Zum Hauptinhalt springen

Bundesregierung zerstört die Gesellschaft

Archiv Linksfraktion - Rede von Gregor Gysi,

Gregor Gysi in der Haushaltsdebatte 2010 über den Etat der Bundeskanzlerin und des Kanzleramtes - der so genannten Elefantenrunde

Herr Bundestagspräsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Ich habe bei Ihrer Rede sehr genau zugehört, Frau Bundeskanzlerin Merkel, aber alles, was Sie gesagt haben, ändert nichts daran, dass sich Ihre Bundesregierung doch in einem ziemlich erbärmlichen Zustand befindet, wie ich versuchen werde, Ihnen zu zeigen.

(Beifall bei der LINKEN Widerspruch bei der CDU/CSU)

Ich räume ja ein, auch Teile der Opposition befinden sich in keinem guten Zustand. Aber damit meine ich keinesfalls die Linke. Wir haben zwar auch einige Probleme, aber im Vergleich zu den anderen sind wir doch topfit. Es ist alles relativ, wie Sie wissen.

(Beifall bei der LINKEN Widerspruch bei der SPD)

Die Grünen wechseln gerade in das sogenannte bürgerliche Lager. Wir haben das in Hamburg erlebt. Wir haben das im Saarland erlebt. Sie kündigen das schon für NRW an. Für die Bundesebene kann man auch damit rechnen.

(Widerspruch des Abg. Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Hören Sie einmal zu! Beim Saarland kommt noch eine sehr unappetitliche Käuflichkeit durch die FDP dazu. Das sollten Sie einmal aufarbeiten, finde ich.

(Beifall bei der LINKEN Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Räumen Sie erst einmal mit Ihren schwarzen Kassen auf!)

Die SPD ist dabei, ihren Standort zu suchen. Sie hat ihn noch nicht gefunden. Immerhin beginnen Sie von der SPD jetzt damit, Hartz IV zu überwinden. Sie kritisieren jetzt prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Nur muss man hinzufügen: Hartz IV ist vollständig und die prekäre Beschäftigung in diesem Umfang durch eine Bundesregierung von SPD und Grünen eingeführt worden, also zu Ihrer Regierungszeit. Das heißt, bei SPD und Grünen erleben wir Folgendes: Sie leiten unsoziale Prozesse als Regierung ein, um danach zu sich selbst in Opposition zu treten. Das ist gar kein so seltener Vorgang. Trotzdem muss die SPD das will ich gerne animierend sagen , diesen Weg weiter gehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Sozialdemokratische Politik bedeutet meines Erachtens, dass Hartz IV überwunden wird, dass prekäre Beschäftigung überwunden wird, dass man dagegen ist, Rente erst ab 67 Jahren zu zahlen, dass man endlich dafür eintritt, die Bundeswehr unverzüglich aus Afghanistan abzuziehen. Sozialdemokratische Politik müsste für Steuergerechtigkeit streiten, das heißt auch für eine Millionärsteuer, für eine Börsenumsatzsteuer, für einen höheren Spitzensteuersatz. Aber von alledem ist die SPD doch noch meilenweit entfernt. Ich wünsche Ihnen jedoch Erfolg auf diesem Weg, wenn Sie ihn denn gehen wollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Kraft in NRW scheint allerdings einen anderen Weg zu gehen. Sie hat ja nun den Vorschlag erfunden, dass Langzeitarbeitslose ehrenamtlich tätig sein sollen. Ich frage mich: Warum immer diese Hartz-IV-Logik? Warum kann man Arbeit nicht einfach bezahlen? Warum muss man die Leute so demütigen? Ich kann das überhaupt nicht nachvollziehen, was dort passiert.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber zu Hartz IV äußere ich mich noch später.
Herr Steinmeier, ich habe Ihrer Rede ja sehr genau zugehört. Ich muss zugeben, das hat mir auch Spaß gemacht, auch aufgrund Ihrer Rhetorik. Nur eines muss ich Ihnen auch sagen: Ich hätte eine solche Rede so gerne einmal von Ihnen als Kanzleramtschef unter Kanzler Schröder hier im Bundestag gehört, nicht erst heute. Das hätte die Regierungspolitik sicherlich wesentlich verändert.

(Beifall bei der LINKEN)

Es geht ja eigentlich um die Bundesregierung.

(Zuruf von der SPD: Ja, wollte ich gerade sagen!)

Da ist alles noch viel schlimmer. Lassen Sie mich zunächst einmal etwas zu den Rüstungsexporten sagen. Frau Bundeskanzlerin Merkel, seit 2005 hat Deutschland seine Rüstungsexporte verdoppelt. Wir stehen jetzt an dritter Stelle weltweit. Mehr Rüstungsgüter verkaufen nur die USA und Russland. Dann folgt Deutschland. Darf ich daran erinnern, dass der schlimmste Krieg des letzten Jahrhunderts von Deutschland ausging? Was ist denn eigentlich so schlimm daran, wenn wir einmal als Erster die Schlussfolgerung ziehen, zu sagen: „Wir wollen an Krieg nicht mehr verdienen, wir verbieten Rüstungsexporte“? Was wäre daran so schlimm?

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn wir so viele Waffen verkaufen, Frau Bundeskanzlerin, können Sie überhaupt nicht einschätzen, wann und wo und wie sie eingesetzt werden. Ich sage Ihnen: Ich bin der festen Überzeugung, Kriege hören nicht auf, solange so viel an Kriegen verdient wird. Das muss unterbunden werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun haben wir einen Bundesaußenminister, der auch FDP-Vorsitzender ist und nie genau weiß, wie er mit den Rollen umgehen soll. Ich lasse jetzt einmal Ihre Beschimpfung der Arbeitslosen weg, Herr Westerwelle, zumal ich sowieso meine, es gibt keine Arbeitslose und keinen Arbeitslosen, die bzw. der je auf die Idee käme, FDP zu wählen. Aber damit rechnen Sie ja auch nicht.

(Zuruf von der FDP: Das ist ein Unsinn!)

Nein, nein, hören Sie zu! Aber ich sage Ihnen auch: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die FDP wählen, passen in eine Telefonzelle.
Aber davon einmal ganz abgesehen: Die FDP versucht etwas Neues, nämlich eine Lobbyistenpartei hoffähig zu machen. Was Sie mit den Hoteliers und der Dankesspende von Mövenpick gemacht haben, was Sie mit den Geschenken an die Pharmaindustrie vorhaben und wie die Gästeliste von Bundesaußenminister Westerwelle bei seinen Reisen aussieht, das alles spricht dafür, dass man versucht, eine Lobbyistenpartei salonfähig zu machen.
Frau Bundeskanzlerin Merkel, Sie sagen dazu in der Regel nichts. Sie halten sich zurück, vergessen aber, dass Sie dafür mithaften.

(Beifall bei der LINKEN)

Zum Beispiel in Bezug auf die Gästeliste könnten Sie Ihrem Bundesaußenminister die Sache erleichtern, indem Sie eine kleine Dienstanweisung erlassen, in der steht, wen man mitnehmen darf und wen nicht. Wenn Sie es nicht schaffen, helfe ich Ihnen gerne. Ich will nur sagen: Das ist zu leisten.

Im Kern geht es um eine ganz andere Frage: Wollen wir eine „Berlusconisierung“ der Politik in Deutschland oder wollen wir die nicht? Wir sind strikt dagegen. Also tun Sie etwas dagegen!

(Beifall bei der LINKEN)

Bundesminister zu Guttenberg hat zunächst erklärt, dass der entsetzliche Luftangriff auf Kunduz mit vielen toten Zivilisten, darunter auch vielen Kindern, angemessen gewesen sei. Dann hat er seinen Generalinspekteur und den Staatssekretär entlassen, weil sie ihn falsch informiert hätten. Dann hat er gesagt, der Angriff sei doch nicht angemessen gewesen, sondern unangemessen. Jetzt nimmt er die beiden Entlassenen wieder in Schutz. Ich verstehe überhaupt nicht, was in Ihnen vorgeht, Herr zu Guttenberg. Ihnen fehlt eine notwendige Erkenntnis: dass es von Anfang an falsch war, die Bundeswehr in Afghanistan einzusetzen. Das sollten Sie endlich einmal zugeben, und das muss korrigiert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Bundeskanzlerin, Sie haben zu Griechenland gesprochen. Da wundert mich eines: Wir verlangen von Griechenland einen knallharten Sparkurs, den wir für Deutschland ablehnen. Denn das ist Brüning’sche Politik, und Sie wissen, dass Reichskanzler Brüning Deutschland in die größte Katastrophe geführt hat. Warum verlangen wir eine solche Politik von Griechenland? Jetzt gehen die Menschen dort auf die Straße, und zwar, wie ich finde, völlig zu Recht. Es ist doch nicht hinnehmbar, dass Sozialleistungen, Renten, Löhne usw. gekürzt werden,

(Beifall bei der LINKEN)

aber die Banker, die die ganze Krise verursacht haben, überhaupt nicht zur Verantwortung gezogen werden. Da stehen wir an der Seite der Bevölkerung Griechenlands.

(Beifall bei der LINKEN)

Sehen Sie sich das einmal an: Die Großbanken zocken jetzt schon wieder mit Wetten auf die Schulden Griechenlands. Sie machen schon wieder Leerverkäufe. Nachdem die Leerverkäufe in Deutschland zwischenzeitlich verboten waren, sind sie nun wieder erlaubt. Jetzt hat Bundesminister Schäuble gesagt, er will sie vielleicht doch wieder verbieten. Machen Sie es doch endlich! Wir brauchen keine Leerverkäufe; das ist nichts anderes als Spekulation.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann geht es um eine Abgabe der Banken, weil diese direkt und indirekt eine Menge davon hatten, dass der Staat Rettungsaktionen gestartet hat. Warum führen Sie die Abgabe nicht ein? Sie sagen heute, Frau Bundeskanzlerin Merkel, das könne Deutschland nicht allein machen, sondern nur die EU als Ganzes. Wirklich? Warum hat Schweden das dann allein gekonnt? Denn Schweden, ebenfalls Mitglied der EU, hat eine solche Abgabe schon eingeführt. Warum kann in diesem Fall nicht Deutschland einmal als Vorbild vorangehen? Im Übrigen plant auch der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Obama, eine solche Abgabe in den USA.

(Hermann Gröhe (CDU/CSU): Plant!)

Nun folgen Sie doch wenigstens Obama in dieser Frage, wenn Sie uns schon nicht folgen; das ist doch nicht zu viel verlangt.

(Beifall bei der LINKEN)

Ackermann bekommt jetzt wieder ein Gehalt von 10 Millionen Euro ausgezahlt. Ich gönne ihm das ja; aber wissen Sie, was das Problem daran ist? Das haben die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler gezahlt. Wissen Sie auch, warum? Die Deutsche Bank hatte eine Milliardenforderung gegenüber HRE. Wäre HRE in die Insolvenz gegangen, hätte die Deutsche Bank keinen Gewinn gemacht; ganz im Gegenteil, sie hätte schwere Verluste zu verzeichnen. Jetzt ist HRE verstaatlicht worden; das heißt, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler haben die Forderung übernommen und an die Deutsche Bank gezahlt. Davon bekommt Ackermann jetzt 10 Millionen Euro, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler aber nichts. Das ist die Ungerechtigkeit, die wir kritisieren und gegen die Sie nichts machen.

(Beifall bei der LINKEN)

Deutschland ist inzwischen der größte Niedrig- und Dumpinglohnsektor aller Industriestaaten. Ein Viertel der Beschäftigten, sagt das Statistische Bundesamt, arbeitet in Deutschland zu Niedriglohn. Damit hängt zusammen, dass unsere Exporte billiger sind und die griechischen teurer. Jetzt gibt es zwei Wege: Der eine Weg ist, dass die Griechen ihre Löhne noch weiter senken, und der andere Weg ist, dass wir unsere Löhne erhöhen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Aha!)

Genau dagegen wehren Sie sich. Sie tun ja so, als ob die Gesellschaft unterginge, wenn wir das machten, was schon 20 Mitgliedsländer der Europäischen Union getan haben, nämlich einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn einzuführen. Genau den brauchen wir aber.

(Beifall bei der LINKEN)

Davon hätten nicht nur die Griechinnen und Griechen, sondern auch unsere Beschäftigten etwas. Davon hätten auch - deshalb verstehe ich die FDP nicht - das Handwerk und die kleinen und mittleren Unternehmen etwas, die von der Binnenwirtschaft leben. Sie brauchen eine erhöhte Kaufkraft. Aber Sie verhindern dies. Eigentlich sind wir die Partei der kleinen und mittleren Unternehmen und nicht Sie. Sie tun bloß so als ob.

(Beifall bei der LINKEN - Widerspruch des Abg. Jörg van Essen (FDP))

- Herr van Essen, wenn Sie mir das nicht glauben, dann glauben Sie es doch wenigstens dem Direktor des arbeitgebernahen Instituts für Wirtschaft, Michael Hüther. Auch er schlägt jetzt einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn vor. Er ist noch nicht bei der Höhe von 10 Euro, die wir vorschlagen, angekommen. Aber abgesehen davon kann man sagen, dass er immerhin diesen Weg vorschlägt.

Frau Bundeskanzlerin, ich habe mich gewundert, dass Sie von Chancengleichheit geredet haben. - Wo ist sie eigentlich? Ich sehe, dass sie im Moment ihre Staatssekretäre betreut. Auch das ist nötig.

(Heiterkeit bei der LINKEN)

Ich habe mich, wie gesagt, gewundert, dass Sie, Frau Bundeskanzlerin, von Chancengleichheit in der Bildung gesprochen haben. Überall dort, wo die Union regiert, werden die Kinder in der Grundschule nach der vierten Klasse getrennt. Wer Kinder nach der vierten Klasse trennt, der macht nichts anderes als soziale Ausgrenzung.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Widerspruch bei der FDP)

- Einen Moment, Herr Lindner. Hören Sie zu! Frau Merkel und ich sind auf eine Gemeinschaftsschule gegangen. Ganz so blöde sind wir beide doch nicht geworden. Oder wollen Sie das Gegenteil behaupten?

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): Man kann nur sehen, wie sich das unterschiedlich auswirkt!)

Ihre Position kann ich überhaupt nicht akzeptieren.

Ich komme jetzt zu einem anderen Thema. Ob nun SPD oder die Union regiert, es ist immer dasselbe: Meine Partei wird vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet.

(Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Das ist bei Ihnen auch nötig!)

Ich kann Ihnen sagen, woran das liegt. Das liegt daran, dass die Mitarbeiter dieses Amtes vom Grundgesetz keine Ahnung haben.

(Beifall bei der LINKEN - Volker Kauder (CDU/CSU): Das ist ja vergleichsweise harmlos zu dem, was die Bunte macht!)

Aber wenn Sie das wollen, Herr Kauder, dann versuche ich, denen das Grundgesetz beizubringen. Wenn diese das Grundgesetz endlich verstehen würden, dann müssten sie sich eher um Sie und auch um die SPD kümmern.

(Beifall bei der LINKEN)

Denn eines muss ich Ihnen sagen: Während der Großen Koalition sind so viele verfassungswidrige Gesetze verabschiedet worden wie noch nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Dazu haben Sie einen Hang.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt nenne ich Ihnen die Beispiele. Der Bundespräsident hat zwei Gesetze, nämlich das Gesetz zur Privatisierung der Flugsicherung und das Gesetz zur Reduzierung des Verbraucherschutzes, nicht unterzeichnet, weil sie offensichtlich - nicht nur verdeckt - grundgesetzwidrig waren.

(Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): Was hat das mit dem Verfassungsschutz zu tun?)

Dann haben Sie eine Neuregelung zur Kilometerpauschale verabschiedet. Wir haben Ihnen gesagt, das ist grundgesetzwidrig. Sie beide haben uns das selbstverständlich nicht geglaubt. Aber das Bundesverfassungsgericht hat uns recht gegeben. Dann haben Sie die Gesetze zum Vertrag von Lissabon gemacht. Wir haben Ihnen gesagt, sie sind grundgesetzwidrig. Sie haben uns das selbstverständlich nicht geglaubt. Aber das Bundesverfassungsgericht hat uns recht gegeben. Dann haben Sie ein Vorratsdatenspeicherungsgesetz gemacht. Wir haben Ihnen gesagt, es ist grundgesetzwidrig. Sie haben uns das selbstverständlich nicht geglaubt. Aber das Bundesverfassungsgericht hat uns recht gegeben. Das Gleiche wird übrigens mit dem Internetzensurgesetz passieren.

Dann haben Sie - Sie von der Union waren nur indirekt beteiligt - ein Hartz-IV-Gesetz beschlossen. Wir haben Ihnen gleich gesagt, das ist grundgesetzwidrig. Sie haben es uns nicht geglaubt. Das Bundesverfassungsgericht hat es bestätigt. Glauben Sie mir: Von den Linken können Sie in Bezug auf das Grundgesetz eine Menge lernen.

(Beifall bei der LINKEN - Lachen bei der CDU/CSU)

Passen Sie auf, jetzt kommt der Höhepunkt. Obwohl das Bundesverfassungsgericht so entschieden hat, tönt die FDP, dass sie die Aufhebung des Gesetzes nutzen will, um die Leistungen für Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV-Empfänger zu kürzen.

(Zuruf von der FDP: Lüge!)

Zum Teil tönen da noch andere mit. Ich sage Ihnen: Das ist ein Skandal. Es dauert leider lange, bis das Bundesverfassungsgericht das aufheben würde. Verabschieden Sie kein neues verfassungswidriges Gesetz! Fragen Sie uns! Wir sagen Ihnen, was im Grundgesetz steht.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn wir schon bei Hartz IV sind: Sie, Frau Merkel, sagen, Sie wollen den Zuverdienst erhöhen. Wissen Sie, was Sie da anrichten? Sie sagen damit doch permanent, die Leute sollen faktisch unentlohnt für einen kleinen Zuschuss arbeiten. Davon haben nur die Unternehmen etwas. Ich habe Ihnen schon von dem Mann erzählt, der fünf Monate unentgeltlich ein Praktikum gemacht hat. Das nutzt natürlich diesem Unternehmen. Wollen Sie denn das Lohndumping immer weiter vorantreiben? Warum können wir nicht einmal einen anderen Weg gehen: den Hartz IV-Regelsatz wenigstens auf 500 Euro erhöhen, eine Kindergrundsicherung machen und die demütigenden Sanktionen streichen?
Dann sollten wir neu nachdenken und Arbeit statt Arbeitslosigkeit bezahlen. Im Vergleich mit Frankreich, Großbritannien und Skandinavien haben wir den kleinsten öffentlichen Dienst. Das spüren übrigens auch die Kommunen; da geht es um Lehrerinnen und Lehrer, um Kindergärtnerinnen und Kindergärtner und ganz viel sonstiges Personal. Es geht auch um die Justiz und um die Polizei.

(Widerspruch des Abg. Volker Kauder (CDU/CSU))

Herr Kauder, wenn ich heute beim Verwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eine Klage einreiche, dann bekomme ich den ersten Termin in zwei Jahren. Das finden Sie normal?

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Wer regiert denn da?)

Wir brauchen in diesem Bereich mehr Beschäftigte; denn die Qualität der Rechtsprechung hängt auch davon ab, dass sie zügig erfolgt und die Leute relativ schnell wissen, ob sie recht oder unrecht hatten.

(Beifall bei der LINKEN - Otto Fricke (FDP): Nur, dass das Ländersache ist!)

Da müssen wir neu nachdenken. Wir müssen den öffentlichen Dienst erweitern, und wir brauchen einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, wie es ihn in Berlin gibt und wie er in Brandenburg geplant ist. In Berlin gibt es schon 7 600 entsprechende Stellen. Diese Leute verdienen wieder Geld, sie zahlen wieder Lohnsteuer und Beiträge in die Sozialkassen ein. Außerdem sparen wir auf der anderen Seite die Auszahlung von Hartz IV. Was ist denn daran so schlimm? Sie machen etwas Vernünftiges und werden dafür bezahlt. Das ist der richtige Weg und nicht die Bezahlung von Arbeitslosigkeit. Es gibt doch andere Möglichkeiten.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt lassen Sie mich noch auf einen speziellen Fall eingehen, der mich und eigentlich auch Sie, Herr Kauder seit August 2009 beschäftigt und uns alle demnächst beschäftigen wird. Herr Kauder und ich waren zusammen mit Herrn Wowereit von der SPD, mit Herrn Brüderle von der FDP und mit Herrn Kuhn von den Grünen bei Hart aber fair. Da trat eine Mutter auf, die sagte, dass sie nur teilzeitbeschäftigt ist und zusätzlich Hartz IV bezieht. Ihre Tochter hatte in den Ferien gearbeitet und sich mit dem verdienten Geld einen Traum erfüllt und eine Gitarre gekauft. Der Mutter wurde das Geld dann wieder abgezogen.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das haben Sie schon dreimal erzählt!)

Alle, die in der Sendung anwesend waren, haben gesagt auch Sie, Herr Kauder , dass das korrigiert werden muss. Wir haben dann im September, noch in der vorigen Legislaturperiode, die Korrektur beantragt. Sie, meine Damen und Herren von der SPD, haben diesen Antrag zusammen mit der CDU/CSU abgelehnt.

(Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Das ist die Wahrheit!)

Die Grünen haben zugestimmt, wir haben zugestimmt, und die FDP hat sich der Stimme enthalten.

Jetzt haben Sie von der SPD einen entsprechenden Antrag eingebracht. Ich sage Ihnen heute schon, was passieren wird: Wir werden zustimmen, die Grünen werden zustimmen, die Union wird dagegenstimmen, und auch die FDP wird dagegenstimmen. Damit machen Sie Politik unmöglich. Was sagen Sie denn den Leuten? Als Sie in der Regierungsmehrheit waren, haben Sie dagegengestimmt. Wenn Sie aber in der Opposition, in der Minderheit, sind, stimmen Sie dafür. Die FDP hat sich in der Opposition der Stimme enthalten und stimmt in der Regierung dagegen. Was sollen die Leute damit anfangen?
Herr Lindner hat nun in einer neuen Sendung gesagt, das werde bis Ende des Jahres geregelt werden. Herr Lindner, warum bis Ende des Jahres? Die nächsten Sommerferien kommen im Juli. Lassen Sie uns das doch vorher regeln, damit die Kinder diesbezüglich vor den Sommerferien Bescheid wissen.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gesagt, es sei Ihnen gelungen, die Arbeitslosigkeit abzubauen. Sie hätten aber auch sagen müssen, wodurch. Es ist geschehen, indem die prekäre Beschäftigung in einem Maße ausgebaut worden ist, das für diese Gesellschaft von größtem Nachteil ist. Bei der Vollzeitbeschäftigung gibt es 1,4 Millionen Stellen weniger. Bei der Teilzeitbeschäftigung gibt es inzwischen 5 Millionen Stellen, bei Minijobs 7,1 Millionen. Die Mehrfachbeschäftigung hat sich verdoppelt, und die Zahl befristeter Beschäftigungsverhältnisse ist das wurde gestern in der Tagesschau gemeldet auf 2,7 Millionen gestiegen.

Dann gibt es noch die Aufstockerinnen und Aufstocker, die Sie alle loben. Aufstockung ist doch aber eine Zumutung. Da arbeitet jemand Vollzeit, verdient aber so wenig, dass er nicht davon leben kann, und dann kommt der Staat und übernimmt den Rest. Das ist ein Skandal. Wenn der Staat den Rest übernimmt, verführt das die Unternehmen doch dazu, ganz niedrige Löhne zu zahlen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn jemand vollzeitbeschäftigt ist, dann hat er Anspruch auf einen Lohn, von dem er in Würde leben kann. Das ist unser Standpunkt.

Wir haben, wie Sie gesagt haben, mit über 80 Milliarden Euro die höchste Neuverschuldung, die es je gab. Sie haben 900 Millionen Euro für die Bundesagentur für Arbeit erst einmal gesperrt. Jetzt sagen Sie, diese Mittel würden wieder zur Verfügung gestellt. Aber erst einmal sind sie gesperrt. Wenn sie gesperrt blieben, hieße das, dass ein Drittel der Jobcenter handlungsunfähig wäre und 10 000 Leute entlassen werden müssten. Was sind da Ihre Pläne?

Herr Bundesminister Rösler will jetzt zusätzlich eine Kopfpauschale von 29 Euro einführen.

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Stimmt doch nicht!)

Sie behaupten im Ernst, das Ganze sei aufgrund eines Steuerzuschusses sozial gerecht, wobei ich jetzt gar nichts dazu sagen möchte, dass Sie den Spitzensteuersatz ständig senken. Aber ernsthaft zu glauben, dass eine Friseuse und Herr Ackermann das Gleiche für die Gesundheit bezahlen sollten, ist völlig absurd.

(Zuruf des Abg. Wolfgang Zöller (CDU/CSU))

Ja, das ist Ihre Idee. Für mich ist es aber ein völlig absurder Gedanke.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun machen Sie mit der geplanten Einführung einer Pauschale von monatlich 29 Euro einen ersten Schritt. Aber bitte fügen Sie hinzu, dass Sie den Arbeitnehmerbeitrag für Zahnersatz und Krankenhauskosten in Höhe von 0,9 Prozent des Einkommens streichen wollen. Stattdessen wollen Sie die 29 Euro kassieren. Das bedeutet für jemanden, der 1 500 Euro im Monat verdient, dass er rund 10 Euro mehr zahlen muss. Jemand, der 3 700 Euro im Monat verdient, muss 5 Euro weniger zahlen. Es ist die alte Leier: Immer wieder wird eine Umverteilung von unten nach oben organisiert. Etwas anderes kennen Sie nicht.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das ist ein Zeichen der Entsolidarisierung. Mir ist es wichtig, hinzuzufügen: Natürlich brauchen wir eine Bürgerversicherung, weil dann jede und jeder seinem Einkommen entsprechend herangezogen wird. Nur das ist gerecht und nichts anderes.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Herr Bundesminister Rösler, zu Ihrem Vorhaben, die Arzneimittelpreise zu senken: Sie wissen doch selbst, dass das ein Schuss nach hinten ist; das kann nicht funktionieren. Warum organisieren Sie nicht einfach eine Preiskontrolle und eine Festlegung der Preise durch den Staat, damit die Konzerne zwar einen angemessenen Gewinn erzielen, aber keine riesigen Profite machen können? Was wäre daran so schlimm? Jetzt sagen Sie, die gesetzlichen Krankenkassen sollen im Nachhinein mit der Pharmaindustrie verhandeln. Dabei sind die Krankenkassen in einer viel schwächeren Position als die Pharmaindustrie, sodass nichts dabei herauskommt, außer dass die Pharmaindustrie nach wie vor die vollständige Preisdominanz hat.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Frau Bundeskanzlerin, Sie haben darauf hingewiesen, dass sich morgen der 18. März 1990 zum 20. Mal jährt. Das stimmt.

(Heiterkeit bei der LINKEN)

Ich habe ein paar Fragen an Sie: Frau Bundeskanzlerin, wann bekommen die Rentnerinnen und Rentner im Osten endlich für die gleiche Lebensleistung die gleiche Rente wie die Rentnerinnen und Rentner im Westen? Wann beantworten Sie uns diese Frage?

(Beifall bei der LINKEN)

Wann, Frau Bundeskanzlerin, bekommt man im Osten den gleichen Lohn für gleiche Arbeit und die gleiche Arbeitszeit? Wann beantworten Sie uns diese Frage?

(Beifall bei der LINKEN)

Wann, Frau Bundeskanzlerin, ist die Arbeitslosigkeit im Osten nicht mehr doppelt so hoch wie im Westen? Wann, Frau Bundeskanzlerin, verhindern wir, dass der Osten den Westen nach unten zieht, wie das heute der Fall sein soll? Wann hört es auf, dass der Osten die Begründung dies ist eine falsche Begründung für den Sozialabbau im Westen ist? Wer ein vereintes Deutschland will, muss gleiche Lebensverhältnisse in Ost und West herstellen und aufhören, Ost und West gegeneinander auszuspielen.

(Beifall bei der LINKEN)

Zum Schluss sage ich Ihnen: Wenn wir in dieser Gesellschaft soziale Gerechtigkeit wollen, kommen wir um Steuergerechtigkeit nicht umhin. Wer nicht den Mut hat, Steuergerechtigkeit herzustellen, der wird niemals in der Lage sein, soziale Gerechtigkeit herzustellen, sondern er wird immer nur begründen, weshalb dies nicht gehe und was alles dagegenspreche, und das zerstört diese Gesellschaft. Es gab noch nie so viele Außenstehende wie jetzt. Es gab noch nie so viel Armut in Deutschland wie jetzt. Wenn Sie daran weiter arbeiten, dann zerstören Sie die eigenen Grundlagen, auf die Sie bauen.

Frau Bundeskanzlerin, Sie werden verstehen: Wir können dem Etat Ihres Bundeskanzleramts beim besten Willen nicht zustimmen. Ich kann es nicht ändern.

(Anhaltender Beifall bei der LINKEN)