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Foto: Rico Prauss

Das ist keine Griechenlandhilfe

Archiv Linksfraktion - Rede von Dietmar Bartsch,

Rede zur Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen über “Finanzhilfen zugunsten Griechenlands, technische Verlängerung und Fortführung der Stabilitätshilfe” 

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Schäuble, Sie haben recht: Es geht um eine technische Verlängerung und um eine vorsorgliche Entscheidung. Dies ist wirklich nur ein Mosaiksteinchen in einem Grundproblem, in der Grundstrategie, die Sie fahren. Ich will für die Linke klar sagen: Wir wollen uns in diese Strategie nicht einbinden lassen. Das ist nicht unsere Politik.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben die ganz kuriose Situation, dass wir hier im Deutschen Bundestag in diesem Verfahren mehr Mitspracherecht haben als das griechische Parlament. Das sagt eine ganze Menge über die Demokratie. Die Troika kontrolliert den griechischen Staatshaushalt. Ich empfinde das wirklich als ein großes Problem.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie haben hier als Mitglied der Bundesregierung Ihren Antrag auch damit begründet, dass Griechenland Fortschritte macht. Ich will dazu einige Beispiele nennen:

Auf der Website des Finanzministeriums wird die Rentenreform in Griechenland sehr gelobt, nämlich „als eine der bedeutendsten Leistungen des ersten Programms“. Weiter heißt es da:

Die in diesem Kontext getroffenen Maßnahmen haben die Lohnersatzquote gesenkt und führen zu einer Senkung des versicherungsmathematischen Defizits um 10 Prozentpunkte des BIP bis 2060.

Die Übersetzung dieser Einschätzung heißt nichts anderes, als dass Sie mit der Anhebung des Renteneintrittsalters und vielen anderen Maßnahmen dafür gesorgt haben, dass die Renten in Griechenland real um 40 Prozent gesenkt worden sind.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Ein zweites Beispiel. Sie sagen - wiederum auf Ihrer Website -:

Im Gesundheitswesen wurden die öffentlichen Ausgaben für Arzneimittel durch entsprechende Reformen von 3,9 Mrd. € im Jahr 2010 auf rund 2,5 Mrd. € im Jahr 2013 gesenkt.

Auch diese Botschaft will ich hier übersetzen: Wer heute in Griechenland länger als zwei Jahre arbeitslos ist, verliert seine Krankenversicherung. Inzwischen sind rund 3 Millionen Griechinnen und Griechen, 30 Prozent der Griechinnen und Griechen, ohne Krankenversicherung, meine Damen und Herren. Chronisch Kranke sind am meisten betroffen.

Es gab neulich in der ZDF-Sendung Frontal21 ein Beispiel. Es wurde über das Schicksal von Marina Antoniou, einer Dolmetscherin, berichtet, die an Krebs erkrankt ist und in der Krise mehr oder weniger alle ihre Aufträge verloren hat. Sie ist jetzt auch nicht mehr krankenversichert. Nun muss sie jeden Tag entscheiden, ob sie a) ihre Mietrückstände zahlt, damit sie nicht auch noch ihre Wohnung verliert, oder b) ihre Krebstherapie fortsetzt. - Meine Damen und Herren, das ist kein Einzelschicksal in Griechenland. Gerade in der jetzigen Zeit sollten wir darüber wirklich einmal nachdenken.

In Griechenland ist die Schwangerschaftsvorsorge nicht mehr kostenlos. In den meisten Entwicklungsländern ist das anders. Griechenland ist ein Land der EU. Das haben wir mit dahin gebracht. Meine Damen und Herren, das ist so nicht akzeptabel.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Ergebnisse der Umsetzung der unsozialen und ungerechten Forderungen und der Politik der Troika sind: Arbeitslosenquote bei 26,2 Prozent, Jugendarbeitslosigkeit bei 52 Prozent, Mindestlohn abgesenkt, Mehrwertsteuer auf 23 Prozent erhöht, Arbeitslosengeld gesenkt und auf ein Jahr begrenzt und, und, und. Da sagen Sie: „Griechenland macht Fortschritte“? Sie haben gesagt: „Diese Anstrengungen beginnen sich für die Menschen in Griechenland auszuzahlen.“ Herr Schäuble, für die Menschen ist diese Politik in Griechenland, die Sie mit vertreten, eine Katastrophe.

(Beifall bei der LINKEN)

Was ist denn der Maßstab für Fortschritt? Der Maßstab kann doch nicht die Haushaltspolitik sein; der Maßstab muss doch sein, wie es den Menschen in diesem Land geht. In Griechenland ist die Selbstmordrate in den letzten Jahren um 45 Prozent gestiegen. Da ist doch der Satz „Diese Anstrengungen beginnen sich für die Menschen in Griechenland auszuzahlen“ wirklich zynisch, Herr Schäuble.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Dann haben Sie hier umfangreich über das Wirtschaftswachstum gesprochen: 0,6 Prozent in diesem Jahr. Ich will Ihnen einmal die folgenden Zahlen sagen: 2010: minus 4,9 Prozent. 2011: minus 7,1 Prozent. 2012: minus 6,4 Prozent. 2013: minus 3,9 Prozent. - Als wir in Deutschland in einem Jahr „minus 5,6 Prozent“ hatten, haben wir schon fast von einer Katastrophe geredet. Da haben wir ein Investprogramm aufgelegt. Da haben wir Kurzarbeitergeld gehabt. Da haben wir die Abwrackprämie gemacht.

(Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Wir haben die gemacht!)

In Griechenland machen wir genau das Gegenteil, und das ist natürlich die völlig falsche Politik.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie schreiben selbst: „Die Exportentwicklung in Griechenland bleibt ... schwach.“

Die andere Seite ist: In Griechenland stieg der Anteil des Vermögens der 2 000 reichsten Familien am Gesamtvermögen des Landes von 75 Prozent auf 80 Prozent. Das ist wirklich unfassbar. Wann werden denn die endlich zur Kasse gebeten? Es sind immer nur die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Rentnerinnen und Rentner!

(Beifall bei der LINKEN)

Griechenland ist für die deutschen Rüstungskonzerne einer der wichtigsten Kunden. 15 Prozent der deutschen Rüstungsexporte gehen nach Griechenland. Griechenland hat mehr Leopard-Panzer als die Bundeswehr. Das ist doch nicht normal, meine Damen und Herren. Da muss man doch vielleicht etwas verändern.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Dieser gesamte Kurs und dieses Diktat, das hier beschrieben wird, sind für dieses Land nicht gut. Dieser Kurs ist falsch, weil er auch die Gastfreundschaft der griechischen Menschen gegenüber den Deutschen beeinträchtigt; das können wir alle nicht wollen.

(Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Okay! Was ist jetzt die Alternative?)

Dieser Kurs ist auch deshalb falsch, weil er ein Nährboden für Ressentiments ist und Ausländerfeindlichkeit der Griechen befördert.

Wir lehnen ihn ab, weil er im Kern ein Weihnachtsgeld für die Spekulanten ist. Dass wir dabei mitmachen, werden Sie niemals erleben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)