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Bildungspolitik der großen Koalition grenzt an unterlassene Hilfeleistung

Archiv Linksfraktion - Rede von Nicole Gohlke,

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich muss mich schon wundern: Zwei Monate Koalitionsverhandlungen, und dann kommt so etwas heraus!


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Das ist substanziell!)


Wer einen Aufbruch in der Bildung erwartet hatte, wurde bitter enttäuscht.

(Zurufe von der SPD)


– Entschuldigung, in der Rede von Frau Wanka kamen die Begriffe „Bildung“, „allgemeine Bildung“ und „schulische Bildung“ noch nicht einmal vor.
Die GEW attestierte sehr zu Recht einen „fehlenden politischen Gestaltungswillen“, der studentische Dachverband fzs spricht von einer Fortführung der Politik der „befristeten Finanzspritzen nach Stimmungslage“, und sogar der Deutsche Philologenverband nannte das Ergebnis „konturlos“.


(Lachen bei der SPD – René Röspel [SPD]: Das ist wohl eine Organisation der Linken!)


– Daran sehen Sie einmal, wie breit die Kritik an Ihrem Vorschlag ist.
Man hätte es nicht für möglich gehalten, aber die Große Koalition setzt auf die unsoziale Politik von Schwarz-Gelb


(Zuruf von der CDU/CSU: Oh!)


sogar noch eins drauf; denn auf das drängendste Problem, dass die Länder immer weniger Geld für Investitionen im Bildungsbereich haben und aufgrund der Schuldenbremse vor massiven Kürzungen stehen, gibt diese Regierung einfach keine Antwort.


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Milliardenentlastung der Länder! – Dagmar Ziegler [SPD]: Was? 6 Milliarden Euro sind keine Antwort?)


Sie gibt nicht nur keine Antwort, sondern sie verweigert auch auf der Hand liegende und zum Greifen nahe Lösungen. Das ist nicht nur mangelnde politische Gestaltung, sondern das ist eigentlich schon unterlassene Hilfeleistung.


(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der CDU/CSU)


Zwei Dinge wären bitter nötig: erstens eine Steuerpolitik, die auch einmal die Reichen zur Kasse bittet, um die öffentlichen Haushalte überhaupt in die Lage zu versetzen,


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Wir haben hier eine Bildungsdebatte!)


die großen Aufgaben in der Bildung anzupacken, und zweitens die Aufhebung des Kooperationsverbotes, damit es dem Bund nicht länger verboten ist, in der Bildung mitzufinanzieren.


(Beifall bei der LINKEN – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Wir finanzieren die Bildung mit, und zwar mit Milliardenbeträgen!)


Aber Sie in der Koalition haben sich bereits vor Beginn der Koalitionsverhandlungen darauf verständigt, auf Steuergerechtigkeit zu verzichten.


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Zum Thema, bitte!)


Sprich: Bevor Sie überhaupt wussten, was Sie inhaltlich wollen, wussten Sie bereits, dass Sie es nicht finanzieren können.
Dass Sie sich dann aber noch nicht einmal darauf einigen konnten, das Kooperationsverbot abzuschaffen, versteht wirklich niemand. Das ist doch inzwischen einhellige Meinung. Selbst Ihre Ministerin, Frau Wanka, hat im Wahlkampf erklärt, es wäre Zeit, dieses Relikt abzuschaffen. Ich frage mich: Was hindert Sie daran? Wieso tun Sie es nicht einfach mit Ihrer hier existierenden Vierfünftelmehrheit?


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie kündigen ein Jahrzehnt der Hochschulen an, haben aber keine Idee, wie Sie das finanziell untersetzen sollen. Es ist vor allem eine finanzielle Frage; denn in den meisten Hochschulen bröckelt mittlerweile etwas mehr als nur der Putz: Da wackelt wirklich das Fundament. In Sachsen werden gerade 30 Studiengänge geschlossen. An der Uni Bremen sollen 140 Stellen gestrichen werden. In Thüringen stehen sogar 500 Stellen zur Disposition. Wenn das der Anfang Ihres Jahrzehnts der Hochschulen ist, dann graut einem wirklich davor, wie es weitergeht.


(Beifall bei der LINKEN)


Kommen wir zur Haltung der SPD. Ich denke zum Beispiel an Ihren Beitrag, Herr Rossmann, in der Frankfurter Rundschau vor zwei Wochen, als Sie das Ergebnis des Koalitionsvertrages ziemlich treffend, wie ich finde, einen „Flop“ genannt haben.

(René Röspel [SPD]: Einen Teil davon!)


Da hat man dann doch den Eindruck, die SPD hat Mühe, sich selbst von der propagierten sozialdemokratischen Handschrift im Koalitionsvertrag zu überzeugen. Das ist auch kein Wunder; denn der Abschnitt zu Bildung und Wissenschaft gibt das nicht her. Kein Wort mehr von den großen SPD-Wahlkampfversprechen: kein Wort mehr vom Ganztagsschulprogramm oder vom Ausbau der Schulsozialarbeit.
Die SPD hat für eine BAföG-Reform und für ein Ende des Deutschlandstipendiums Wahlkampf gemacht. Jetzt bekennen Sie sich zur Fortführung dieses Stipendienprogramms. Das Thema BAföG taucht gar nicht mehr auf. Statt der überfälligen BAföG-Erhöhung schönt die Regierung lieber den BAföG-Bericht, wie vor zwei Tagen geschehen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wo sind denn Ihre Argumente?)


Vizepräsident Peter Hintze:
Frau Kollegin, ich darf ganz kurz eine Atempause bei Ihnen nutzen: Der Kollege Rossmann von der SPD-Fraktion möchte Ihnen eine Frage stellen. Lassen Sie sie zu?


Nicole Gohlke (DIE LINKE):
Ja, gerne.


Vizepräsident Peter Hintze:
Bitte schön, Kollege Rossmann.
Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):


Frau Kollegin, Sie haben sich auf das bezogen, was ich in der Frankfurter Rundschau geschrieben habe. Meine Frage ist: Stimmen Sie darin überein, dass ich nicht den Koalitionsvertrag und die Vereinbarungen zu Bildung und Forschung insgesamt als „Flop“ bezeichnet habe, sondern geschrieben habe, dass wir das BAföG aus dem „schwarzen Loch“ herausholen wollen? Haben Sie auch gehört, dass unsere Bundesbildungsministerin diese Neugestaltung des BAföG in ihrer Erläuterung zum Koalitionsvertrag angekündigt hat?


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Nicole Gohlke (DIE LINKE):
Das habe ich gehört. –
(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Gut!)


Ich finde es trotzdem bemerkenswert, dass Ihre Rolle in der Regierung momentan darin besteht, dass Sie Ihre Meinung in den Medien publizieren und dadurch den Koalitionspartner dazu auffordern, auf bestimmten Gebieten etwas zu tun, weil dazu nichts im Koalitionsvertrag steht. Da ist natürlich das BAföG an allererster Stelle zu nennen. Ich finde es schon erstaunlich, wie eine absolut mickrige Studienfinanzierung wie das Stipendienprogramm Eingang in einen Koalitionsvertrag findet


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Weil es wichtig ist!)


und die wichtigste Säule der individuellen Bildungsfinanzierung wie das BAföG nicht einmal erwähnt wird. Das lässt schon tief blicken.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die SPD hat sich auch für die Grund- und Ausfinanzierung der Hochschulen starkgemacht. Jetzt lesen wir im Koalitionsvertrag ausschließlich von befristeten Programmen und Wettbewerben, wie der x-ten Auflage des Hochschulpaktes oder der Exzellenzinitiative, was aber doch – das muss man sagen – an den Bedarfen der allermeisten Hochschulen völlig vorbeigeht.
Sie wissen doch auch: Genau diese Politik von Pakten und befristeten Programmen ist doch der Grund, warum 90 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Hochschulen befristet und prekär beschäftigt sind. Immerhin da sieht die Koalition Handlungsbedarf und will das Wissenschaftszeitvertragsgesetz novellieren. Gleichzeitig sagen Sie, dass Sie vor allem die Hochschul- und Wissenschaftseinrichtungen in der Pflicht sehen, dieser Entwicklung gegenzusteuern. Es wäre nicht das erste Thema, bei dem sich die Regierung aus der Verantwortung ziehen will.
Die Linke fordert, die Tarifsperre im Wissenschaftszeitvertragsgesetz abzuschaffen und eine Mindestvertragslaufzeit von zwölf Monaten für wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter festzulegen.


(Beifall bei der LINKEN)


Es muss für diejenigen, die Kinder betreuen oder Angehörige pflegen, der Anspruch auf Verlängerung der Befristungshöchstdauer verbindlich festgeschrieben werden. Das ist natürlich eine Aufgabe des Gesetzgebers. Hören Sie auf, sich davor wegzuducken!


(Beifall bei der LINKEN)


Das große Problem der Großen Koalition ist doch Folgendes: Sie denken Bildung und Wissenschaft vom Wettbewerb her, als Standort- und Wirtschaftsfaktor; ich denke, die Rede von Frau Wanka gerade war ein guter Beleg dafür.


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Die Bedürfnisse der Studierenden und der Beschäftigten, der Lehrerinnen und Lehrer sowie der Schülerinnen und Schüler sind für Sie doch bestenfalls nachrangig.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Na, na, na!)


Ich sage Ihnen: So kann man an Bildung und ihren individuellen und gesellschaftlichen Anspruch nicht herangehen, und das wird Ihnen noch auf die Füße fallen.
Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)