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Bahnprivatisierung: Union und SPD beginnen Volksenteignung

Archiv Linksfraktion - Rede von Gregor Gysi,

Gregor Gysi in der abschließenden Debatte über den Antrag von Union und SPD »Zukunft der Bahn, Bahn der Zukunft - Die Bahnreform weiterentwickeln«

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Zunächst finde ich es interessant, Herr Lippold, dass Sie von „Hinterlandverkehr“ sprechen. Ich weiß gar nicht genau, welche Gegenden in Deutschland Sie damit meinen. Ich hoffe, Sie sagen das in den Wahlkämpfen.

(Jan Mücke (FDP): Das heißt so! - Patrick Döring (FDP): Das ist ein Terminus technicus! - Uwe Beckmeyer (SPD): Diesen Begriff kennen Sie nicht! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der SPD)

Ich wollte ja nur, dass Sie wieder lauter werden, damit ein bisschen Leben in die Bude kommt. Das habe ich immerhin geschafft.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Ich sage Ihnen: Sie haben Ende letzten Jahres zwei 100-prozentige Bahntöchter verkauft. Das haben Sie, die Bundesregierung, am Bundestag vorbei getan. Nicht einmal der Haushaltsausschuss wurde damit beschäftigt. Das verstößt nach unserer Auffassung zum einen gegen das Haushaltsgesetz und zum anderen gegen das Grundgesetz. Deshalb haben wir jetzt Organklage erhoben. Wir werden den ersten Schritt dieser Art der Privatisierung vom Bundesverfassungsgericht prüfen lassen. Das halte ich für dringend erforderlich.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Auch das, was Sie heute vorhaben, ist interessant: Alle Fraktionen waren sich immer einig, dass man ein Gesetz braucht, um diese Privatisierung durchzuführen; auch die SPD hat das auf ihrem Parteitag ganz eindeutig so beschlossen. Im letzten Moment haben Sie allerdings gesagt: Nein, wir brauchen doch kein Gesetz, sondern wir fassen lediglich einen Beschluss; das muss reichen.
Warum haben Sie das gemacht? Um den Bundesrat zu umgehen. Bei einem Gesetz bräuchten Sie nämlich die Zustimmung des Bundesrates. Aber Sie befürchten, dass Sie sie nicht ohne Weiteres bekommen würden. Das ist ein übler Trick und kein angemessener Weg. Auch das wird das Bundesverfassungsgericht sicherlich beschäftigen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Man kann darüber diskutieren, ob Ihr Beschluss Art. 87 e des Grundgesetzes widerspricht. Auf jeden Fall widerspricht er Art. 87 e Abs. 5 Satz 1, in dem ausdrücklich steht, dass ein Gesetz beschlossen werden muss, dem der Bundesrat zuzustimmen hat. Das versuchen Sie zu umgehen.

(Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): Lesen Sie das einmal richtig!)

Dass das Ganze einem Parteitagsbeschluss der SPD widerspricht, habe ich schon beim letzten Mal gesagt. Ich weiß, dass man das vor dem Bundesverfassungsgericht nicht einklagen kann. Dennoch sagt das etwas über Ihre Situation aus.
Nun wird also ein Viertel der Bahn verkauft. Ich finde es hochinteressant, dass sowohl die FDP als auch die Union immer erklären, das sei erst der Anfang, und dass die SPD immer erklärt, das sei der weiteste Schritt und mehr komme nicht infrage. Ich glaube, dass die Union, die FDP und letztlich auch die SPD zu einem späteren Zeitpunkt entscheiden werden, diesen Anteil weiter zu erhöhen.

(Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Ganz genau! So wird es sein! - Patrick Döring (FDP): Natürlich! Das ist ja auch richtig!)

Auf genau diese Gefahr weisen wir die Bevölkerung hin.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Seit 170 Jahren gehören die Eisenbahnstrecken und die Eisenbahnen dem Volk.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das bleibt auch so!)

Jetzt beginnt seine Enteignung. Herr Bundesverkehrsminister, Sie sagen immer, dass Sie die Daseinsvorsorge gewährleisten wollen. Daher möchte ich Sie auf drei Dinge hinweisen: 20 Prozent der Strecken sind bereits stillgelegt; das sind 5 000 Kilometer. 1 000 Bahnhöfe wurden bereits geschlossen; das alles hat Folgen. Jetzt sage ich etwas, bei dem Sie bestimmt wieder aufschreien werden: Die DDR hatte zweifellos nicht das beste Streckennetz,

(Martin Burkert (SPD): Das stimmt!)

aber immerhin das dichteste in Europa.

(Uwe Beckmeyer (SPD): Dass Sie das überhaupt anführen mögen! Ich würde mich dafür schämen!)
Davon kann heute überhaupt keine Rede mehr sein.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos) - Lachen des Abg. Uwe Beckmeyer (SPD))

Ich wusste, dass Sie das stört.
Sie erzählen immer, dieser Verkauf sei sehr wichtig, weil die Bahn dadurch frisches Geld bekomme, mit dem sie die Infrastruktur wunderbar entwickeln könne. Wenn ich es richtig verstanden habe, wollen Sie ein Viertel der Bahn verkaufen. Sie erwarten doch keine Spenden.

(Heiterkeit der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) sowie der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE))

Würden Sie sagen, dass Sie in diesem Umfang Spenden erwarten, dann könnten Sie hier erzählen, was Sie mit diesem Geld machen wollen. Da Sie aber verkaufen, sage ich Ihnen: Die Investoren erwarten ihr Geld zurück, und zwar mit einem großen Plus und so schnell wie möglich. Das alles müssen die Kundinnen und Kunden bezahlen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Die Investoren schenken Ihnen ihr Geld doch nicht!
Abgesehen davon hat der Kollege von der FDP völlig recht, dass es, was die Kaufsummen betrifft, Schwankungen gibt, die gar nicht mehr auszuhalten sind. Plötzlich fehlen zum Beispiel 3 Milliarden Euro. Man hat den Eindruck, als wenn das gar nichts wäre. Auch das ist nicht hinzunehmen.
Was ist eigentlich das Ziel des Investors? Der Investor ist doch nicht in die Bahn verliebt. Er träumt doch nicht von schönen Bahnhöfen

(Heiterkeit bei der LINKEN)

oder davon, dass die Leute mit der Bahn in Zukunft alles bequem erledigen können. Er will mehr Geld. Das ist der einzige Grund, aus dem er Geld zur Verfügung stellt. Das müssen Sie den Leuten endlich einmal ehrlich sagen. Sie müssen auch einmal sagen, wer das in welcher Form zu bezahlen hat.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Interessant ist auch die Frage: Was passiert mit dieser Einnahme? Wenn ich es richtig verstanden habe, wollen Sie die Einnahme des Bundes dritteln. Ein Drittel soll die Bahn bekommen. Machen wir uns doch einmal klar, was die Bahn mit diesem Drittel macht. Nehmen wir zum Beispiel an, die Bahn trägt damit Schulden ab; das wäre legitim. Es ist doch so: Wenn der Investor den Kaufpreis gezahlt hat, gehört ihm die Bahn zu einem Viertel.

(Uwe Beckmeyer (SPD): Nein! Schon das ist falsch! - Patrick Döring (FDP): So ein Unsinn! Keine Ahnung! - Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Das ist Marktwirtschaft! Das verstehen Sie nicht!)

Daraufhin kommt ein Drittel seines Geldes zur Bahn zurück, und dann setzen Sie es entsprechend ein. Das ist ja wunderbar! Da werden sie sich freuen!

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Es ist auch wichtig, was mit den beteiligten Personen geschieht. Sie werden das nicht mehr los; denn das ist ein starkes Stück. Weil Sie sich beim letzten Mal so sehr darüber geärgert haben, sage ich es noch einmal: Ich habe gar nichts dagegen, dass Gewerkschafter Personalchefs werden und in Vorstände wechseln. Aber in diesem Fall ist der Zusammenhang unerträglich.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Herr Hansen, der Chef der Gewerkschaft Transnet, war immer für eine Privatisierung. Jetzt spricht er in der Bild-Zeitung von einem Anteil in Höhe von 49,9 Prozent. Er ist in den Vorsand gewechselt und bekommt nun ein ganz anderes Gehalt. Ich muss Ihnen sagen: Das hat ein sehr unangenehmes Geschmäckle. Das müssten auch Sie einmal kritisieren. Das ist nicht hinnehmbar.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Jetzt sage ich Ihnen: Wenn nun auch noch der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Achim Großmann,

(Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Stasi-Gysi!)

und Thomas Kohl von der SPD - er war auch einmal Ihr Sprecher und ist jetzt Abteilungsleiter im Ministerium auf die Vorstandsebene wechseln, dann hat man den Eindruck, dass der Verkauf auch deshalb stattfindet, um Leute der eigenen Partei unterzubringen. Das ist doch nicht mehr hinnehmbar und geht in jeder Hinsicht einfach zu weit.

(Beifall bei der LINKEN, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Nun sagen Sie immer, es gebe riesige Erfolge und durch die Bahnprivatisierung würden die Probleme der Bahn gelöst. Schauen wir uns das doch einmal in Großbritannien und Neuseeland an! Warum ignorieren Sie denn die Erfahrungen aus den beiden Ländern? Neuseeland hat die Bahn verkauft und muss sie jetzt zu einem viel höheren Preis zurückkaufen, weil die öffentliche Daseinsvorsorge nicht mehr gewährleistet werden kann.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

In Großbritannien haben wir es mit Unfällen zu tun, die man sich vorher überhaupt nicht vorstellen konnte.

(Jan Mücke (FDP): Was wollen Sie denn, Herr Gysi? Martin Burkert (SPD): Weil sie das Netz verkauft haben!)

Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Ich will Ihnen doch wirklich nicht sagen, dass jedes staatliche Unternehmen zwingend gut geleitet ist. Das ist gar nicht das Problem.

(Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Das haben wir in der DDR ja gesehen!)

Eben, ja. Ich bin ja nicht bescheuert. Auch ich weiß das.

(Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): Na ja!)

Es geht um etwas ganz anderes, nämlich um die politische Verantwortung, die Sie schrittweise aufgeben. Sie wollen dafür nicht mehr zuständig sein.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Schauen wir uns als Beispiel doch die Privatisierung der Energieversorgung an! Heute gibt es eine Gemeinsamkeit zwischen Frau Merkel und mir: Aufgrund der Privatisierung haben wir beide das Gleiche über die Energiepreise zu entscheiden, nämlich gar nichts. Ansonsten wäre die Politik dafür zuständig. Wenn die Politik zuständig ist - darin werden Sie mir doch wenigstens zustimmen -, dann macht die Wahl zwischen Frau Merkel und mir Sinn, weil die eine damit so umgeht und der andere anders. Wenn sie aber nicht zuständig ist und beide nichts mehr zu entscheiden haben, dann verliert die Demokratie an Bedeutung. Die Privatiseure sind Leute, die die Bedeutung der Demokratie reduzieren, während die Linke sie erhöhen will. Das ist Tatsache.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos) - Uwe Beckmeyer (SPD): Das ist ja gigantisch daneben!)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege Gysi, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Mücke?

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Ja, bitte.

Jan Mücke (FDP):
Herr Kollege Gysi, Sie haben gerade davon gesprochen, dass die Privatisierung eines Verkehrsunternehmens ähnlich katastrophale Folgen wie die Privatisierung im Energiebereich hätte. Ist Ihnen bekannt, dass die Bundesrepublik Deutschland bereits ein Verkehrsunternehmen veräußert hat, nämlich die Deutsche Lufthansa AG, die sehr erfolgreich am Markt operiert, mehr Mitarbeiter als zu staatlichen Zeiten hat und eine der erfolgreichsten Airlines in Europa ist?

(Thomas Oppermann (SPD): Er ist doch Vielflieger!)

Auch dieses Verkehrsunternehmen hat einen öffentlichen Transportauftrag. Wo ist hier eigentlich die Relation? Erklären Sie mir das bitte.
Ich würde gerne eine zweite Frage anschließen. Da Sie sagen, dass Sie wieder zurück zu einer staatlichen Bahn wollen, möchte ich Sie an das Jahr 1993 erinnern, als es neben der Deutschen Bundesbahn auch noch die Deutsche Reichsbahn gab. Diese beiden Unternehmen konnten von ihren Fahrgeldeinnahmen nicht einmal mehr ihre Personalkosten decken. Erst seitdem wir diesen Privatisierungsprozess angestoßen haben, gibt es überhaupt eine positive Entwicklung im Eisenbahnsektor. Welche Antwort geben Sie mir darauf?

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Ich fange mit der ersten Frage an.
Wir sind gegen die Privatisierung in drei Bereichen bzw. für die Wiederverstaatlichung, wenn dort bereits privatisiert wurde.
Das Erste das sage ich Ihnen ganz klar ist die Rüstungsindustrie, weil ich verhindern möchte, dass Leute am Krieg verdienen. Dann ist es mir lieber, dass die Rüstungsindustrie staatlich ist.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos) - Lachen bei der SPD - Thomas Oppermann (SPD): Wie in der DDR! Hat ja gut funktioniert! - Uwe Beckmeyer (SPD): Slowakische Panzer! Bum, bum, bum!)

Das Zweite sind Monopole, weil man bei einem Monopol, bei dem man keine Konkurrenz organisieren kann, auch nicht in der Lage ist, Druck auf die Preise nach unten und auf die Qualität nach oben auszuüben. Da man das nicht organisieren kann, möchte ich eine politische Zuständigkeit.
Das Dritte ist die öffentliche Daseinsvorsorge.
Bei der Lufthansa hat die Privatisierung einigermaßen funktioniert, aber das Fliegen ist immer teurer geworden.

(Jan Mücke (FDP): Nein, billiger!)

Ja, natürlich. Aber selbstverständlich.

(Thomas Oppermann (SPD): Weil die Bonusmeilen nicht mehr kommen! - Patrick Döring (FDP): Das Fliegen ist immer billiger geworden! Die Monopolgewinne sind weg! Keine Ahnung!)

Schauen Sie sich doch einmal die Lufthansa im Vergleich zu anderen Linien an!

(Uwe Beckmeyer (SPD): Jetzt weiß ich auch, warum Sie als Wirtschaftssenator zurückgetreten sind!)

Hören Sie mal zu! Dann können Sie den Unterschied aber sehr schnell feststellen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Jetzt zu Ihrer zweiten Frage. Alles, was 1993 versprochen worden ist, wurde nicht eingehalten. Das erste Versprechen war, dass die Bahn für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler billiger wird. Sie ist teurer geworden.

(Zuruf von der SPD: Nein!)

Aber selbstverständlich. - Das zweite Versprechen war, dass die Bahn ein kundennahes Serviceunternehmen wird. Davon kann keine Rede sein, wenn Beschäftigte entlassen und Schalter und Bahnhöfe geschlossen werden. Außerdem sollten die Anteile der Schiene am Verkehrsmarkt erhöht werden. Auch das ist nicht gelungen. Alle drei Versprechen im Zusammenhang mit der organisatorischen Privatisierung der Bahn sind nicht erfüllt worden. Das ist die eigentliche Tragik.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege Gysi, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Trittin?

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Gerne.

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Kollege Gysi, so sehr ich Ihre Auffassung teile, dass es in den Bereichen, in denen es Monopole gibt, nicht um Privatisierung gehen kann weswegen zum Beispiel das Bahnnetz oder Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht privatisiert werden sollten , sollten Sie dem Hohen Hause in Ihrer festen Überzeugung, die Sie zum Besten gegeben haben, auch erklären, warum Sie sich an der Privatisierung der Dresdener Wasserbetriebe beteiligt haben und warum das von Ihnen mitregierte Berlin eine Volksinitiative zur Rekommunalisierung der Berliner Wasserbetriebe mit fadenscheinigen Argumenten abgewürgt hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Das Erste ist einfach. Das kann ich damit erklären, dass die Dresdener Fraktion in dieser Frage völlig gespalten war. Ein Teil hat sich so entschieden, ein anderer Teil hat sich für das Gegenteil ausgesprochen.

(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh!)

So etwas kennen Sie nicht. Sie setzen das im Gegensatz zu uns mit Gewalt durch. - Die Partei insgesamt hat klar dagegen Stellung genommen. Ich finde den Verkauf der Dresdener Wasserbetriebe eindeutig falsch. Das haben wir auch immer so gesagt.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Die Umstände des Verkaufs der Berliner Wasserbetriebe waren ein starkes Stück. Wir haben die Situation von Herrn Diepgen übernommen, der zusammen mit dem Koalitionspartner SPD regiert hat. Der Verkauf ist in einer Art und Weise erfolgt, die nicht hinnehmbar ist. Ich nenne nur einen Punkt, der in den Verträgen enthalten ist. Das weiß ich nun wirklich ganz genau.
(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist nicht die Frage, Herr Kollege! - Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Wo bleibt die Antwort?)

Ich sage gleich etwas zur Rekomunalisierung. - Den Verträgen zufolge gehört ein größerer Anteil der Stadt. Ein kleinerer Anteil gehört zwei privaten Investoren, und zwar in Verbindung mit der Regelung, dass sie jedes Jahr eine bestimmte Gewinnausschüttung erhalten, unabhängig davon, was die Wasserbetriebe einnehmen. Das ist eine tolle Leistung. Das heißt, dass die Stadt immer zahlen muss, selbst wenn keine Gewinne erwirtschaftet werden. Wenn die Wasserbetriebe rekommunalisiert würden, dann müssten wir Milliarden aufbringen, die wir leider Dank Union und SPD in Berlin zurzeit nicht haben, Herr Trittin. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Jetzt komme ich zurück zur Privatisierung. Ich habe über Monopole und Rüstung gesprochen. Es gibt noch einen dritten Bereich, nämlich die öffentliche Daseinsvorsorge. Ich bitte Sie, zu bedenken, was wir hier anrichten. Was heißt es denn, wenn eine Klinik privatisiert wird - das ist ein Beispiel der öffentlichen Daseinsvorsorge; das kann man nicht leugnen -, was viele CDU-Ministerpräsidenten zu gerne machen?

(Zuruf von der FDP: Wir reden doch über die Bahn!)

Dann gibt es einen Geschäftsführer, der erreichen muss, dass sich das Krankenhaus rechnet. Sie wollen das so. Das hat folgende Konsequenz: Er bekommt eine Fallpauschale für eine bestimmte Operation. Der eine Patient ist 22, ein anderer 70 Jahre alt. Für beide erhält er denselben Geldbetrag nach der Operation.

(Jan Mücke (FDP): Das ist das Problem der Fallpauschalen, nicht der Privatisierung!)

Der eine liegt nach der Operation drei Tage im Krankenhaus, der andere drei Wochen. Wer von den beiden rechnet sich für die Klinik?

(Patrick Döring (FDP): Quatsch! - Uwe Beckmeyer (SPD): Wir sind jetzt bei der Bahn, Herr Gysi!)

Wollen wir, dass Klinikleitungen so denken müssen? Oder wollen wir, dass sie sich danach richten, was zur Vorsorge und Fürsorge für alle Menschen in der Bundesrepublik Deutschland gleichermaßen getan werden muss? Das ist der andere Ansatz. Das gilt für die Bereiche Wasser, Energie und Verkehr gleichermaßen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Was wollen wir bei der Bahn erreichen? Gibt es einen sozialen und ökologischen Auftrag? Wollen wir, dass auch Hartz-IV-Empfänger mit der Bahn fahren können? Gibt es eine Art Grundrecht auf Mobilität? Wenn ich politische Freiheiten deklariere, muss auch jemand zur Demonstration oder Kundgebung fahren können. Wie kommt er dahin? Das ist die soziale Frage.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Hinzu kommt die ökologische Frage. Wenn Gütertransporte von der Straße auf die Schiene verlagert werden sollen, dann müssen subventionierte Angebote unterbreitet werden. Das wird ein privater Investor niemals tun. Warum sollte er etwas verschenken?

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Alle diese politischen Ziele beginnen Sie aufzugeben. Ich weiß, dass zunächst nur ein Viertel der Bahn verkauft werden soll. Ich weiß aber auch, wie groß der Einfluss eines Investors ist, dem ein Viertel eines Unternehmens gehört. Der Renditedruck wird zunehmen.
Weil Sie auch über die positiven Veränderungen bei der Bahn gesprochen haben, fordere ich Sie auf, einmal zu vergleichen, was eine Bahnfahrkarte vor 15 Jahren oder vor zehn Jahren gekostet hat und was sie heute kostet.

(Jan Mücke (FDP): Vergleichen Sie mal die Leistungen!)

Das ist doch nicht etwa billiger geworden. Dies gehört zur Vorbereitung der Privatisierung, um den Investoren zu zeigen, wie sehr sich das Geschäft lohnt.
Der nächste Punkt betrifft Befürchtungen der Länder. Warum sind die Länder dagegen, und warum sollen sie ausgeschlossen werden? Aus einem ganz einfachen Grund: Die Länder gehen davon aus, dass die Investoren nur etwas erwerben, was sich rechnet. Was sich nicht rechnet, bleibt bei den Kommunen, und das müssen dann die Länder bezahlen. Deshalb melden sie Widerspruch an. Dann kommen Sie und sagen: Wir fassen bloß einen Beschluss, und dann können die Länder keinen Widerspruch anmelden. Es ist nicht hinnehmbar, wie Sie das Ganze organisieren.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Ich komme zu meinem letzten Punkt. Wenn wir die Zuständigkeit der Politik durch Privatisierung Schritt für Schritt aufgeben - wir tun es bei der Kultur, bei der Bildung, im Gesundheitswesen, bei Energie und Wasser und nun auch beim Verkehr -, dann zerstören wir das Primat der Politik und bekommen ein Primat der Wirtschaft über die Politik, wovon man schon heute ausgehen kann. Dann müssen wir den Bürgerinnen und Bürgern jedes Mal erklären, warum wir alle dafür nicht zuständig sind:

(Jan Mücke (FDP): Das ist keine Staatswirtschaft! Wir haben eine Marktwirtschaft, Herr Gysi! Es gibt keine Staatswirtschaft in diesem Land!)

Wir haben es verkauft; es gehört uns nicht mehr. Es gehört irgendeinem Privaten, der über die Preise sowie darüber entscheidet, was er anbietet. - Das ist der falsche Weg. Wir brauchen eine höhere Bedeutung der Demokratie und damit eine klare Verantwortung der Politik.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos) - Patrick Döring (FDP): Abenteuerlich!)