ganz leer aus. Die Begründung der Bundesregierung war lapidar: Wir fördern nur die Besten. Wenn der Osten nicht gut ist, dann hat er Pech gehabt. Da frage ich mich, Herr Tiefensee: Was machen Sie als Ostbeauftragter der Bundesregierung? Haben Sie mehr zu bieten als schöne Worte und kleinlaute Forderungen an die Bundesregierung? Ich habe von Ihnen bisher vor allen Dingen schöne Worte gehört, aber keine konkreten Taten gesehen. Die erwarten wir.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir als Linke wollen mit den vielen abgestuften Ungerechtigkeiten in unserem Land Schluss machen. Wir wollen einen gerechten Mindestlohn, egal ob in Ost oder West.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir wollen eine armutsfeste Rente. Sie soll im Osten nicht niedriger sein als im Westen. Wir wollen bessere Bildungschancen für alle, egal ob sie in Frankfurt/Oder oder in Frankfurt/Main zur Universität gehen.
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass Herr Lothar de Maizière hier so freundlich begrüßt wurde. Ich möchte Sie aber daran erinnern, dass auch der letzte Ministerpräsident der DDR, Hans Modrow, einen wesentlichen Anteil daran hatte, dass der Weg in die Deutsche Einheit friedlich und erfolgreich gegangen werden konnte.
(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh!)
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)
Rede im Deutschen Bundestag am 9. November 2007