Petra Pau (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach den terroristischen Anschlägen in den USA am 11. September 2001 wurden auch in der Bundesrepublik zahlreiche so genannte Antiterrorgesetze in Kraft gesetzt. In Anlehnung an den Namen des damaligen Bundesinnenministers Otto Schily wurden sie salopp „Otto-Pakete“ genannt. Heute nun nähern wir uns „Schäuble I“.
(Zuruf von der SPD: Schäuble hat gar nicht so viel damit zu tun!)
Wieder geht es um mehr Befugnisse für die Geheimdienste und um weitere Eingriffe in Grund- und Bürgerrechte.
Wir haben damals die „Otto-Pakete“ abgelehnt. Ich sage es vorweg: Die Fraktion DIE LINKE wird auch den Entwurf des vorliegenden Ergänzungsgesetzes ablehnen.
(Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist eine große Überraschung!)
Im Kern geht es dabei um zweierlei: Die so genannten Sicherheitsgesetze, die damals befristet wurden, sollen zum einen verlängert und zum anderen verschärft werden. Ich komme zunächst zur Verlängerung. Dazu melden auch die FDP und die Grünen in ihren Anträgen Zweifel an zu Recht, finde ich. Denn niemand verlängert ein Gesetz oder einen Vertrag, wenn er nicht davon überzeugt ist, dass dieser gut und richtig ist. 2001 und 2002 wurde deshalb auch versprochen, die „Otto-Pakete“ binnen drei oder vier Jahren genau daraufhin zu untersuchen, also wie es auf Fachdeutsch heißt zu evaluieren. Diese Evaluierung hat bis heute nicht umfassend stattgefunden. Es gab lediglich das hat der Minister dargestellt eine regierungsinterne Überprüfung. Die hatte dann allerdings das zu erwartende Ergebnis: ein Selbstlob mit wie der Minister heute sagte der einen oder anderen lebensnahen Präzisierung. Eine wirkliche Überprüfung von Wirkungen und Folgen der „Otto-Pakete“ hat es bis heute nicht gegeben.
Doch es gibt zwei Ausnahmen. Das Bundesverfassungsgericht hat zwei wesentliche Elemente der Antiterrorpakete als verfassungswidrig kassiert: den großen Lauschangriff und das Luftsicherheitsgesetz. Das war aber bestimmt keine Empfehlung zur Verlängerung und Weiterführung dieser Politik, sondern eine Ohrfeige für Rot-Grün. Ich sage Ihnen voraus, dass auch Sie sich, wenn Sie so weitermachen, in Karlsruhe eine solche Ohrfeige abholen.
(Beifall bei der LINKEN)
Schon deshalb wird die Linke der Verlängerung nicht zustimmen. Das wäre falsch, weil die Gesetze tief in verbriefte Bürgerrechte ein- und rechtsstaatliche Prinzipien angreifen. Immer mehr Bürgerinnen und Bürger werden unter Generalverdacht gestellt und entsprechend behandelt. Das ist das Wesen der alten und der neuen Antiterrorgesetze. Bürgerinnen und Bürger werden nicht als Souverän, sondern als potenzielle Gefahr betrachtet. Das lehnen wir grundsätzlich ab.
(Beifall bei der LINKEN)
Damit bin ich bei den Ergänzungen zum Antiterrorgesetz, die von der Bundesregierung bereits beschlossen wurden und nun von den Unionsparteien und der SPD dem Bundestag vorgeschlagen werden. Zählt man die zahlreichen Einzelvorschläge zusammen, erkennt man drei große Linien. Linie 1: Die Geheimdienste werden enthemmt und aufgerüstet. Linie 2: Der Datenschutz wird zum Abschuss freigegeben. Linie 3: Der Abbau von Bürgerrechten wird grenzüberschreitend forciert. Das sind tiefe Einschnitte zwar freundlich verpackt, mit Demokratie aber unvereinbar.
Ein konkretes Beispiel. Zuweilen wird der Eindruck genährt, unsere Sicherheitsbehörden seien geradezu gelähmt, weil sie über zu wenig Daten verfügten. Ich wollte es nun genauer wissen. Die Bundesregierung hat mir spezifisch und konkret geantwortet zwar unvollständig, aber immerhin. Demnach gibt es bei den verschiedenen Sicherheitsbehörden über 160 spezifische Dateien, die sich auf Kriminalität bzw. Terrorismus beziehen. In diesen Dateien gibt es über 60 Millionen Datensätze über Personen und Personengruppen, die verdächtigt werden. Ich frage Sie: 60 Millionen Datensätze zumeist geheim gehalten und zugleich legal erhoben in einem Land mit 80 Millionen Einwohnern?
(Klaus Uwe Benneter (SPD): Jetzt vermischen Sie aber die Zahlen!)
Das ist eine Überwachungsqualität, der niemand ernsthaft zustimmen kann, der das Grundgesetz sowie Bürger- und Freiheitsrechte ernst nimmt.
(Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Das sagen die Richtigen!)
Nun wollen Sie zudem noch eine Zentraldatei, die gemeinsam von der Polizei und den Geheimdiensten gespeist und genutzt wird. Die Linke wird das aus zwei Gründen ablehnen. Erstens wird damit davon war heute schon die Rede das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten unterlaufen. Zweitens ist es egal, wie Sie diese Zentraldatei ausgestalten, als Volltextdatei, als Indexdatei oder als Mischform: Die Geheimdienste werden zum Schluss immer die Deutungshoheit über die Polizei haben. Das halte ich für schlicht grundgesetzwidrig.
(Beifall bei der LINKEN - Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): So ein Unfug!)
Die Linke jedenfalls wird nicht die Geltungsdauer von Gesetzen verlängern, die die Bürgerrechte derart infrage stellen. Die Linke wird keine Gesetze ergänzen, die so den Rechtsstaat infrage stellen. Wir werden also nicht die Arbeit jener übernehmen, vor denen uns diese Gesetze angeblich schützen sollen.
Abschließend: Sicherheit ist ein hohes Gut. Jede und jeder hat Anspruch darauf.
(Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Und zwar unabhängig vom Geldbeutel!)
Natürlich muss der Staat dem entsprechen. Aber sobald sich die Sicherheit des Staates über die Rechte der Bürgerinnen und Bürger erhebt, ist Widerspruch angesagt. Genau deshalb widerspricht die Linke heute.
(Beifall bei der LINKEN)
Bedrohliche Staats-Philosophie: 60 Millionen Datensätze
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von
Petra Pau,