Zum Hauptinhalt springen

Der schleichende Ausstieg aus der öffentlichen Ausbildungsfinanzierung

Archiv Linksfraktion - Rede von Nicole Gohlke,

Nicole Gohlke (DIE LINKE):


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir verhandeln heute im Bundestag die Frage, wie in Zeiten der anhaltenden Krise und der zunehmenden sozialen Unsicherheit das Studium und die Ausbildung von Millionen junger Menschen zukünftig gesichert werden sollen.
Die schwarz-gelbe Bundesregierung


(Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU): Christlich-liberale!)


beantwortet diese Frage unter anderem mit einem nationalen Stipendienprogramm. Mit Mitteln des Bundes und der Länder, aber auch aus der Wirtschaft und von privaten Geldgebern sollen 10 Prozent der Studierenden, die in Ihren Worten Leistungsstärksten und Begabtesten, mit 300 Euro im Monat gefördert werden.


(Zuruf von der FDP: Gut so!)


Erste Erfahrungen mit dem Modell gibt es bereits in Nordrhein-Westfalen. Herr Pinkwart kann gleich sicherlich auch noch einmal Stellung dazu nehmen. Von den angestrebten 8 Prozent aller Studierenden werden bislang allerdings nur 0,6 Prozent gefördert.


(Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU): Gerade angefangen!)


Nur wenige Hochschulen, wie zum Beispiel die RWTH, die Technische Hochschule Aachen, mit engen Verbindungen zur lokalen Wirtschaft und zu finanzstarken Sponsoren können die Kapazitäten aufbringen, die entsprechenden Gelder für das Stipendienmodell einzuwerben. Kleinere Hochschulen in strukturschwachen Gebieten sind chancenlos, an diesem Modell überhaupt mitzuwirken.


(Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU): Sie haben jetzt einen Anreiz! Zuruf von der FDP: Das stimmt doch gar nicht!)


Meine Damen und Herren, im schwarz-gelben Stipendienprogramm steckt de facto die Privatisierung der Hochschulbildung.


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)


Um es deutlich zu sagen: Fast 40 Jahre, nachdem sich Schülerinnen, Schüler und Studierende das BAföG erkämpft haben, droht mit dieser Bundesregierung der schleichende Ausstieg aus der öffentlichen Ausbildungsfinanzierung. Das ist die eigentliche Bildungskatastrophe in der Bundesrepublik.


(Beifall bei der LINKEN - Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): Wir erhöhen das BAföG!)


Alle Studien zur sozialen Zusammensetzung in der Begabtenförderung belegen, dass etwa drei Viertel der durch Stipendien Geförderten in Deutschland aus einer hohen oder gehobenen Schicht kommen. Gleichzeitig sehen wir, dass junge Menschen aus einkommensschwachen Schichten immer öfter kein Studium aufnehmen, weil sie vor den Verschuldungsrisiken zurückschrecken:


(Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU): Falsch!)


71 Prozent der Studienberechtigten begründen ihren Schritt, gar nicht erst ein Studium aufzunehmen, damit, dass sie Angst vor dauerhafter Verschuldung und der Rückzahlung großer Darlehen haben. Das rührt auch daher, dass sie Sorge haben müssen, direkt nach dem Bachelorstudium eben keinen hoch bezahlten Job zu finden, sondern vielleicht sogar in die Erwerbslosigkeit und in Hartz IV zu fallen. Wenn Sie diese Menschen und ihre Ängste ernst nehmen würden, dann würden Sie das BAföG wieder zu einem Vollzuschuss ohne Rückzahlungspflicht machen.


(Beifall bei der LINKEN)


Durch die misslungene Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge und die überfrachteten Lehrpläne haben viele Studierende heute eine Arbeitswoche von 40 Stunden und mehr. Seit langem ist bekannt, dass 63 Prozent der Studierenden zur Finanzierung des Studiums parallel arbeiten müssen.


(Zuruf von der FDP: Das habe ich auch gemacht!)


Da die Studiengänge so überhaupt nicht in sechs Semestern zu schaffen sind, müsste die Bezugsdauer des BAföG dringend verlängert werden; das Masterstudium muss grundsätzlich in den BAföG-Bezug einbezogen werden.


(Heiner Kamp (FDP): Stellen Sie doch den Antrag, dass 20 Prozent der Noten geschenkt werden!)


Zudem müssten die Altersgrenzen fallen, um individuelle Bildungswege überhaupt zu ermöglichen.
Bildungsbenachteiligungen beginnen übrigens nicht erst an der Hochschule. Die Linke fordert deshalb auch, das BAföG für Schülerinnen und Schüler an allgemeinbildenden Schulen ab der 11. Klasse endlich wieder vollständig einzuführen.


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist ein längst überfälliger Schritt.
In der gestrigen Debatte zur Bologna-Reform hat die CDU/CSU noch einmal ziemlich eindrücklich gezeigt, dass es ihr bei ihrem ganzen Handeln gar nicht um die Frage geht: Wie kommen wir zu mehr, zur besten Bildung für alle? Vielmehr ist das Motiv Ihrer Politik letztendlich das Aussieben und Aussortieren. So zitierte Herr Schipanski den EFI-Bericht mit den Worten: „Man muss die Selektionsprozesse früher ansetzen …“. Ich halte das, ehrlich gesagt, für eine Frechheit gegenüber den Menschen, die sich fast schon verzweifelt um gute Bildung bemühen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))


Wie tief lässt dieser Satz und Ihr völlig verengter Begriff der Leistungsstärksten und Begabtesten blicken! Glauben Sie denn, dass Leistungsstärke und Begabung einfach so vom Himmel fallen? Sind sie nicht gerade das Produkt einer gezielten Förderung?


(Heiner Kamp (FDP): Sie sind das beste Beispiel!)


Was für ein mittelalterliches Menschenbild haben Sie eigentlich? Haben Sie sich noch nie überlegt, dass unter den besten 10 Prozent, die in den Genuss eines Stipendienprogramms kommen würden, viele sein könnten, die über gute Voraussetzungen verfügen, die eben nicht neben der Schule, neben dem Studium arbeiten mussten, die schon durch ihr Elternhaus, ihre soziale Herkunft oder ihr Wohnviertel die Möglichkeit hatten, den besten Kindergarten, die beste Schule zu besuchen? Ich sage Ihnen: Wirkliche Bildungsförderung umfasst nicht nur 10 Prozent, sondern alle, besonders diejenigen, die nicht von Hause aus mit den besten Voraussetzungen gesegnet sind.


(Beifall bei der LINKEN - Heiner Kamp (FDP): Herrgott, schmeiß Hirn vom Himmel!)


Die Finanzierung der Bildung und des Studiums ist gerade in der Krise eine existenzielle Frage für alle. Die Linke wird nicht tatenlos zusehen, wenn Sie weiterhin auf die Privatisierung der Ausbildungsfinanzierung setzen. Bildung ist ein öffentliches Gut, das allen unabhängig von ihrer sozialen Herkunft offenstehen muss.
Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)