Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Europäisches Haftbefehlsgesetz - EuHbG) (Drucksache 16/544)
Petra Pau (DIE LINKE):Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über ein Gesetz, das vom Bundestag vor knapp zwei Jahren beschlossen wurde. Es geht um den Europäischen Haftbefehl, der jede Bürgerin und jeden Bürger betreffen oder auch treffen kann. Dieses Gesetz wurde vom Bundesverfassungsgericht für null und nichtig erklärt: Es sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, so das Urteil.
Ich merke an: Es gibt - was ich schlimm finde - immer mehr solcher Gesetze, die uns vom Bundesverfassungsgericht zurückgegeben werden. Heribert Prantl titelte damals in der „Süddeutschen Zeitung“: „Aufklärung per Ohrfeige“. Mit der Ohrfeige meinte er den Bundestag und mit der Aufklärung meinte er das Urteil. Denn das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Begründung zugleich festgestellt: Der Bundestag muss mitnichten nachvollziehen, was die Regierung ihm über den Umweg EU auf den Tisch legt. Ich finde, das war ein guter Spruch, den wir uns zu Herzen nehmen sollten.
Interessant waren allerdings die Reaktionen darauf: Bundesjustizministerin Zypries kommentierte das Urteil mit dem Satz: Das ist ein Rückschlag im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. - Ich finde das bezeichnend: Eine Justizministerin kritisiert das Bundesverfassungsgericht dafür, dass es das tut, wofür es da ist, nämlich das Grundgesetz und die Rechte der Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Sie hätte dem Bundesverfassungsgericht besser danken sollen!
(Beifall bei der LINKEN)
Ebenso interessant war der Kommentar des Kollegen Bosbach von der Union. Er meinte, wenn das Gesetz über den Europäischen Haftbefehl nicht zum Grundgesetz passe, müsse man halt das Grundgesetz ändern. Ich fürchte, gemessen am dieser Tage viel zitierten und diskutierten Fragebogen für Muslime in Baden-Württemberg hätten beide - die Ministerin wie der Kollege - bei Grundrechtsfragen sehr schlechte Karten.
Im Kern geht es darum: Unter welchen Bedingungen müssen bzw. dürfen Bürger in ein anderes EU-Land ausgeliefert werden, wenn sie dort einer Straftat verdächtigt werden. Das Bundesverfassungsgericht sah hierfür engere Grenzen als die Mehrheit des Bundestages, es hat sich also schützend vor seine Bürgerinnen und Bürger und deren Rechte als Staatsbürger gestellt.
Nun liegt der überarbeitete Entwurf zum Europäischen Haftbefehl vor und die einzige Frage, die wir beantworten müssen, lautet: Erfüllt der neue Gesetzentwurf die Kriterien, die das Bundesverfassungsgericht vorgegeben hat? Ich meine: Nein. Und Sie wissen, mit dieser Auffassung steht die Linksfraktion nicht allein. Der Deutsche Anwaltverein und die Bundesrechtsanwaltskammer haben schon prophezeit: Wird dieses Gesetz eins zu eins beschlossen, wird es wieder vor dem Bundesverfassungsgericht landen und wohl verworfen werden. Die Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger hat ja noch einmal einen ganzen Katalog von Fragen vorgestellt, die weder in der Regierungsbefragung vor 14 Tagen aufgelöst werden konnten noch jetzt im Gesetzentwurf beantwortet sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten beachten: Es gibt nicht nur hierzulande mahnende Stimmen. Belgien hat den Europäischen Gerichtshof angerufen, weil es grundlegende Zweifel hegt, ob der Europäische Haftbefehl überhaupt mit EU-Rechten vereinbar ist. Das Urteil steht noch aus. Auch insofern sollten wir nicht aufs Tempo, sondern auf Nachhaltigkeit achten. Das wäre jedenfalls souveräner als der Weg, das Gesetz jetzt möglichst schnell umzusetzen.
Ich möchte noch zwei grundsätzliche Schlussgedanken vorstellen.
Erstens. Der Europäische Haftbefehl dient angeblich einem neuen, EU-weiten Recht. Genau dieses Recht aber wird im Moment ausgeblendet; es wird nicht definiert, was wir damit meinen. Stattdessen soll künftig alles strafbar sein, was irgendwo zwischen Spanien, Estland und der Türkei strafbar ist. Das ist jedenfalls die innewohnende Tendenz. Genau diese lehnen wir ab.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist Unsinn!)
Zweitens. Beim Europäischen Haftbefehl geht es um eine politische Abwägung zwischen Sicherheitsbelangen und Bürgerrechten. Seit Jahren verlieren leider in aller Regel die Bürgerrechte, wenn es um diese Abwägung geht. Das ist aus meiner Sicht auch beim vorliegenden Gesetzentwurf der Fall.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wieso eigentlich?)
Ein letztes Wort: Ich finde, der Kollege Kauder hat völlig Recht, dass wir als nationales Parlament in der Europäischen Union uns nicht nur aus Anlass der Beratungen zum Europäischen Haftbefehl mit der Frage befassen sollten, wie es nicht nur zu einer Verständigung mit den Kolleginnen und Kollegen in Europa, sondern zu einem Gesetzgebungsverfahren, das weder die eine noch die andere Seite überfährt, kommen kann. Meine Fraktion wird sich gern an dieser Debatte und an der Ausgestaltung dieser Regeln beteiligen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)