Rede von Gesine Lötzsch zum Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (Drs. 16/99)
"Am 17. Oktober 2003, am Tag als Hartz IV beschlossen wurde, standen meine Kollegin Petra Pau und ich mit einem Transparent vor dem Bundestag um gegen das Hartz-IV-Gesetz zu protestieren. Auf dem Transparent stand: "Gegen Armutsgesetze - PDS im Bundestag". Wir griffen zu diesem außerparlamentarischen Mittel, weil hier im Haus die Abgeordneten von SPD, CDU/CSU und den Grünen taub waren für unsere Argumente. Sie hatten den Bezug zum alltäglichen Leben der Menschen verloren und folgten blind Herrn Hartz und ihren Fraktionsführungen. Das war der Anfang vom Ende der rot-grünen Bundesregierung. Es zeigte sich schnell, dass wir mit unserem Protest und unserer Kritik am Hartz-IV-Gesetz Recht hatten. Die öffentlichen Proteste und Ihre schlechten und unsere guten Wahlergebnisse haben Sie zu einer sehr späten Einsicht gezwungen. Sie müssen die gröbsten Ungerechtigkeiten im Gesetz beseitigen. Einer unserer zentralen Kritikpunkte am Hartz-IV-Gesetz ist die unterschiedliche Höhe des Arbeitslosengeld II in Ost und West. In Westdeutschland bekommen die Betroffenen 345 € und in Ostdeutschland nur 331 € Arbeitslosengeld im Monat. Die Bundesregierung begründete den Unterschied von 14 € mit den niedrigeren Lebenshaltungskosten in den neuen Ländern. Ich hatte schon im September 2004 die Bundesregierung gefragt, warum sie das Ost-West-Gefälle bei der Festlegung des Arbeitslosengeldes II berücksichtigt, das Nord-Süd-Gefälle oder das Stadt-Land-Gefälle aber nicht. Der Vertreter der Bundesregierung konnte mir diese Frage nicht beantworten. Offensichtlich hatten die zuständigen Beamten und Politiker da immer noch eine Mauer im Kopf. Die Mauer ist aber nicht ein Privileg von West-Beamten, auch Frau Merkel hatte damals als Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion dieser Ungleichbehandlung zugestimmt. An dieser Stelle möchte ich allen Demonstranten danken, die sich nicht beirren ließen und - trotz Spott und Häme - immer weiter demonstrierten. Es ist ein Erfolg der vielen Anti-Hartz-IV-Demonstranten, dass die SPD und nun auch die CDU/CSU die Forderungen der Linkspartei nach einem einheitlichen Arbeitslosengeld von 345 € endlich umsetzen wird. Der Erfolg ist gar nicht hoch genug einzuschätzen. Ich habe immer wieder auf Anti-Hartz-IV-Demonstrationen gehört, dass die da Oben sich doch nicht alles erlauben können. Diese Empörung war gerechtfertigt. Und es ist wichtig für viele Menschen, die immer noch glauben, dass Widerstand gegen eine unsoziale Politik nichts bringen würde. Sie erleben jetzt, dass Gesetze nicht in Beton gegossen sind, sondern von Menschen gemacht und von Menschen auch wieder geändert werden können. Jetzt werden wir neuen Mut fassen und noch die Dinge ändern, die unbedingt geändert werden müssen. Die großen Sozialverbände stimmen überein: 420 € im Monat sind für ein menschenwürdiges Leben im Monat mindestens erforderlich. Diese Forderung hat die Linkspartei übernommen. Natürlich kommen einige Kritiker mit dem Argument, dass es nicht sein kann, dass ein Arbeitsloser mehr Geld bekommt, als ein Wachmann oder eine Verkäuferin bei „Schlecker“. Dieser Kritik stimme ich mit Nachdruck zu. Diese Zustände sind unhaltbar. Doch die Lösung kann doch nur heißen, dass wir gesetzlich Mindestlöhne festschreiben, damit solche Hungerlöhne nicht weiter von Arbeitgebern gezahlt werden dürfen. Ich habe meinen Wahlkreis Lichtenberg in Berlin mit dem Motto: „ Von Arbeit muss man leben können“ direkt gewonnen. Ich kann nur allen Abgeordneten empfehlen dieses Motto auch zu beherzigen. Alles andere wird sehr teuer. Ich sage mit aller Deutlichkeit, dass der Kombilohn der teuerste Weg ist. Es ist schon jetzt so, dass die Hungerlöhne, die bei „Schlecker“ gezahlt werden, oft vom Arbeitsamt aufgebessert werden müssen, damit die Menschen genug zum Leben haben. Es kann doch nicht sein, dass wir mit Steuergeldern Lohndumping finanzieren. Frau Merkel hat im Wahlkampf immer erklärt, dass eine Angleichung des Arbeitslosengeldes nicht möglich sei, da dafür das Geld im Haushalt fehle. Nun hat sie offensichtlich doch die 220 Millionen € gefunden, die für die Angleichung nötig sind. Als haushaltspolitische Sprecherin meiner Fraktion kann ich versichern, dass auch für eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes II auf 420 € pro Monat Geld im Haushalt zu finden ist. Ich möchte an dieser Stelle etwas zum Gesetzentwurf der Bundesregierung sagen. Ich finde es fast amüsant, dass in der Begründung für die Angleichung des Arbeitslosengeldes II Argumente verwandt wurden, die wir schon bei der Beschlussfassung im Jahre 2003 gegenüber der Bundesregierung vorgebracht haben. Sie schreiben in der Begründung, dass die bundeseinheitliche Zahlung von 345 € im Monat zur "Wahrung der Rechtseinheit erforderlich" sei und weiter: "Hinsichtlich des Verbraucherverhaltens, der Leistungskosten und des Nettoeinkommens bestehen noch gravierende regionale Unterschiede, die sich nicht im Vergleich der neuen Bundesländer zu den alten Bundesländern ergeben, sondern auch innerhalb der Länder … und auch zwischen den Ländern im Norden und im Süden des Landes." Genau das war damals meine Argumentation gegen eine unterschiedliche Behandlung in Ost und West. Doch ich erwähne das nicht, um den Lernprozess der Bundesregierung zu würdigen, sondern um eine plausible Forderung aufzumachen: Wenn die "Wahrung der Rechtseinheit" als Begründung für eine Angleichung des Arbeitslosengeldes in Ost und West ins Feld geführt wird, dann ist diese Begründung richtig. Sie ist heute richtig und sie war auch 2005 richtig. Aus der Begründung der Bundesregierung ergibt sich, dass es ein Fehler war, das Arbeitslosengeld II in Ost und West in unterschiedlicher Höhe festzulegen. Demzufolge ergibt sich logisch, dass das Arbeitslosengeld rückwirkend zum 1.1.2005 angeglichen werden muss. In der gestrigen Sitzung des Haushaltsausschusses musste ich erfahren, dass die Bundesregierung die Angleichung des Arbeitslosengeldes nicht, wie in ihrem eigenen Gesetzentwurf angekündigt zum 1. Januar 2006 vollziehen will, sondern erst im April. Angeblich gäbe es technische Probleme. Die technischen Probleme brauchen aber die Bundesregierung nicht daran hindern, rückwirkend zum 1.1.2006 - oder noch besser zum 1.1.2005 - das Arbeitslosengeld II anzugleichen. Um gleich den Vorwurf abzuwehren, dass wir Geld verteilen, das nicht da ist, möchte ich abschließend darauf verweisen, dass der Zuschuss für die Bundesagentur für Arbeit im Jahre 2005 um 400 Millionen € gesunken ist. Für die Nachzahlung 2005 brauchen wir 220 Millionen €, also knapp die Hälfte. Das müsste doch zu machen sein."Angleichung des Arbeitslosengeldes II im Osten an das Westniveau ist Erfolg der Demonstranten - DIE LINKE. fordert rückwirkende Angleichung zum 1.1.20
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