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Albtraum Bologna

Archiv Linksfraktion - Rede von Nicole Gohlke,

Nicole Gohlke (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir diskutieren im Zusammenhang mit dem Bologna-Prozess in der Tat über den radikalen Umbau der Hochschulen. Im Zuge dieser Reform wurde natürlich auch über viele positive Ziele diskutiert, unter anderem über das schon genannte Ziel der internationalen Mobilität. Dass wir heute über Fragen der sozialen Durchlässigkeit oder über Demokratisierung diskutieren können, haben wir vor allem den Protesten der Studierenden und der Gewerkschaften zu verdanken.
(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wenn man sich die Umsetzung der Bologna-Reform ansieht, muss man feststellen, dass es der Regierung, dass es Ihnen vor allem um zwei Ziele geht. Mit Ihren Worten gesagt, sind das „internationale Wettbewerbsfähigkeit“ und die sogenannte „Beschäftigungsfähigkeit“, also die Verwertbarkeit der künftigen Absolventinnen und Absolventen. Der Bologna-Prozess ist untrennbar verbunden mit der Lissabon-Strategie, in der die europäischen Regierungen ihre Absicht dargelegt haben, bis 2010 die USA und den asiatischen Raum wirtschaftlich zu übertrumpfen. Zur Lissabon-Strategie gehört auch, die Wettbewerbsfähigkeit durch niedrige Steuern zu erhöhen. Die Hochschulreform sollte also noch dazu so gut wie nichts kosten. Diese drei Ziele zusammengenommen – verbissene Elitebildung, maximale wirtschaftliche Verwertbarkeit der Absolventinnen und Absolventen sowie rigoroser Sparzwang – haben nicht nur zu Murks geführt,
(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Aber auch nicht zu Marx!)
die Verwirklichung dieser Ziele musste für Studierende, Forschende und Lehrende zum Albtraum werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Sparzwang bedeutet mehr Geld für die einen und zwangsläufig weniger Geld für die anderen. Die bevorzugte Ausstattung weniger ausgewählter Hochschulen im Zuge der Exzellenzinitiative ist mit der Deklassierung der meisten anderen Hochschulen verbunden. Es handelt sich um einen Selektionsprozess zwischen den Hochschulen. Um diesen in Gang zu bringen, wurden die Forschenden entmachtet: in den Hochschulgremien und über die Abhängigkeit von Drittmitteln. Der Wettbewerb der Hochschulen untereinander in Form von Rankings, Ausschreibungen und Akkreditierungen absorbiert inzwischen weitgehend deren Leistungsfähigkeit.
Es trifft genauso die Lehre. Bachelorstudiengänge sollen große Mengen von Studierenden möglichst schnell durch voll ausgelastete Hörsäle schleusen und sind so konzipiert, dass den Studierenden genau so viel Wissen vermittelt werden soll, wie für ihre spätere Verwertbarkeit benötigt wird. Anwesenheits- und Leistungskontrollen sollen die Studierenden dabei auf Trab bringen. Ganze Wissensgebiete wurden dafür in kleine, gut abrufbare Bildungshäppchen zerlegt.
(Manfred Grund [CDU/CSU]: Wollen Sie sich über Studierende in der DDR unterhalten? – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Wo haben Sie studiert, Frau Kollegin?)
Genau deshalb bietet der Bachelor – entgegen Ihren Behauptungen – keine guten Berufschancen. Er hat nicht nur ein Imageproblem, das man mit einer Marketingkampagne beheben könnte, er ist de facto eine Bildungskürzung. Bachelorabsolventinnen und absolventen wünschen sich etwas anderes als billige und einseitige Qualifizierung.
(Beifall bei der LINKEN)
Solche Institutionen sind keine Hochschulen, sind keine Universitäten mehr. Für selbstbestimmtes Lernen und kritisches Reflektieren, für die Entfaltung der Persönlichkeit und für die Einbeziehung in die Forschung ist kein Platz mehr. Die Regierungen der letzten Jahre haben letztendlich daran mitgewirkt, dass der Bildungsbegriff auf wirtschaftliche Bedürfnisse verengt wurde und dass anstelle des Allgemeinwohls die Interessen von Unternehmen zum Maßstab für die Umgestaltung der Hochschule gemacht wurden. Das ist ein politischer Skandal.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir fordern das Recht auf eine gute wissenschaftliche Bildung für alle Studierenden, und zwar an einer Hochschule, in der sowohl die Lernenden als auch die Lehrenden zugleich Forschende sind und an der die Lehrenden gesicherte Arbeitsverträge haben. Sie aber wollen viele Studierende zu einem Studienabbruch in Form eines Bachelors zwingen.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Zwingen will niemand! SED ist vorbei!)
Durch amtliche Vorgaben, durch eine Quote soll vorab festgelegt werden, wie viel Prozent eines Jahrgangs als begabt genug gelten, um zum Masterstudiengang zugelassen zu werden. Einen absurderen Begabungsbegriff kann man sich nicht vorstellen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr.Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Bologna muss man verstehen!)
Die Linke unterstützt die Studierenden in ihrer Forderung nach einem Recht – nicht der Pflicht – auf einen anschließenden Masterstudiengang für alle. Wir hoffen, dass wenigstens SPD und Grüne sich dieser Forderung anschließen können.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)