Meine Damen und Herren!
Georg Christoph Lichtenberg hat uns Folgendes mit auf den Weg gegeben: Die gemeinsten Meinungen und was jeder für ausgemacht hält, verdient oft am meisten untersucht zu werden. So ist es schon notwendig, in diesem Haushalt Irrtümer oder - sagen wir es etwas freundlicher - Illusionen, denen die Bundesregierung erliegt, aufzudecken.
(Beifall bei der LINKEN - Jörg Tauss [SPD]: Lichtenberg dachte nicht an uns bei dem Satz!)
- Nur so viel als Hinweis: Er war nicht Mitglied der Linksfraktion. Sie werden sich jetzt vielleicht fragen, wohin ich mit dieser Feststellung eigentlich will;
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Genau!)
denn - da haben Sie völlig Recht -: Dieser Einzelplan immerhin hat Aufwüchse. Es gibt höhere Ausgaben. Er stärkt Forschung und Projektförderung für Bereiche wie: Lebenswissenschaften, neue Technologien sowie umweltgerechte nachhaltige Entwicklung. Die Exzellenzinitiative „Spitzenunis“ und der Pakt für Forschung werden finanziert. Außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und die Begabtenförderung bekommen mehr Geld. Das ist doch alles okay.
(Ulrike Flach (FDP): Schön wärs! - Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das ist mehr als okay! - Jörg Tauss [SPD]: Das ist sogar sehr gut!)
„Ja!“, sage ich auch. - Wo sollen da Irrtum und Illusion liegen? Zahlen lügen doch schließlich nicht. - Stimmt! Mit Zahlen kann man sich sehr gut beruhigen. Man kann sich auch selbst auf die Schulter klopfen. Aber
(Ulrike Flach [FDP]: Jetzt kommt es!)
- richtig! -: Dieser Haushalt leistet nicht, was sich die Koalitionsparteien im Wahlkampf noch ganz groß auf die Fahnen geschrieben haben. Bei der SPD war im Wahlkampfprogramm zu lesen: Jedem und jeder Einzelnen wollen wir unabhängig von der sozialen Herkunft Zugang zu guter Bildung ermöglichen.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Steffen Kampeter [CDU/CSU] - Zuruf von der SPD: Klasse Satz!)
Ist in Ordnung. Bei der CDU las sich das so: Wohlstand für alle setzt Bildung für alle voraus. Die Teilhabe aller an Bildung und Ausbildung ist die zwingende Voraussetzung dafür, dass keine Begabung ungenutzt bleibt.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Die Ministerin hat selbst darauf hingewiesen. - So weit bin ich einverstanden. Aber nun machen Sie auch etwas draus!
(Beifall bei der LINKEN)
Dieser Haushalt blendet das Erreichen aller jedoch aus. Es finden sich in diesem Haushalt keine neuen Zeugnisse für das Erreichen aller. Das Ganztagsschulprogramm wird lediglich zu Ende geführt.
(Jörg Tauss [SPD]: Was heißt hier „lediglich“?)
Berufsbildung, Weiterbildung, BAföG folgen den alten Spuren. Wir alle kennen die Misere; wir haben hier oft genug darüber geredet. Das Hauptproblem unseres Bildungssystems besteht darin, dass Bildungserfolge von Kindern und Jugendlichen vor allem durch ihre soziale Herkunft geprägt werden.
(Ulla Burchardt [SPD]: Stimmt!)
Dieser Zusammenhang und die höchst unterschiedliche Leistungsfähigkeit von Bundesländern haben Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten zu einem Markenzeichen auch unseres Bildungssystems werden lassen. Dagegen müsste der Haushalt konsequent und selbstbewusst Zeichen setzen.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich will diese Ungleichheiten auch belegen. Die Abiturientenquoten in den Ländern liegen in einer Spannbreite von 28 bis 48 Prozent. Die Studienanfängerquoten liegen zwischen 40 Prozent in Bremen und circa 29 Prozent in Bayern. Der Zuschussbedarf pro Studierenden liegt zwischen 9 260 Euro im Saarland und 5 650 Euro in Hessen. Dagegen haben Brandenburgs Universitäten nun wiederum die geringsten und die niedersächsischen Universitäten die höchsten Ausgaben pro Studierenden. Die Wanderungssalden bezogen auf die einzelnen Länder sind gewaltig. Ebenso deutlich sind die Unterschiede bei den Ausgaben für öffentliche Schulen. Berufsschulen gehen zunehmend in freie und private Trägerschaft über; in Sachsen sind es bereits 50 Prozent. Das alles sind klare Belege für ungleiche quantitative Entwicklungen. Wir alle wissen, dass es parallel dazu sehr unterschiedliche qualitative Standards gibt. Beides zusammen segmentiert das Bildungswesen der Bundesrepublik Deutschland immer mehr zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen. Vor diesem Hintergrund führen soziale Armut und Kinderarmut letztlich verstärkt zu Bildungsbenachteiligung.
(Beifall bei der LINKEN)
Armut ist ein Mangel an Chancen. Das ist ein zutiefst soziokulturelles Problem für friedliches Zusammenleben und Wirtschaften in einem Gemeinwesen. Was passiert in diesem Land? Zunehmend entwickelt sich ein Regionaldarwinismus. Unter diesen Vorzeichen geht es doch schon lange nicht mehr um Wettbewerbsföderalismus; machen wir uns doch nichts vor! Was übrig bleibt, ist gnadenlose Rivalität zwischen den Regionen. Statt Bildungsplanung in gesamtstaatlicher Verantwortung kommen immer stärkere Unterschiede zum Tragen. Es ist normal geworden, von reichen und armen Bundesländern zu sprechen. Wo leben wir denn, dass wir das tun, dass wir das vor allem widerspruchslos tun können?
(Beifall bei der LINKEN)
n allen Bundesländern, unabhängig davon, ob sie reich oder arm sind, gibt es Kindertagesstätten, Schulen, Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen. Wenn wir die Feststellung treffen, dass es reiche und arme Länder gibt, wissen wir, dass in diesen Ländern auch jeweils völlig unterschiedliche Voraussetzungen dafür herrschen, für diese Bereiche Gelder zur Verfügung zu stellen und damit Bildungs- und Innovationsressourcen zu mobilisieren. Also werden Kinder natürlich am Ende auch völlig unterschiedliche Startchancen haben, nicht nur, weil ihre Eltern in unterschiedlichen Einkommensgruppen sind, sondern auch, weil sie zufällig in einem reicheren oder einem ärmeren Bundesland geboren sind.
Wenn zeitgleich auch Bildungsausgaben, wie durch die Studiengebühren geschehen, privatisiert werden, wird sich diese Situation noch weiter verschärfen. Auch die Exzellenzinitiative, die hier so oft als Leuchtturm gerühmt wird, konnte sich - das wussten Sie - nur an einen Teil der Hochschulen bzw. Universitäten richten. Das war von Anfang an klar. Die logische Folge ist, dass jetzt Universitäten gewonnen haben, die in reicheren Bundesländern liegen. Das heißt, wir werden nicht nur reichere und ärmere Bundesländer haben, sondern auch reichere und ärmere Universitäten. Das kann man doch so nicht stehen lassen!
(Beifall bei der LINKEN)
Am Ende bleiben alle trotzdem unterfinanziert; da stehen die Leuchttürme glatt im Nebel. Das alles kann und wird nicht ohne schwerwiegende Auswirkungen auf unsere Forschung bleiben. Auch wenn sie heute mit diesem Haushalt mehr Geld bekommt: Forschung funktioniert nicht ohne wissenschaftlichen Nachwuchs. Auf EU-Ebene werden wir in den nächsten Jahren 1,2 Millionen Forscherinnen und Forscher mehr benötigen. Wissenschaftlichen Nachwuchs wiederum gibt es nur mit mehr und besser ausgebildeten Studierenden. Diese wiederum bedürfen eines vernünftigen, gut ausgestatteten, leistungsfähigen allgemeinen öffentlichen Schulwesens, das möglichst viele Kinder zur Hochschulreife bringt. Wenn sich aber schon in der Grundschule die deutlichen Leistungsunterschiede - das belegen insbesondere Studien vom Kinderschutzbund - allein aus dem sozialen Umfeld erklären, in dem die Kinder aufwachsen, dann machen weder der frühzeitige Beginn der gymnasialen Stufe Sinn noch die Einschränkung des Ganztagsanspruchs auf einen Kindertagesstättenplatz für Kinder arbeitsloser Eltern. Wer allen gute Bildungschancen und soziale Perspektiven bieten will, muss auf die bestehenden Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten anders reagieren, als es dieser Haushalt tut.
(Beifall bei der LINKEN)
Stattdessen geben Sie im Zuge der Föderalismusreform noch mehr Kompetenzen ab. Man muss sich das einmal vorstellen: Das Bildungssystem der Bundesrepublik Deutschland steht auf 16 Säulen, die in ganz unterschiedlicher Weise die Traglasten aufnehmen können. Sie wollen ein belastbares Gesamtgebäude und müssen sich daher mit 16 Baumeistern einigen, die auch noch für das Fundament zuständig sind. Das alles geschieht vor dem Umbau auf EU-Ebene, parallel zum Bolognaprozess und parallel zur Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen. Ganz dramatisch wird es beim Hochschulbau. Da werden die Ausdifferenzierungen zwischen den Bundesländern noch zunehmen. Es werden Millionenbeträge insbesondere in den Bundesländern verloren gehen, die eben nicht in der Lage sind, kozufinanzieren. Das geht zulasten der Hochschulen, der Studierenden und der Forschungseinrichtungen.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])
In einer neuen Architektur zu bauen heißt, Projekte anzugehen und Impulse zu setzen, die jede Ebene fest und verlässlich mit der anderen verbindet. Man kann nicht auf Bundesebene Bildung und Forschung zu einer Priorität erklären - wie Sie das vorhin aus meiner Sicht vollkommen zutreffend getan haben -, aber dann im Rahmen der Föderalismusverhandlungen diesen Bereich als Bauernopfer auf den Altar der Befriedung der Länder legen. Das geht doch nicht.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: So ein Quatsch! - Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Gut beobachtet!)
Aus unserer Sicht müssten vor allem in folgenden Feldern neue Impulse für ein qualitativ besseres Bildungs- und Forschungssystem gesetzt werden: Ausbau des BAföG als Bildungs-BAföG zur sozialen Öffnung der Schulen, Hochschulen und Weiterbildungseinrichtungen. Meinem Vorredner, der sich wundert, warum die Anzahl der Empfänger von Schüler-BAföG zugenommen hat, kann ich nur sagen, dass das „vielleicht“ mit der sozialen Situation der Eltern zu tun hat.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich nenne weiterhin: stärkere Unterstützung der Fachhochschulen zum Ausbau ihrer Forschungen; Förderung von Kindertagesstätten bzw. von Kinderbetreuungs- und Bildungsangeboten vor allem in den westlichen Bundesländern; Förderung von Modellstudiengängen für eine Hochschulausbildung von Kindertagesstättenerzieherinnen und -erziehern. In Finnland gilt das Motto „Das Beste für die Kleinen!“. Wieso eigentlich nicht auch hier?
(Beifall bei der LINKEN)
Weitere Punkte sind: Ausbau und Qualifizierung von Lehramtsstudiengängen; Fortschreibung des Projektes Ganztagsschulen für ein längeres gemeinsames Lernen; Unterstützung von Schulsanierungen, weil durch die Absenkung sowohl von Bundes- als auch von Landeszuweisungen die kommunale Ebene nicht mehr in der Lage ist, dieser Aufgabe angemessen nachzukommen; Förderung und Sicherung der dualen beruflichen Ausbildung - qualitativ und quantitativ -; Förderung von wissenschaftlichem Nachwuchs und Graduierungsmöglichkeiten über alle Wissenschaftseinrichtungen hinweg, Fachhochschulen und innovative kleine und mittelständische Unternehmen eingeschlossen. Juniorprofessuren müssten ebenfalls mit einbezogen und fortgeführt werden.
Natürlich gibt es noch viel mehr Punkte. Ich kann aber nur einen Auszug präsentieren. Wenn wir all diese Aufgaben nicht mit diesem Haushalt oder zumindest mit dem nächsten Haushalt angehen, dann ergibt sich ein verfassungsrechtliches Problem. Das alles hat nämlich die Revision des Grundsatzes der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zur Folge. Die Minister der Bundesregierung haben vor diesem Haus einen Eid geleistet. Sie sollten also genau an diesem Punkt das Grundgesetz beachten. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN)