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Foto: Rico Prauss

Ampel-Haushalt 2023 ist Wellness für Wohlhabende und unterlassene Hilfeleistung für die Mehrheit

Archiv Linksfraktion - Rede von Dietmar Bartsch,

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein Jahr Ampelkoalition liegt jetzt hinter uns. Drei Viertel der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger sind laut ARD-DeutschlandTrend unzufrieden mit ihrer Regierung. Das ist auch kein Wunder; denn selten haben so viele Menschen in so kurzer Zeit so viel ihres bescheidenen Wohlstandes verloren wie unter Ihnen.

Sie wollten „Fortschrittskoalition“ sein. Nun hatten Sie ein Jahr lang Zeit, in Ihrem ersten Ampelhaushalt genau das abzubilden. Ich kann feststellen oder muss feststellen: Es ist kaum eine Spur von mehr Fortschritt! Eines hat die heutige Debatte deutlich gezeigt: Nur Ihre Selbstzufriedenheit kann die Unzufriedenheit im Land noch toppen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich will Ihre mangelnde Fähigkeit, die Bürgerinnen und Bürger vor der Preisexplosion zumindest etwas zu schützen, am Beispiel der Gaspreise deutlich machen. Erst wollten Sie gar keine Gaspreisbremse, sondern eine Gasumlage,

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist es!)

also noch höhere Preise. Dann wollten Sie eine Bremse, die nach dem Winter, also im März, gilt. Jetzt soll sie im Januar gelten. Was für ein Chaos! Das versteht kein Abgeordneter mehr, geschweige denn die Bürgerinnen und Bürger. Und wie soll denn ein Betrieb bei dieser Herangehensweise seine Zukunft planen? Lieber Herr Bundeskanzler, Sie leiten kein Kabinett, das solide arbeitet,

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ja!)

sondern da sind einige Dilettanten am Start oder, richtiger gesagt, Dilettantinnen und Dilettanten.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heiterkeit bei Abgeordneten der AfD)

Heute verzweifeln viele Menschen an ihren Rechnungen. Heute wandern Firmen ab oder melden Insolvenz an. Spätestens zu Beginn der Heizperiode hätte es einen Gaspreisdeckel, einen Ölpreisdeckel geben müssen. Wir haben das hier im Haus seit Monaten gefordert. Die Dezemberhilfe soll die Gaskunden jetzt irgendwann mit der nächsten Jahresabrechnung erreichen. Jetzt und nicht irgendwann brauchen die Menschen Unterstützung.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt droht auch noch die Strompreisbremse Monate später zu kommen. Meine Güte, Ihre Politik hat mehr Verspätung als die Deutsche Bahn, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber Sie sind nicht nur die Zu-spät-Koalition, sondern Sie sind auch die Zu-wenig-Koalition. Ein Deckel von 12 Cent pro Kilowattstunde Gas – damit, das ist die Wahrheit, ist der Gaspreis noch immer doppelt so hoch wie vor dem furchtbaren Krieg Putins. Ein Deckel von 40 Cent pro Kilowattstunde Strom – das sind auch 12 Cent mehr pro Kilowattstunde. Das sind alles Deckelchen, beide viel zu hoch.

Vor allen Dingen, meine Damen und Herren, sind Ihre Bremsen auch noch zutiefst sozial ungerecht. Ich will Ihnen das auch erklären: Der Villenbesitzer profitiert am meisten. Je höher der Verbrauch 2022 war, desto höher ist nämlich die Entlastung 2023. Das ist doch ungerecht.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie entlasten Gutverdiener deutlich mehr als Geringverdiener und die Mitte. Wer schon gespart hat, der schaut dumm aus der Wäsche, meine Damen und Herren. Warum gibt es denn kein festes Bürgerkontingent für Strom und Gas, pro Person, pro Haushalt, pro Familie? Korrigieren Sie diese Ungerechtigkeit, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der LINKEN)

Sie lassen niemanden zurück? Nein, Sie lassen viele Bürger allein.

Im Übrigen: Auch hier zeigt Österreich, wie man es richtig macht.

(Otto Fricke [FDP]: Wie ist denn das in Österreich mit der Erbschaftsteuer?)

In Österreich werden die Strompreise bei 10 Cent pro Kilowattstunde gedeckelt. Wir haben weiterhin die höchsten Strompreise in Europa. Das ist verheerend für die Bürgerinnen und Bürger und für die Betriebe. Ihre Politik macht aus der Industrienation eine Kerzenrepublik,

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Deindustrialisierung!)

und das ist inakzeptabel, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Dazu gilt bei Ihnen auch noch das Prinzip, dass jeder Versorger abkassieren kann, wie er will. Ob die Preise nun um 20, 30 oder 40 Cent pro Kilowattstunde steigen, ob sie verdoppelt werden oder verdreifacht, alles ist möglich. Im Übrigen findet leider auch alles aktuell statt. Damit muss Schluss sein, Herr Habeck!

(Beifall bei der LINKEN)

Versorger sollten sich ihre Tarife genehmigen lassen müssen. Wir brauchen staatliche Preiskontrollen in Deutschland. Beenden Sie den Wilden Westen auf dem Energiemarkt, der die Menschen ruiniert, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der LINKEN)

Oder die Spritpreise: Da wollten Sie das Bundeskartellamt scharfstellen, Sie wollten ein Kartellrecht „mit Klauen und Zähnen“, Herr Habeck. Und was ist daraus geworden? Ein Miezekätzchen!

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Wahrheit ist: Die Tankmultis, die Ölmultis verdienen sich dumm und dämlich. 38 Milliarden Euro Übergewinne in diesem Jahr. Wann holen Sie das Geld, das den Bürgerinnen und Bürgern aus der Tasche gezogen worden ist, zurück?

(Beifall bei der LINKEN)

Real ist es doch so: Je mehr Shell und Total an der Preisschraube drehen, desto mehr verdient auch der Finanzminister über die Mehrwertsteuer. Das Gleiche gilt im Übrigen auch für die Energiepreise und an der Supermarktkasse: Je teurer die Energien, je teurer die Lebensmittel, desto höher sind die Steuereinnahmen. Die Wahrheit ist: 50 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen in diesem Jahr. Da frage ich Sie: Was ist denn eigentlich mit der Übergewinnsteuer, die Sie ja „Zufallsgewinnsteuer“ nennen? Also, als Marktwirtschaftler überzeugt mich das nicht,

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der AfD)

aber sei’s drum. Wann schöpfen Sie die Zufallsgewinne bei den Profiteuren der Krise denn ab? Auch hier gilt: Sie kommen zu spät. Jetzt wollen Sie die Zufallsgewinne nicht mehr rückwirkend ab März 2022, sondern erst ab November 2022 abschöpfen. Na Donnerwetter! Energiekonzern müsste man sein. Das wäre wunderbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, wir befinden uns real an einem Kipppunkt. Sie müssen besser werden. Sie sind eine Zu-spät-Koalition. Warum haben Sie das Bürgergeld oder das Wohngeld nicht schon im Sommer auf den Weg gebracht, statt erst im November, um fünf vor zwölf? Das hat doch der Union erst die Möglichkeit gegeben.

Herr Scholz, Sie sagen, kein Kind müsse in Armut aufwachsen. Dazu muss ich jetzt wirklich mal sagen: Sie haben die Kindergrundsicherung verschoben. Nach einem Jahr Olaf Scholz ist die Armutsrate bei Kindern bei über 20 Prozent. Das ist ein Höchstwert. Da können Sie hier doch nicht sagen: Wir lassen kein Kind zurück. – So ähnlich ist es auch beim Bürgergeld. Ja, der Entwurf – da habe auch ich hier im Plenum einiges gelobt – ist eine Verbesserung. Aber das, was Sie jetzt als Kompromiss haben, ist ausgetragen auf dem Rücken der Betroffenen. Deswegen kritisieren wir auch in Deutlichkeit diesen Kompromiss, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN – Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Genau! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist es!)

Jetzt noch eine Bemerkung zur Schuldenbremse. Der Finanzminister hat jetzt seine Schuldenbremse bekommen. Die Schuldenbremse ist ja für die FDP wie der Schnuller für das Baby. Wenn man ihm den wegnimmt, dann ist das Geschrei riesengroß. Aber, meine Damen und Herren, die Neuverschuldung beträgt trotzdem 45,6 Milliarden Euro. Herr Finanzminister, diese Verschuldung ist wirklich eine blanke Lügengeschichte, und das wissen Sie. In jedem Betrieb wäre das Bilanzfälschung.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein solches Vorgehen hat mit Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit aber auch wirklich gar nichts zu tun.

Sie haben Schattenhaushalte in Größenordnungen errichtet, um die Schuldenbremse einhalten zu können, Sonderschulden für das Sondervermögen. Ich meine das Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung der Bundeswehr. Das ist kreditfinanziert, am Haushalt vorbei.

(Otto Fricke [FDP]: Das steht im Haushalt!)

Das sind Schulden und nichts anderes. Auch der Wirtschaftsstabilisierungsfonds – 200 Milliarden Euro zur Senkung der Energiepreise –, der grundsätzlich richtig ist, ist nur kreditfinanziert.

(Otto Fricke [FDP]: Es steht im Haushalt!)

Meine Damen und Herren, das hat mit solider Haushaltspolitik nichts zu tun. Ihr Haushalt ist ein Verschiebebahnhof mit ungedeckten Schecks.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Bürger ahnen im Übrigen, dass sie diese Schattenhaushalte bezahlen müssen. Ich will Ihnen sagen: Die Wirtschaftsweisen haben doch einen Gegenvorschlag gemacht. Angesichts der historischen Krise haben sie – und zwar völlig zu Recht – höhere Steuern für Topverdiener und Superreiche gefordert. Die Wirtschaftsweisen, das sind Ihre eigenen Sachverständigen, deren Sachverstand Sie ja offensichtlich anzweifeln, und das, obwohl wir in diesem Jahr mehr Millionäre im Land haben als je zuvor: 1,6 Millionen Vermögensmillionäre in Deutschland.

Im Gutachten der Wirtschaftsweisen heißt es: „Energiekrise solidarisch bewältigen“. Dazu gibt es zwei zentrale Punkte: Erstens. Ärmere Haushalte leiden deutlich mehr unter der Inflation. Und zweitens. Wir brauchen höhere Steuern für Reiche und mehr Gerechtigkeit, um die Gesellschaft zusammenzuhalten.

(Beifall bei der LINKEN)

Ja, wir brauchen endlich eine Vermögensabgabe für Milliardäre und Multimillionäre. Es geht übrigens nicht darum, Herr Finanzminister, die Steuern zu erhöhen. Nein, das wollen wir überhaupt nicht. Wir wollen sogar Entlastungen bei den kleinen und mittleren Einkommen, auch des Mittelstands. Aber Sie schützen die Milliardäre und die Superreichen, und das ist inakzeptabel.

(Beifall bei der LINKEN)

Es kann doch nicht sein, dass die DAX-Vorstände in der Krise trotz bevorstehender Rezession ein Gehaltsplus von 25 Prozent haben. Es ist eben schon gesagt worden: Bei der Tafel gibt es 100 Prozent mehr Kundschaft. Das ist die Wahrheit, und das ist doch nicht normal, meine Damen und Herren. Da muss doch politisch gehandelt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Land ist eben nicht gut gerüstet für den Winter. Es droht eine Verarmungslawine über Deutschland zu rollen.

Dann haben Sie gestern gesagt, sehr geehrter Herr Finanzminister: Wir haben breitflächig entlastet. – Das waren Ihre Worte. Ehrlich gesagt: Was ist denn das für eine Realitätsverweigerung? Ja, ich weiß, es gab Entlastungspakete mit Vernünftigem. Aber viel zu wenig ist bei den Menschen angekommen, die die Entlastungen wirklich so dringend brauchen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist doch so, dass viele Menschen Verständnis dafür haben, dass es zurzeit wegen des furchtbaren Kriegs Putins und der Krise schwieriger ist als zuvor. Aber viele Menschen fühlen sich eben nicht beschützt und unterstützt von ihrer Regierung. Die fühlen sich schlicht ausgeliefert. Sie haben das Gefühl, dass sie die Folgen von Krieg und Krise allein tragen müssen, dass sie die Zeitenwende bezahlen müssen. Und das ist doch inakzeptabel.

(Beifall bei der LINKEN)

Es reicht nicht, Blackouts und einen Zusammenbruch der Gasversorgung zu verhindern. Sozial, wirtschaftlich und auch politisch steht dieses Land vielleicht vor dem schwierigsten Jahr in der Nachkriegszeit.

Schauen Sie auf die Herbstprognose der EU-Kommission: 0,3 Prozent Wachstum für die gesamte EU und in Deutschland minus 0,6 Prozent. Ehrlich gesagt: Für kein anderes Land ist die Prognose so schlecht. Da muss man doch vielleicht Schlussfolgerungen ziehen.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Richtig!)

Mit dem Haushalt 2023 hätten Sie einen großen Schutzschirm über Deutschland spannen müssen, einen Schutzschirm für die Bürgerinnen und Bürger und für die Unternehmen: gegen Inflation, gegen Insolvenzen und gegen Verarmung. Aber Ihr Haushalt ist kein Schutzschirm, kein „You’ll never walk alone“.

(Zuruf der Abg. Saskia Esken [SPD])

Ihr Geist spiegelt sich in diesem Haushalt eben nicht wider. Ihr Haushalt ist Wellness für die Wohlhabenden und unterlassene Hilfeleistung für die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Vor allen Dingen aber ist er zutiefst unehrlich.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)