Zum Hauptinhalt springen

Bildung muss Gemeinschaftsaufgabe werden

Archiv Linksfraktion - Rede von Cornelia Möhring,

Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes sollen in der Bundesrepublik Deutschland künftig für Bildung und Forschung ausgegeben werden. Das scheint ein ehrgeiziges Ziel zu sein; denn Deutschland liegt hier immer noch unter dem OECD-Durchschnitt. Gleichzeitig wird landauf, landab die große Abhängigkeit des Bildungszuganges von der sozialen Herkunft beklagt, was offensichtlich auch die Bundesbildungsministerin umtreibt. Darum begründet sie einen Großteil der Finanzposten im Bildungshaushalt wie mein Kollege Vorredner auch mit der Absicht, einen Nachteilsausgleich für die Schwächeren leisten zu wollen, um soziale Gerechtigkeit herzustellen.
Doch bleiben wir zunächst bei den Zahlen: 10 Prozent im Bundesdurchschnitt. Man wolle den Ländern helfen so war zu lesen und zu hören , dieses Ziel ebenfalls zu erreichen. Schon diese Formulierung macht deutlich, worum es geht: Nicht der Bund will zahlen, sondern die Länder sollen zahlen.
Zur Illustration möchte ich Ihnen drei Zahlen nennen: 11, 23 und 3. Nein, meine Damen und Herren von der FDP, das ist nicht das neue Steuerkonzept der Linken


(Patrick Meinhardt (FDP): Würde uns auch wundern!)


das würde Sie wundern, mich auch , sondern das sind die Bildungsanteile in den aktuellen Haushalten von Bund, Ländern und Kommunen. Mehr als 11 Prozent wendet meine Heimatstadt Magdeburg in diesem Jahr für die Bildungsfinanzierung auf, und zwar ohne Kinderbetreuung, über 23 Prozent das Land Sachsen-Anhalt, aus dem ich komme, und gerade einmal 3 Prozent stehen im Bundeshaushalt zur Verfügung.
Der Haushalt des BMBF umfasst knapp 11 Milliarden Euro. Allein für das geplante Steuersenkungspaket will die Bundesregierung ab 2011 mehr als das Doppelte ausgeben. Oder: Für die Bildung will der Bund jährlich im Durchschnitt 3 Milliarden Euro mehr ausgeben, achtmal so hoch sollen die Steuergeschenke ab 2011 ausfallen. Man darf gespannt sein, in welcher Größenordnung dieses Steuerpaket, das Sie bereits angekündigt haben, ausfallen wird. Wie wäre es damit: Lassen Sie es einfach. Geben Sie dieses Geld in die auskömmliche Finanzierung von Bildung.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das wären zusammen 27 Milliarden Euro mehr pro Jahr, und damit würden wir den nötigen Zielzahlen ein gutes Stück näherkommen.


(Beifall bei der LINKEN Patrick Meinhardt (FDP): Wir vertrauen den Menschen!)


Wer 3 Milliarden Euro zusätzlich in die Bildung investieren will, aber Steuergeschenke in Höhe von 24 Milliarden Euro macht und dann noch behauptet wie Sie eben, Herr Meinhardt , dass mit dem Haushalt den sozialen Ungerechtigkeiten im Bildungssystem entgegengewirkt werden soll,


(Patrick Meinhardt (FDP): Exakt!)


der hat offensichtlich ein komisches Verständnis von sozialer Gerechtigkeit.


(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben die 1,3 Milliarden Euro, die wir beantragt haben, kritisiert. Dabei waren wir noch bescheiden gewesen. Aber auch 11 Milliarden Euro sind ja nicht nichts. Aber man kann auch damit Vernünftiges tun.
Schauen wir uns die Details an: Für den Nachteilsausgleich ist der Bundesregierung etwas Seltsames eingefallen: ein nationales Stipendienprogramm.


(Patrick Meinhardt (FDP): Hervorragend!)


Herr Meinhardt hat eben darüber gesprochen. Das hört sich zunächst gut an. Ein Leistungsstipendium soll es sein, ganz nach dem Motto: Leistung muss sich wieder lohnen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie klatschen an der falschen Stelle. Die Chance, ein Leistungsstipendium zu erhalten, haben nur diejenigen, die die Hürde genommen haben, ein Studium finanzieren zu können; aber daran scheitern viele in diesem Land. Dort liegt die soziale Ungerechtigkeit.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD)


Was glauben Sie, wie es Jugendlichen aus Hartz-IV-Familien oder aus Familien mit geringem Einkommen gelingen soll, ein Studium zu finanzieren? Von einem Leistungsstipendium haben nur diejenigen etwas, deren Eltern so viel verdienen, dass sie das Studium finanzieren können, oder diejenigen, die nur wenig jobben müssen, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Denen kann ein Leistungsstipendium vielleicht helfen, aber nicht denen, die es wirklich nötig haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Das Programm des Bundes wirkt fast wie eine Gelddruckmaschine; denn der Bund finanziert das Stipendium mit einem Anteil von nur 75 Euro das entspricht einem Viertel , weitere 75 Euro sollen von den Ländern kommen und die Hälfte aus privater Hand. Für den Bund nenne ich das eine ordentliche Rendite, praktisch gesehen ist es aber ein weiterer Einstieg in die Privatisierung der Bildungskosten. Die Mittel für dieses Programm wären besser im BAföG-System für Schülerinnen und Schüler sowie Studierende aufgehoben; denn darauf gibt es wenigstens einen Rechtsanspruch.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Doch an das BAföG gehen Sie sehr vorsichtig heran. Bis heute gibt es kein auskömmliches Angebot. Man darf gespannt sein, was Sie noch vorlegen werden. Wir brauchen die Aufstockung der Beträge, die Erweiterung des Kreises der Anspruchsberechtigten und die Beendigung der Rückzahlungspflicht. Das wäre ein wirklicher Nachteilsausgleich. Das Stipendienprogramm ist es nicht.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nehmen wir den Bereich der beruflichen Bildung, den die Bundesministerin gern als das Flaggschiff des deutschen Bildungswesens bezeichnet. Dafür gibt es sogar noch Bundeszuständigkeiten. Wir werden Anfang April den Berufsbildungsbericht erhalten. Der wird uns den Spiegel vorhalten: Immer noch sind es 1,5 Millionen junger Menschen zwischen 20 und 30 Jahren, die keine abgeschlossene Berufsausbildung haben. Wir werden wohl erstmals mit Zahlen über die Bugwelle konfrontiert werden, also mit der Zahl jener Jugendlichen, die sich in Schulen weiter in Warteschleifen befinden und gar nicht erst einen Ausbildungsplatz erhalten. Ihre Projekte dort wirken wie eine Notfallambulanz: Übergangsmaßnahmen, am Mangel wird herumgedoktert, eine konjunkturunabhängige Ausbildungsfinanzierung steht nicht zur Debatte.
Ganz peinlich wird es, wenn man auf die Felder schaut, bei denen die Bundesregierung überhaupt keine Kompetenzen hat. Gegen die lokalen Bildungsbündnisse ist eigentlich nichts zu sagen, wenn es um die Öffnung von Schule geht; aber Sie wollen leistungsschwache Kinder und Jugendliche stärker fördern. Förderunterricht wollen Sie anbieten. Aber individuelle Förderung ist ein Auftrag an die Schule und nicht an zusätzliche private Anbieter. Wenn Sie auf diesem Gebiet etwas tun wollen, muss das Geld in die Schulen fließen.
Das Ganztagsschulprogramm ist auch ein Problem. Jetzt planen Sie 6,3 Millionen Euro ein. Was wollen Sie damit eigentlich finanzieren? Für Besichtigungsreisen wird es wahrscheinlich reichen, für mehr aber nicht.
Ich bleibe dabei: Das Kooperationsverbot war der schwerste bildungspolitische Fehler in der jüngeren Geschichte. Darum, Frau Schavan: Nutzen Sie einfach den Antrag der Linken, der in der nächsten Sitzungswoche im Plenum behandelt wird. Legen Sie einen entsprechenden Gesetzentwurf vor. Wir wollen für alle drei Ebenen Bund, Länder und Kommunen die gleiche Verantwortung bei der Finanzierung. Mit „11, 23 und 3“ muss Schluss sein. Wir wollen eine Gemeinschaftsaufgabe Bildung, und die kann nur in gleicher Verantwortung finanziert werden. Dafür treten wir ein. Das, was Sie leisten, reicht bei weitem nicht aus.


(Beifall bei der LINKEN)