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Bundesbericht Forschung und Innovation 2008

Archiv Linksfraktion - Rede von Petra Sitte,

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Die Zukunft beginnt heute, das sollte doch wohl die Kernbotschaft eines Bundesforschungsberichtes sein. Es geht letztlich um nichts Geringeres als darum, Strategien für die Sicherung des Wohlstandes einer Gesellschaft zu entwickeln, in der es gerechter und ökologischer zugeht und in der Kultur und Ethik auch als zivilisatorische Gewinne begriffen werden. Immerhin könnten Forschung und Innovation wesentliche Potenziale für gerechtere Lebenschancen von Menschen unabhängig von ihrer sozialen Herkunft freisetzen, wenn, ja wenn Politik ihre Ziele tatsächlich an diesem „langfristigen Nutzen für Bürgerinnen und Bürger“ ausrichten würde. Genau so wurde es in dem von Herrn Röspel bereits zitierten Gutachten der Expertenkommission „Forschung und Innovation“ im Februar 2008 auf den Punkt gebracht. Dazu kann ich nur sagen: So sieht es auch die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Die Bundesregierung allerdings bezeichnet Innovationspolitik als „zentrales Element ihrer Wachstumspolitik“.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist ein Schritt zurück. Dies sage ich insbesondere an die Adresse der SPD: Sie haben im Jahre 2000 zusammen mit den Grünen eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie aufgelegt. Die strategische Ausrichtung sollte darauf hinauslaufen, die Bedürfnisse der heutigen Generation zu befriedigen, ohne die Bedürfnisse künftiger Generationen zu gefährden. Einen solchen solidarischen Ansatz unterstützt auch die Linke. Dem Bericht hingegen kann man entnehmen: Im Zweifel geht Wachstum vor Nachhaltigkeit. So ist der Bundesforschungsbericht zunächst nichts als eine interessante Sammlung von Zahlen und Fakten. Allerdings werden an keiner Stelle die Folgen der Unterordnung von Forschung und Entwicklung unter die Interessen von Wirtschaft und dort wiederum insbesondere unter die Interessen von Großunternehmen reflektiert. Damit liefern wir uns auch in diesem Bereich nahezu ungeschützt global vernetzten Finanzmärkten mit ihren Spekulationspotenzialen und den Konzernen als Global Playern aus. (Beifall bei der LINKEN) Die Bundesregierung konzentriert die Förderung auf Branchen wie Automobil- und Pharmaindustrie, Energie sowie Luft- und Raumfahrt. Gerade diese Branchen aber werden von einigen wenigen international agierenden Unternehmen bestimmt. Damit stellt sich zwangsläufig die Frage: Sind die Schwerpunkte der Innovationspolitik richtig und im richtigen Verhältnis zueinander gesetzt, wenn wir Sozial- und Beschäftigungssysteme, aber eben auch die Umwelt nachhaltig konditionieren wollen?

Die Linke sagt: Dazu bedarf es einer weiteren und neuen gesellschaftlichen Diskussion.

(Beifall bei der LINKEN)

Dies beginnt für uns damit, dass die Entscheidungsräume öffentlicher Kontrolle wieder zurückgeholt werden müssen. Warum ist es mir so wichtig, das hier zu sagen? Weil inzwischen die Lobbyisten großer Unternehmen und ihrer Verbände in Gremien der Bundesregierung die öffentliche Forschungsförderung nachhaltig beeinflussen, beispielsweise in der Forschungsunion oder den sogenannten Innovationskreisen. Was dort stattfindet, ist äußerst grenzwertig: Sie helfen nicht nur beim Schreiben von Gesetzen das haben wir nun auch schon in anderen Bereichen erfahren , nein, sie sitzen eigentlich direkt an der Quelle und nehmen lange vor der Erarbeitung von Gesetzen Einfluss auf die strategische Ausrichtung von Förderprogrammen der Bundesregierung. Inzwischen gibt es zwar erfreuliche Bemühungen um kleine und mittelständische Unternehmen; aber die größten Beträge fließen nach wie vor an die Großen der bereits zitierten Branchen:Diese wären allemal selbst stark genug, die Forschungsrisiken aus eigener Kraft zu schultern.

(Beifall bei der LINKEN)

Es gibt Länder, in denen genau diese Philosophie vertreten wird, beispielsweise die Schweiz. Durch dieses Herangehen bleiben grundsätzliche Probleme in Inhalten und Strukturen der Förderpolitik ungelöst. Unsere beiden Grundkritiken bestehen erstens in der Selektivität unseres Bildungs , aber auch des Forschungssystems und zweitens in der mangelnden Nachhaltigkeit von Forschung und Wirtschaft in Deutschland. Zur ersten Grundkritik: Schülerinnen und Schüler unterliegen einem Ausleseprozess, der viel stärker an ihrer sozialen Herkunft als an ihren Fähigkeiten anknüpft. Sie wissen, dass das zu irreversiblen Folgen für ganze Lebensläufe führt, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, die in irgendeiner Form behindert sind. Auch die jüngste Qualifizierungsoffensive doktert letztlich nur an Symptomen herum. Dabei wäre es notwendig, ursächlich anzusetzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen ein homogenes System wohlgemerkt: ein homogenes und kein gleichmachendes System über alle Bundesländer hinweg, dessen Bildungsangebote konsequent im frühkindlichen Bereich beginnen und über die gesamte Berufszeit durch Weiterbildung erhalten bleiben. Dafür nimmt die Bundesregierung zwar Geld in die Hand, aber aus unserer Sicht viel zu wenig.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb fragen wir Sie: Wann eigentlich wollen Sie die gravierenden Ungleichgewichte zwischen öffentlicher Bildungsfinanzierung einerseits und Technologieförderung andererseits nachhaltig korrigieren? Diese Defizite schränken letztlich - das hat sich bereits gezeigt die Chancen für den wissenschaftlichen Nachwuchs an den Hochschulen ein. Dort nehmen nämlich befristete und ungesicherte Beschäftigungen zu. Das wäre mit dem Wissenschaftsfreiheitsgesetz, Frau Pieper, noch viel schlimmer gekommen.

(Beifall bei der LINKEN Cornelia Pieper (FDP): Wieso denn das?)

Dies wirkt sich auch besonders negativ auf Frauen in der Wissenschaft aus. Hinzu kommt verschärfend das muss man hier unbedingt sagen , dass das Hochschulsystem in Gänze unterfinanziert ist und bleibt. Dieses Austrocknen von Quellen muss aufhören. Damit leider nicht genug: An Weiterbildungsmaßnahmen dies wurde schon gesagt nehmen in Deutschland nur 12 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer teil. Bei den Trägern qualifizierter Weiterbildungsangebote findet seit Jahren ein massenhaftes Absterben statt. Der Preis dafür sind Niedriglöhne in diesem Bereich und Tausende arbeitslose Weiterbilder. Was hört man allerorten? Fachkräftemangel! Schon so oft haben wir hier über Fachkräftemangel diskutiert. Was bitte ist das für eine Innovationspolitik, die intellektuelle Potenziale in solch einem Umfang ungenutzt lässt?

Die Linke sagt: Da muss man endlich umsteuern! (Beifall bei der LINKEN)

Schließlich und endlich wirkt diese Innovationspolitik auch innerhalb des Forschungssystems selektiv. So war die Grundlagenforschung Deutschlands international hoch angesehen. Jetzt mehren sich warnende Stimmen, dass die Grundlagenforschung durch Überbetonung der Anwendungsorientierung bei der Forschungsförderung wegzubrechen beginnt. Zugleich vertiefen sich die Abhängigkeiten der Hochschulen von Geldgebern aus der Wirtschaft. Ich kann nur sagen: Die Freiheit von Forschung und Lehre wie sie das Grundgesetz versteht ist auf eine völlig andere Art, als wir das bisher kannten, bedroht. Wir warnen vor der Aushöhlung dieses Grundrechts.

(Beifall bei der LINKEN)

Die zweite Grundkritik der Linken bezieht sich auf die mangelnde Nachhaltigkeit deutscher Innovationspolitik. Der jüngste Forschrittsbericht zur Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie zeigt: Die Milliardenmittel für Innovation steigern das Wirtschaftswachstum, aber auf Kosten einer nachhaltigen sozialen und ökologischen Entwicklung. Beispielsweise werden wieder verstärkt die Nuklearforschung oder die höchst fragwürdige Einlagerung von CO2 unter der Erde gefördert. Das hat mit Ökologie überhaupt nichts zu tun; denn die Ergebnisse sind völlig offen und kommen letztlich nur den Energiemonopolisten zugute.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Auch die Automobilindustrie baut ihre Marktstellung mit öffentlichen Geldern aus. Angesichts dessen, dass diese Gelder bei hochklassigen Pkw, die, wie wir wissen, Spritfresser sind, ankommen, frage ich mich: Was ist das für eine Innovationspolitik? Zugleich fehlen uns innovative Wege zu besserem öffentlichen Personenverkehr. Meine Damen und Herren, unbestritten sind kleine und mittelständische Unternehmen entscheidende Impulsgeber für neue, innovative Projekte. Aber deren Anteil an Forschung und Entwicklung ist, wie Gutachten gezeigt haben, rückläufig. Das ist insbesondere für Ostdeutschland fatal.

Leider Gottes sind viel weniger neue Arbeitsplätze entstanden, als notwendig sind und ursprünglich erwartet wurden. Das soll nicht heißen, dass diese Förderung falsch ist. Wir brauchen allerdings ostspezifische Programme. Diese werden im Bildungs- und Forschungsbereich zumeist - na, immerhin - Second Hand aufgelegt, und zwar genau dann, wenn wir praktisch vorgeführt bekommen haben, dass die ostdeutschen Länder bei wettbewerblich angelegter Forschungsförderung wie etwa der Nominierung von Eliteuniversitäten fast chancenlos geblieben sind, ja bleiben mussten.

(Jörg Tauss (SPD): Denken Sie mal an Inno-Regio!)

So ist der Abstand zwischen Ost und West nicht nur im Sozialen, sondern auch im Bereich der Wissenschaft wieder gewachsen. Wir wollen das nicht hinnehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Linke findet: Innovation boomt nicht nur, wenn der Markt Hurra schreit. Mindestens genauso innovativ ist es doch, wenn Forschung und Entwicklung soziale und ökologische Impulse setzen. Das stünde im Übrigen auch einer Forschungsministerin, die sich selbst als wertkonservativ versteht, gut zu Gesicht. Ich danke.

(Beifall bei der LINKEN)