Gesine Lötzsch zum Haushaltsentwurf 2009, 1.Lesung
Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE):Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kurt Beck hatte seiner Partei ein ehrgeiziges Ziel verordnet: „Nah bei den Menschen“. Doch wie er feststellen musste, befand er sich nicht unter Gleichgesinnten, sondern in einem Wolfsrudel. Wir, die Linke, sind wirklich nah bei den Menschen.
(Widerspruch bei der SPD)
Wir kennen und unterstützen die Forderungen der Menschen.
(Beifall bei der LINKEN - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Neue Frisur, aber alte Parolen! - Otto Fricke (FDP): Ich sage nur: Sie sind ein Wolf im Schafspelz!)
Herr Steinbrück, natürlich haben wir ein Programm; das wissen Sie so gut wie wir alle.
(Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie haben ein Programm? Wo denn? - Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Interessant! Schicken Sie es doch mal vorbei!)
Zur allgemeinen Information sage ich: In Deutschland gibt es ein Parteiengesetz, das vorschreibt, dass eine Partei nur dann als solche zugelassen werden darf, wenn sie ein Programm hat. Das gilt natürlich auch für uns.
(Beifall bei der LINKEN - Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist wirklich ein überaus interessantes Programm, das Sie haben! - Jürgen Koppelin (FDP): Meine Waschmaschine hat sogar verschiedene Programme!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Ihnen unser Programm nicht passt, ist ein anderes Thema. Das haben wir bereits erkannt.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Natürlich waren wir nicht überrascht, von Ihnen wieder einmal den billigen Vorwurf des Populismus zu hören. Ich sage Ihnen ganz klar: Von Leuten, die sich mit großer Arroganz über den Willen von Millionen Menschen hinwegsetzen, die gegen den erklärten Willen der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger Krieg in Afghanistan führen und gegen den erklärten Willen der Mehrheit die Rente mit 67 eingeführt haben, lasse ich mir keinen Populismus vorwerfen.
(Beifall bei der LINKEN Joachim Poß (SPD): Sie können doch gar nicht anders! Das ist das Problem!)
Die Linke gibt vielen Menschen wieder eine Stimme, die jahrelang von den anderen Parteien nicht beachtet wurden.
Wenn wir heute den Entwurf des Bundeshaushalts 2009 betrachten, müssen wir die Frage stellen, ob dieser Haushaltsentwurf wirklich nahe bei den Problemen der Menschen ist und welchen Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit er wirklich leistet.
Was Sie hier über die Situation am Arbeitsmarkt erzählt haben, Herr Steinbrück, geht am Leben völlig vorbei. Über die Verfälschung der Arbeitslosenstatistik werden wir am Donnerstag beim betreffenden Haushalt noch im Detail sprechen. Vielleicht nur eine Position, die uns alle zum Nachdenken veranlassen sollte: In den vergangenen zehn Jahren wurden anderthalb Millionen normale Arbeitsverhältnisse in Deutschland abgebaut. Im gleichen Zeitraum sind aus zweieinhalb Millionen prekären Arbeitsverhältnissen fast 8 Millionen geworden. Was heißt denn das? Das heißt übersetzt, dass Menschen in unsicheren Verhältnissen leben, dass sie von Mini- und Midijobs leben müssen, dass sie einen Lohn erhalten, von dem sie ihr Leben nicht bestreiten können. Wenn das Ihre Erfolge auf dem Arbeitsmarkt sind, dann werden Sie meines Erachtens in der Bevölkerung dafür keine Unterstützung finden.
(Beifall bei der LINKEN)
In den nächsten Tagen werden wir noch sehr intensiv über die Nettoneuverschuldung diskutieren. Jeder hat eine andere Zahl im Kopf. Der Ehrgeiz wird sein, sie einstellig zu bekommen; das haben wir schon erkannt. Ich sage Ihnen aber ganz klar: Wir müssten heute schon keine neuen Kredite aufnehmen, wenn Sie nicht in den vergangenen Jahren Milliarden an Unternehmen und Wohlhabende verschenkt hätten. Allein durch die letzte Unternehmensteuerreform fehlen uns etwa 10 Milliarden Euro in den öffentlichen Kassen.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Rettung der privaten Industrie- und Kreditbank IKB kostet uns allen zusätzlich 10 Milliarden Euro. Wegen der Steuergeschenke von Hans Eichel an Unternehmen und Wohlhabende fehlen uns weitere 50 Milliarden Euro. Ich könnte diese Aufzählung fortsetzen. Es zeigt sich: Die Regierung verfährt nach einem ganz simplen Muster: Sie verteilt von unten nach oben, rechnet sich arm, um dann zu erklären, dass es an die Bedürftigen nichts mehr zu verteilen gebe. Das ist eine Politik, die meines Erachtens verlogen ist. Darüber muss man immer wieder aufklären.
(Beifall bei der LINKEN)
Natürlich ist es sinnvoll, einen Kredit aufzunehmen, um eine Schule oder eine Universität zu bauen. Verantwortungslos ist es allerdings, einen Kredit aufzunehmen, um in Afghanistan oder anderswo in der Welt Waffen auszuprobieren.
(Beifall bei der LINKEN Zuruf von der SPD: Ist das billig!)
Kredite, die wir heute aufnehmen, um die Zukunft unserer Kinder und Enkel zu sichern, sind wichtig und notwendig. Deshalb fordert die Linke gerade in Zeiten des konjunkturellen Abschwungs ein Zukunftsinvestitionsprogramm.
(Beifall bei der LINKEN)
Kredite, mit denen veraltete Raketen wie die PARS 3 Stückpreis 1,3 Millionen Euro finanziert werden, sind dagegen herausgeschmissenes Geld. Davon werden unsere Kinder und Enkel nichts haben.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir müssen heute in die Zukunft unserer Kinder investieren. Wer das nicht versteht, der setzt die Zukunft der nächsten Generation aufs Spiel.
Ich darf daran erinnern, dass natürlich schon unsere Vorfahren Kredite aufgenommen haben, zum Beispiel damit in unserem Land eines der modernsten und leistungsfähigsten Eisenbahnnetze der Welt entstehen konnte. Das waren Investitionen in die Zukunft, von denen wir noch heute profitieren. Allerdings konnten unsere Vorfahren nicht ahnen, dass CDU/CSU und SPD dieses Kapital eines Tages verscherbeln wollen. Bismarck würde sich im Grabe umdrehen, wenn er sehen könnte, wie seine Nachfolger mit der Bahn umgehen.
(Beifall bei der LINKEN Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Interessant, dass Sie Bismarck zitieren!)
Lieber Herr Kollege Fromme, liebe Kollegen von der CDU, ich empfehle Ihnen, sich nicht nur mit Adenauer zu beschäftigen, sondern auch mit Bismarck. Von ihm könnten Sie auch etwas über die Bedeutung eines guten Verhältnisses zwischen Russland und Deutschland lernen.
(Beifall bei der LINKEN)
Doch in dieser Frage konsultiert die Kanzlerin lieber George Bush und nimmt die Zerschlagung des Verhältnisses zwischen Deutschland und Russland billigend in Kauf. Die „New York Times“ berichtete am 8. September aus dem Wahlkreis von Frau Merkel unter der Überschrift: Es ist die Ökonomie und nicht Russland, was den Deutschen Sorgen macht. Ich denke, das hat diese Zeitung gut beobachtet. Viele Bürger sehen in den Nachrichten die Kanzlerin und den Kanzlerkandidaten um die Welt reisen und fragen sich: Was wird eigentlich aus uns?
In der „Süddeutschen Zeitung“ las ich die Überschrift „Gutverdiener Schultern den Haushalt“. Das hat Herr Steinbrück mit anderen Worten auch gesagt. Damit wird der falsche Eindruck vermittelt, dass der Haushalt ausschließlich aus der Lohn- und Einkommensteuer gespeist wird. Doch schon durch die Zahlen des Finanzministeriums wird uns gezeigt, dass weit mehr Einnahmen aus der Mehrwertsteuer und der Energiesteuer als aus der Lohn- und Einkommensteuer erwartet werden. Es ist also eine völlig unzulässige Verkürzung, zu behaupten, dass die Besserverdienenden den Haushalt tragen; denn Mehrwert- und Energiesteuer müssen wir alle zahlen.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal alle Bürgerinnen und Bürger an die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik und den größten Wahlbetrug erinnern. Die SPD erklärte, sie wolle die Mehrwertsteuererhöhung auf keinen Fall mitmachen, und die CDU/CSU kündigte eine Erhöhung um 2 Prozent an. Wir alle wissen, dass 3 Prozent herausgekommen sind. Diese Koalition, die die Wähler 2005 so betrogen hat, erklärt, dass sie nach der Bundestagswahl 2009 die Große Koalition ist augenscheinlich auf Dauer geplant die Steuern senken will. Wer soll das noch glauben?
(Beifall bei der LINKEN)
Die EU-Finanzminister haben in den letzten Tagen einen alten Vorschlag der Linken aufgegriffen, nämlich arbeitsintensive Dienstleistungen wie Reparaturarbeiten, nur mit einem verminderten Mehrwertsteuersatz zu belasten. Herr Steinbrück hat diesen Vorschlag natürlich umgehend zurückgewiesen, weil Steuersenkungen angeblich keine Auswirkungen auf die Preise hätten. Herr Steinbrück, erstaunlich ist aber, dass im letzten Jahr der Mehrwertsteuersatz für Seilbahnfahrten auf Wunsch der CSU reduziert wurde, ohne dass ich lauten Protest von Ihnen gehört habe.
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für Seilbahnfahrten?)
Ja, für Seilbahnfahrten. Das sollte sich jeder Bürger einmal durch den Kopf gehen lassen. Wir als Linke fordern den verminderten Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent nicht nur für arbeitsintensive Dienstleistungen, sondern auch für Medikamente und Bedarfsartikel für Kinder.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich habe schon unterstrichen, dass wir ein Investitionsprogramm fordern, mit dem die Zukunft der nächsten Generation gesichert wird. Es geht aber nicht nur um die Zukunft, sondern auch um die Gegenwart. Darum möchte ich an dieser Stelle unsere Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn, von dem die Menschen in Würde leben können, noch einmal ausdrücklich unterstreichen.
(Beifall bei der LINKEN)
Herr Steinbrück, dieser Mindestlohn hätte auch noch den schönen Nebeneffekt, dass die öffentlichen Haushalte entlastet würden. Allein für die Einkommensaufstocker das sind Menschen, die von ihren Löhnen nicht leben können und deshalb staatliche Hilfen benötigen wurden im letzten Jahr 9 Milliarden Euro ausgegeben. Damit wird der Staat immer mehr zur zentralen Lohnauszahlstelle für Unternehmen, die ihre Mitarbeiter miserabel bezahlen. Diese dauerhafte Subventionierung von Unternehmen hat doch nun wirklich nichts mit Marktwirtschaft zu tun. Das ist reiner Staatsdirigismus.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir fordern eine Aufstockung des Arbeitslosengeldes II, des Mindestelterngeldes und des Kindergeldes. Die Bundesregierung will jetzt monatlich 10 Euro mehr Kindergeld bezahlen. Das ist nicht einmal der Inflationsausgleich.
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen schon einige Vorschläge für mehr Steuergerechtigkeit und mehr Einnahmen benannt. Abschließend kann ich Ihnen noch Beispiele dafür nennen, wo wir im Haushalt kräftig sparen können. Es ist aus meiner Sicht wirklich erstaunlich, wie sorgfältig die Koalitionsfraktionen die Wunschliste der Rüstungslobbyisten abarbeiten.
(Beifall bei der LINKEN Zurufe von der SPD: Oh!)
Ich will nicht alle nutzlosen Rüstungsprojekte benennen. Doch denken Sie einfach einmal darüber nach: Großbritannien möchte den Eurofighter nicht mehr; wir wollen ihn weiter finanzieren.
(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das stimmt so doch gar nicht! Jürgen Koppelin (FDP): Sie wollen in Amerika etwas kaufen, das noch teurer ist!)
Ich glaube, wir sollten uns ab und zu auch einmal bei unseren europäischen Nachbarn umschauen.
Mit dem Haushaltsentwurf 2009 sind Sie weit von den Problemen der Arbeitnehmer, der Arbeitslosen, der Familien und der Rentner entfernt. Sie sind nicht nahe bei den Menschen; Sie sind nahe bei den Wirtschafts- und Rüstungslobbyisten. Der einzige, der mir wirklich nahe bei den Menschen zu sein scheint, ist Herr Schäuble mit seinen Kameras, Mikrofonen, Trojanern und Spürhunden. Das war mit „nahe bei den Menschen“ aber wohl nicht gemeint.
Vielen Dank.
(Anhaltender Beifall bei der LINKEN)