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Bolognaprozess muss dringend reformiert werden!

Archiv Linksfraktion - Rede von Nicole Gohlke,

Herr Präsident / Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen,

vor zwei Wochen haben sich die Bildungsminister aller Länder, die die Bologna-Reform an den Hochschulen umsetzen, in Bukarest getroffen. Auch Deutschland hat das Kommuniqué der Konferenz unterzeichnet. Darin finden sich viele unterstützenswerte Vereinbarungen. Aber - Papier ist geduldig und die Frage ist, ob und wie all das nun faktisch umgesetzt wird.
Wenn man einen Blick in den Bericht wirft, den uns die Bundesregierung zur Umsetzung der Bologna-Reform in Deutschland vorgelegt hat, verliert man da leider recht schnell die Hoffnung.

Ein Beschluss aus dem Kommunique von Bukarest lautet: „Der Zugang zu höherer Bildung soll sozial gerecht erweitert werden“. Völlig richtig.
Aber was heißt das für die Bundesregierung?
Erstens: Sie müssten die Hochschulen erstmal in die Lage versetzen, sich zu öffnen. Aktuell wird ein angemessener Ausbau der Hochschulen durch fehlende Studienplätze verhindert. Das heißt, wir brauchen als erstes eine Aufstockung des Hochschulpaktes!

Zweitens: Sie müssten das BAföG erhöhen, Sie müssen dafür sorgen, dass mehr Studierende BAföG bekommen, und Sie müssten endlich den Darlehensanteil im BAföG abschaffen. Sie kennen die Zahlen: Drei von vier Abiturientinnen und Abiturienten, die auf ein Studium verzichten, tun dies aus finanziellen Gründen oder aus Angst vor Verschuldung. Wenn Sie es ernst meinen mit der sozialen Öffnung, dann geben Sie den Studienberechtigten die finanzielle Möglichkeit, ein Studium aufzunehmen!

Drittens: Wir brauchen den freien Zugang zum Master! In ihrem Bericht schreiben Sie hierzu. Ich zitiere: "Die Länder haben durch entsprechende Erhebungen festgestellt, dass für jeden interessierten Bachelorabsolventen heute ein Masterstudienplatz zur Verfügung steht." Da staunt der Laie und der Experte wundert sich! Schauen Sie doch einfach mal in die aktuelle Studie der HIS, die haben Sie selbst in Auftrag gegeben. Da kommen die Forscher und Forscherinnen zu einem ganz anderen Ergebnis: 10 Prozent an Unis und 14 Prozent an Fachhochschulen können eben nicht den Master machen, den sie machen wollen. Was betreiben Sie da für Schönfärberei?
Das wirklich größte Problem der Bologna-Reform – das musste auch Ihr Bericht zugeben – liegt in der Bezahlung der Bachelor-AbsolventInnen. Die Einkommen liegen 7 Prozent bei Fachhochschul- und 20 Prozent bei UniversitätsabsolventInnen unter denen der traditionellen Abschlüsse. Das erklärt in einfachen Zahlen, warum die Studierenden den Master anschließen wollen. Geben Sie den jungen Menschen diese Möglichkeit!

Ich will ein weiteres Ergebnis der Bukarest-Konferenz ansprechen: „Studierendenzentriertes Lernen soll vorangetrieben werden“ - ebenfalls völlig richtig.
Seit Jahren beklagen die Studierenden die Auswirkungen der Bologna-Reform. Verschulung, enormer Prüfungsdruck und Auswendiglernerei statt tieferer inhaltlicher Auseinandersetzung waren Anlass für die heftigen Bildungsstreiks der letzten Jahre. Sie reden in ihrem Bericht von „Umsetzungsproblemen“ und dass man das alles inzwischen im Griff hat. Aber an den Hochschulen hat sich wenig geändert. Treffen Sie endlich mit Kultusministern, Hochschulrektoren und Studierenden verbindliche Vereinbarungen für ein Lernen, bei dem wirklich die Interessen der Studierenden im Zentrum stehen. Die Studierenden brauchen eigenständige Schwerpunktsetzung in frei wählbaren Modulen und keine Lehrformen wie in einer taylorisierten Fabrik ! Und sie brauchen gute Betreuung: bei einem Verhältnis von 1 Hochschullehrer auf 60 Studierende lässt sich individuelle Betreuung natürlich nicht realisieren.
Schaffen sie endlich den Raum für selbstbestimmtes, kritisches und nachhaltiges Lernen!

Kolleginnen und Kollegen von der Bundesregierung, Frau Schavan - wenn die in Bukarest getroffenen Vereinbarungen etwas wert sein sollen, dann unterfüttern Sie die Beschlüsse jetzt mit Fakten!
Wir brauchen einen Reformprozess für die Hochschulen, der Bildungschancen nicht einschränkt, sondern sich an einer umfassenden Öffnung der Hochschulen orientiert. Wir brauchen eine Studienreform, die eine eigenständige Studiengestaltung ermöglicht und eine kritische Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Disziplin und gesellschaftlichen Verhältnissen fördert! Bringen Sie das endlich auf den Weg!

Es gilt das gesprochene Wort.