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Bundesforschungsbericht 2006

Archiv Linksfraktion - Rede von Petra Sitte,

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

für die Bewertung der Hightechstrategie hat sich mir ein Bild aus dem Umweltbereich aufgedrängt. Die Hightechstrategie der Bundesregierung erscheint mir ein bisschen wie eine Flussbegradigung, also quasi wie die Begradigung eines Erkenntnisstromes aus Wissenschaft und Forschung. Die Seitenarme intellektuellen Artenreichtums dieses Flusses werden nämlich weitestgehend durch die Hightechstrategie ausgetrocknet.

Ich will Ihnen sagen, warum ich diese Feststellung treffe: weil jegliche zu fördernden Aktivitäten ihre Existenzberechtigung im Wesentlichen aus einem gemeinsamen Nenner ableiten. Europa - ich zitiere Sie - soll zu einem wissensbasierten, wettbewerbsfähigen Forschungsraum“ und der angeschlossene „europäische Forschungsraum zu einem wirklichen Forschungsbinnenmarkt“ werden. Also all das, was nicht direkt in diese Richtung fließt, wird demzufolge kaum etwas vom Milliardenregen der Hightechwolke der Bundesregierung auffangen können.

(Jörg Tauss [SPD]: Wolke?)

Ihre Zuwendungsvoraussetzungen für Förderprogramme besagen ganz klar - ich zitiere wieder; das kann man nachlesen -: Die Projekte müssen unter industrieller Federführung stehen. In Ausnahmefällen können auch Einzelvorhaben von Unternehmen gefördert werden. Wohlgemerkt, wir reden hier über öffentliche Mittel in Höhe von 14,5 Milliarden Euro, die sich aus Steuergeldern speisen. Ein gehöriger Teil dieser Mittel stammt aus der Besteuerung von Löhnen und Gehältern. Ich will an dieser Stelle deshalb darauf verweisen, weil diese Hightechstrategie natürlich positiv die Frage beantworten muss, wem sie am Ende wirklich nutzen soll.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wie wirkt sie sich denn am Ende tatsächlich auf die Verbesserung der Lebensqualität der Menschen in diesem Land aus? Eine Gewinnergruppe können wir schon heute benennen: Das sind die großen Unternehmen der sogenannten Hightechbranche, also jene, die es bereits im Vorfeld dieser Hightechstrategie durch ihre Interessenverbände geschafft haben, die Schwerpunktsetzung in diesen Programmen auf sich selbst zu lenken. Erkenntnis- und Wissensanwendung wird vor allem dann öffentlich gefördert, wenn sich dafür bereits jetzt ein Markt abzeichnet oder wenn man wie im Bereich der Sicherheitstechnologien einen Markt erst künstlich schaffen will. Innovative kleine und mittelständische Unternehmen dagegen, die häufig vor dem Hintergrund strukturschwacher Regionen wie im Osten die Keimzellen sind, werden es deutlich schwerer haben, sich um Projektförderung zu bewerben und sich dann auch zu behaupten.

(Beifall bei der LINKEN)

Dazu muss ich sagen: Ich bin einigermaßen froh, dass es nach endlosem Drängen auch meiner Fraktion nun gelingen soll - dies ist schon von Frau Pieper angesprochen worden -, bis zum Sommer eine Art Forschungsprämie für innovative kleine und mittelständische Unternehmen aufzulegen, wie es sie bereits für andere öffentliche Wissenschaftseinrichtungen gibt.

Frau Ministerin, damit wir uns nicht falsch verstehen: Sie haben als Hauptidee dieser Strategie die Auflage einer modernen Form staatlicher Innovations- und Wirtschaftsförderung angekündigt. Mit deren Hilfe sollen neue Arbeitsplätze insbesondere in strukturschwachen Regionen entstehen. Dagegen legen wir natürlich überhaupt keinen Widerspruch ein. Widerspruch melden wir an, weil sich schon jetzt abzeichnet, dass diese Hightechstrategie in Teilen nicht eingehalten werden kann. Es werden eben nicht nur wichtige strategische Partner wie die zitierten innovativen kleinen und mittelständischen Unternehmen vernachlässigt. Was dem Programm derzeit auch völlig fehlt, ist ein Konzept, wie man diesem riesigen Fachkräftebedarf begegnen will. Weiterbildung und Fortbildung spielen in diesem Konzept kaum eine Rolle.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Bei der Umsetzung der neuen Hightechstrategie werden aber auch neue Konflikte und neue Konfliktlinien entstehen. Man kann schon jetzt in einzelnen Förderbereichen Problematisches erkennen. Im Programm selbst finden sich kaum Mittel für Projekte zur Risikoabschätzung und für die Voraussetzungs- und Begleitforschung. Es zeichnet sich bereits jetzt ein mangelnder Daten- und Verbraucherschutz ebenso ab wie fehlende Transparenz in der Mittelbewilligung. Es fehlen bei der Umsetzung dieses Programms Ansätze für einen öffentlichen Dialog zwischen Interessierten, Betroffenen, Experten sowie Vertretern und Vertreterinnen aus Wirtschaft und Politik. Ihr Innovationskreis ist zwar für Sie eine interessante Beratungseinrichtung; aber er findet nicht öffentlich statt. Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften finden in dem Programm nur dann Erwähnung - das ist bezeichnend -, wenn sie der Erklärung und damit am Ende auch einer höheren gesellschaftlichen Akzeptanz gegenüber sensiblen und besonders umstrittenen Technologien dienen. Schließlich werden wir - da bin ich mir sehr sicher - mit dem Programm vor dem Problem stehen, dass bei anwendungs- und industriebezogener Forschung die Unternehmen - das ist natürlich - ein Geheimhaltungsinteresse haben. Das widerspricht den Zielen öffentlicher Forschungsförderung.

Ich will Ihnen diese Kritik gern an einem Beispiel erläutern. Das Programm „IKT 2020“ dient der Subventionierung von Informations- und Kommunikationstechnologien.

(Jörg Tauss [SPD]: Nein! Forschung!)

Viele Projekte gelten offenbar nützlichen und Erfolg versprechenden Innovationen. Das wiederum kann ich nur vermuten und hoffen. Aber viele Projekte, die sich dort finden, sind inhaltlich noch nicht genau beschrieben. So soll beispielsweise die Funkchiptechnologie künftig weit mehr leisten als reine Identifikation in vielen Transport- und Vertriebssystemen, in Fertigungsanlagen zur Prozesssteuerung oder in Teilen des Einzelhandels. Eingebaute Funksensoren in Produkten machen auch umfassende Datenerfassung und Datenauswertung über Einzelpersonen möglich. Produkte bekommen gewissermaßen ein Gedächtnis. Das Nutzer- und Verbraucherverhalten kann so lückenlos dokumentiert werden, und zwar ohne dass es die Betroffenen merken. Zu dieser Problematik gibt es aktuell keine verbindliche Selbstverpflichtung der Wirtschaft zum Datenschutz. Die bestehenden gesetzlichen Regelungen reichen in diesem Bereich überhaupt nicht aus.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun kann ja mancher hier, sowohl auf der Tribüne als auch Sie im Saal, meinen: Das betrifft mich ja alles nicht. - Weit gefehlt, kann ich Ihnen da nur sagen. Denn es bezieht sich auf Ihr Kauf- und Fahrverhalten genauso wie auf Ihren Fernseher und PC an jedem denkbaren Ort, ob in Ihrer Wohnung, im Garten oder sonst wo. Entwicklungen dieser Art halten wir für höchst problematisch. Deshalb wollen wir sie nicht auch noch mit öffentlichen Fördergeldern ausstatten und vorantreiben.

(Beifall bei der LINKEN)

Weitere Beispiele ließen sich aufzählen für den Bereich der Sicherheitstechnologien, für Teile der Gesundheits- und Medizintechnik, für nukleare Energietechnologien, für die Grüne Gentechnik, für Fahrzeug- und Verkehrstechnologien, aber auch für Querschnittstechnologien wie die Nanotechnologie.

(René Röspel [SPD]: Welche bleiben denn dann eigentlich noch übrig?)

Für die Hightechpolitik der Bundesregierung ist übrigens auch symptomatisch, dass für die aus den Forschungsvorhaben gewonnenen Patente und Nutzungsrechte keinerlei Auflagen gemacht werden. Offenbar gilt Folgendes: Die Kosten für Forschung und Entwicklung sind gesellschaftlich aufzubringen, später anfallende Verwertungsgewinne dagegen werden privatisiert. Je tiefer ich mich bei der Vorbereitung und im Zuge unserer Beratungen im Ausschuss in die Hightechstrategie eingearbeitet habe, desto mehr bestätigt sich für mich folgende Erkenntnis: Öffentliche Forschungsförderung und die grundgesetzlich garantierte Freiheit von Forschung und Lehre stehen immer weniger im Dienste der Gesellschaft.

(Beifall bei der LINKEN)

Unlängst - Sie erinnern sich ganz gewiss an die Tumulte - wurde am Bundestag die Inschrift „Dem deutschen Volke“ durch ein Transparent verhängt, auf dem „Der deutschen Wirtschaft“ stand.

(René Röspel [SPD]: Schade, dass die Toleranz des Hauses so ausgenutzt wurde!)

Nachdem ich die Hightechstrategie studiert habe, kann ich nur sagen: Die Protestierenden haben den Nagel auf den Kopf getroffen. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN)