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»Das Schwert ist ziemlich stumpf und wird wohl wirkungslos bleiben«

Archiv Linksfraktion - Rede von Gregor Gysi,

Gregor Gysi in der Debatte über den von Union und FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Vorbeugung gegen missbräuchliche Wertpapier- und Derivatgeschäfte

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, ich hatte mich auch schon gewundert, wer Herrn Wissing meine Rede zur Verfügung gestellt hat; dabei hatte ich gar nicht vor, dies zu sagen.

Ich sehe übrigens mit großem Interesse, wie Frau Homburger und Herr Kauder die ganze Zeit miteinander sprechen. Ich sage Ihnen jetzt schon: Sie einigen sich trotzdem nicht.

(Heiterkeit bei der LINKEN)

Aber kommen wir zum eigentlichen Problem: Die Finanzkrise ist noch längst nicht überwunden, obwohl viele hier so tun. Gegen den Euro wird weiter spekuliert. Die nächsten Spekulationsblasen drohen zu platzen, und zwar wiederum in den USA. Da passiert jetzt nämlich Folgendes: Die Gewerbeimmobilien sind nicht mehr zu vermieten und nicht mehr zu verkaufen. Daher können die Kredite nicht mehr zurückgezahlt werden, die Banken bleiben darauf sitzen, und dann erleben wir die nächste Krise.

Ich frage mich immer, was die verantwortlichen Politikerinnen und Politiker zum Beispiel der G-20-Staaten eigentlich dagegen tun. Sie treffen sich in Südkorea und teilen uns mit: Es wird gar nichts dagegen getan. Ich halte das für den Gipfel der Unverfrorenheit der Politik, und zwar weltweit.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch die Euro-Krise ist nicht überwunden; in Spanien spitzt sich die Lage weiter zu. Dort besteht eine Rekordarbeitslosigkeit von über 20 Prozent. Wir erleben Sozialkürzungen, wir erleben den Kaufkraftrückgang, die Binnenwirtschaft droht zusammenzubrechen, mit allen damit verbundenen Folgen. Ich sage Ihnen jetzt schon, Herr Schäuble: Dann treffen sich wieder alle EU-Finanzminister und überlegen sich die nächste Spritze, weil es anders gar nicht zu handhaben ist. Wir kommen aus dem Gewurschtel überhaupt nicht heraus, wenn nicht die Wirtschafts-, Steuer- und Sozialpolitik endlich einmal wirklich umgestellt wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Wegen der drohenden neuen Krise misstrauen sich die Banken schon wieder gegenseitig. Sie leihen sich gegenseitig kein Geld mehr. Es ist doch interessant, dass am Montag die Geschäftsbanken schon wieder 350 Milliarden Euro bei der Europäischen Zentralbank geparkt haben, obwohl sie bei dieser Zentralbank viel weniger Zinsen bekommen als bei anderen Banken. Sie trauen den anderen Banken nicht mehr. Auch hier staut sich schon wieder vieles an, was zur nächsten Krise führt.

Zu G 20. Um es ganz klar zu sagen, Herr Schäuble: Sie haben sich weder auf eine Bankenabgabe noch auf eine Finanzmarkttransaktionsteuer geeinigt. Sie haben keine festeren Wechselkurse und keine Regulierung der Finanzmärkte festgelegt. Die Wettgeschäfte sind nicht beseitigt, die riesigen Spekulationen gehen weiter, Hedgefonds können so weitermachen wie bisher. Dabei ist wirklich nichts herausgekommen, außer Spesen.

(Beifall bei der LINKEN)

Was ist das Signal? Was haben Sie damit bisher den Banken und den Spekulanten gesagt? Sie haben gesagt: Treibt es weiter so! Für die Verluste haftet ihr sowieso nicht. Die bezahlen bei uns die Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV-Empfänger. - Das halte ich übrigens für den Gipfel der Unverschämtheit; um es klar zu sagen.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie haben gesagt: Wir werden euch das Geld für eure Gläubiger und Eigentümer, das heißt für die Aktionäre, zur Verfügung stellen.

Nun hat die Regierung das muss ich sagen doch noch den ganzen Mut eines Jahrhunderts zusammengenommen und sich entschieden, den Entwurf eines Gesetzes zur Vorbeugung gegen missbräuchliche Wertpapier- und Derivatgeschäfte vorzulegen. Das Schwert ist aber ziemlich stumpf und wird wohl eher wirkungslos bleiben. Sie wollen zunächst ungedeckte Leerverkäufe verbieten; das ist völlig richtig.

Herr Zöllmer, Sie haben gesagt, dass Sie das seit Jahren fordern. Sie hätten nur erwähnen sollen, dass erst Sie die Erlaubnis dazu gegeben haben. Das gehört zur Vollständigkeit einer solchen Aussage hinzu.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP - Manfred Zöllmer (SPD): Das ist völliger Unsinn!)

Leerverkäufe sollen also verboten werden, aber nur in der Euro-Zone.

(Joachim Poß (SPD): Das war sehr wahrscheinlich eine falsche Behauptung!)

Das heißt, außerhalb der Euro-Zone soll auch an unseren Börsen weiterspekuliert werden dürfen. Damit lösen Sie das Problem nicht.

Das Zweite ist, dass Sie ungedeckte Kreditausfallversicherungen verbieten wollen, aber wiederum nur für Verbindlichkeiten im EU-Markt. Das heißt, Sie sagen: Wetten auf den Dollar und auf das Pfund können fortgesetzt werden, auch was Pleiten anderer Staaten betrifft. Warum sind Sie nicht in der Lage, diesbezüglich ein vollständiges Verbot auszusprechen und zu sagen: „Wir wollen nicht länger von Spekulationen leben, sondern Realwirtschaft in dieser Gesellschaft entwickeln“? Warum sind Sie dazu nicht in der Lage?

(Beifall bei der LINKEN)

Immerhin hat in der FDP und der CDU/CSU ein Gesinnungswandel stattgefunden. Denn wenn wir solche Maßnahmen früher ganz bescheiden gefordert haben, dann haben Sie uns immer gesagt: Das ist ein Teufelswerk gegen die Marktwirtschaft. - Ich stelle mit Erleichterung fest, dass Sie dazulernen können.

Wenn Sie aber bei der jetzigen Halbherzigkeit bleiben, dann werden die Maßnahmen ziemlich wirkungslos bleiben. Das ist unsere Sorge. Ich sage Ihnen, was das Hauptproblem ist. Das Hauptproblem ist ein strukturelles Ungleichgewicht innerhalb der Welt. Wenn Sie sich die einzelnen Länder vor dem Hintergrund der Weltwirtschaft, des Weltfinanzmarktes ansehen, dann stellen Sie fest, dass rapide so große Unterschiede, übrigens auch auf dem Finanzmarkt, geschaffen werden, auf die dann wiederum die Spekulanten spekulieren und damit riesige Gewinne machen. Deshalb brauchen wir etwas anderes.

Was ist eigentlich Ihre Antwort darauf? Ich kann ja nicht nur über den vorliegenden Gesetzentwurf reden. Herr Schäuble, Sie machen eine Agenda 2014. Sie fragen: Woher bekommen wir denn das Geld, das wir jetzt dringend brauchen? Innerhalb einer Woche können Sie ja Summen in Höhe von 480 Milliarden Euro beschließen, um die Banken zu retten. Nun muss ja irgendwann einmal die Frage beantwortet werden: Was ist zu tun? Sie sagen, Sie wollten die Ausgaben um 80 Milliarden Euro reduzieren. Im Kern machen Sie keine einzige Steuererhöhung. Sie sagen damit: Wir werden die Lasten ganz einseitig verteilen.

Was machen Sie im Sozialbereich? Ich habe wirklich gestaunt. Ich fange einmal bei den Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV-Empfängern an.

(Zuruf von der CDU/CSU)

- Hören Sie zu! Da gibt es heute Pflichtleistungen. Sie haben Anspruch auf bestimmte Qualifizierungen. Sie sollen angeblich nicht nur gefordert, sondern auch gefördert werden. Aus diesen Ansprüchen machen Sie eine Ermessensleistung und sagen: Bei diesen Ermessensleistungen muss bis zum Jahre 2014 ein Betrag von 16 Milliarden Euro gespart werden. Herr Schäuble, wenn man diese Summe sparen will, heißt das, dass es deutlich weniger Maßnahmen gibt. Was heißt denn Ermessen? Welche Willkür führen Sie denn da eigentlich ein? Dann sitzt da der Angestellte herum und sagt: Die gefällt mir besser, die gefällt mir weniger; die eine bekommt die Maßnahme, die andere nicht. - Was ist das denn für ein Rechtsdenken? Tauschen Sie nicht einen Anspruch gegen eine Willkürentscheidung, wie Sie das hier vorbereitet haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Zum Zweiten streichen Sie das Übergangsgeld beim Übergang von ALG I zu ALG II. Das heißt, Sie sagen den Arbeitslosen: Du musst deinen Lebensstandard sofort rapide senken; das Übergangsgeld wird gestrichen.

(Dr. Birgit Reinemund (FDP): Sind Sie beim falschen Tagesordnungspunkt?)

Zum Dritten streichen Sie die Rentenbeiträge für Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV-Empfänger.

(Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Sie reden immer das Gleiche!)

- Hören Sie zu! Das hat zwei Folgen. Die eine Folge ist, dass Sie für die Betroffenen damit die Renten kürzen. Die haben sowieso schon so geringe Renten, und die kürzen Sie noch weiter. Die zweite Folge ist, dass dann, wenn diese eine Rente unter dem Grundsicherungsniveau beziehen, die Differenz doch wieder vom Staat bezahlt bekommen.

(Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Was hat das mit dem Finanzmarkt zu tun?)

Sie sparen also jetzt das Geld und geben es dann später zur Aufstockung bis auf das Grundsicherungsniveau wieder aus. Da gibt es nur einen Unterschied: Jetzt müssten Sie das bezahlen, die Differenz beim Grundsicherungsniveau muss aber die Kommune bezahlen. Damit machen Sie die Kommunen noch „pleiter“ als sie es ohnehin schon sind. Auch das ist ein Schritt in die völlig falsche Richtung.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann komme ich zum Mindestelterngeld.

(Zurufe von der CDU/CSU)

- Nein, lassen Sie mich über das Mindestelterngeld sprechen. Ich möchte noch einmal die Geschichte

(Zurufe von CDU/CSU und FDP)

- Ich wusste, dass Sie sich aufregen. Das hängt aber doch zusammen. Sie machen doch das Sparpaket wegen der Krise, und über diese Krise diskutieren wir hier. Hören Sie einmal zu, Sie können mir doch nicht das Wort verbieten!

(Beifall bei der LINKEN - Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Weil Sie keine Ahnung von dem Thema haben!)

Deshalb sage ich Ihnen: Jetzt reden wir über das Elterngeld.

(Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Da hat er die falsche Rede gegriffen!)

Also, wie war das? - Die Bedürftigen bekamen zwei Jahre lang 300 Euro pro Monat. Dann hat die Große Koalition - meine Damen und Herren von der SPD, das müssen auch Sie rechtfertigen - entschieden, das Elterngeld von 300 Euro auf bis zu 1 800 Euro zu erhöhen, nämlich für die Besserverdienenden. Aber weil sie das Geld nicht hatte, hat sie gesagt, dafür kürzen wir das Elterngeld von zwei Jahren auf zwölf Monate bzw. 14 Monate. Mehr als die Hälfte der Bezieherinnen und Bezieher bekommt aber nur die 300 Euro. Das heißt, den Ärmsten in der Gesellschaft habt ihr gesagt: Ihr bekommt zehn oder zwölf Monate weniger die 300 Euro, damit wir den Besserverdienenden 1 800 Euro bezahlen können. Das ist ein Skandal. Das hätte die SPD nie mitmachen dürfen. Sagen Sie das doch wenigstens einmal!

(Beifall bei der LINKEN - Iris Gleicke (SPD): In der DDR waren das Lohnersatzleistungen! - Manfred Zöllmer (SPD): So ein Blödsinn!)

Jetzt kommt der Höhepunkt, Sie sagen jetzt: Wir streichen das Elterngeld für Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV-Empfänger vollständig. Sie bekommen nicht einmal mehr diese 300 Euro, keine zwölf Monate wie bisher. Bei den Besserverdienenden bleibt doch im Kern alles beim Alten. Weiter gibt es bis zu 1 800 Euro. Außerdem streichen Sie den Heizkostenzuschuss für Geringverdienerinnen und Geringverdiener.

Ich will jetzt gar nicht darüber reden, was Sie bei den Bundesbeamten machen. 10 000 Stellen wollen Sie streichen. Was heißt das denn eigentlich, Herr Schäuble? - Bekommen dann nur noch britische Anwaltsfirmen den Auftrag, Gesetzentwürfe zu erarbeiten, weil Ihre Ministerien das nicht mehr können? Was soll dabei denn eigentlich herauskommen?

(Zuruf von der CDU/CSU: Sagen Sie auch noch etwas zum Wertpapiergeschäft, Herr Gysi?)

Abgesehen davon erhöht es - sage ich einmal - auch in jeder Hinsicht die Arbeitslosigkeit. Sie wollen auch noch die Bezüge der Beamten kürzen.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege!

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Herr Präsident, ich weiß, Sie wollen mir sagen, dass die Redezeit abgelaufen ist.

Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ja, so ist es.

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Ja, ich weiß das, ich sehe es. Lassen Sie mich deshalb zum Schluss sagen: Die beiden Verbote sind vernünftig,

(Zurufe von der CDU/CSU: Danke!)

wenn auch nicht vollständig. Sie reichen nicht aus. Sie werden sehen, dass sie eher wirkungslos bleiben. Wenn Sie nicht den Mut haben, eine Millionärsteuer, einen höheren Spitzensteuersatz, eine Finanztransaktionsteuer, eine höhere Erbschaftsteuer etc. einzuführen, dann setzen Sie ein Signal, nämlich dass Sie den Bänkern, den Spekulanten und den Vermögenden sagen: Ihr könnt Krisen verursachen solange ihr wollt, ihr haftet dafür nicht, das bezahlen in Deutschland die Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV-Empfänger. Ich sage Ihnen: Das ist dreist und nicht hinnehmbar!

(Beifall bei der LINKEN - Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Da lache ich ja!)