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5-Fraktionen-Antrag zum Datenschutzbericht wäre gute Handlungsanleitung für nächsten Bundestag

Archiv Linksfraktion - Rede von Jan Korte,

Rede zu Protokoll

in der 246. Sitzung des Deutschen Bundestages

zu Zusatzpunkt 14: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch den Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit

Tätigkeitsbericht 2009 und 2010 des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit - 23. Tätigkeitsbericht – (Drucksachen 17/5200, 17/13936)

Sehr geehrter Herr Präsident,

werte Kolleginnen und Kollegen,

 

auch von meiner Seite aus natürlich zuerst einmal ein herzlicher Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die den gemeinsamen Entschließungsantrag vorbereitet haben – der 5-Fraktionen-Antrag ist meines Wissens ein singuläres Ereignis in dieser Legislaturperiode.

Ich bin sehr froh, dass der gemeinsame Antrag auch zu diesem Bericht zustande gekommen ist – aufgeführt ist darin ein kleiner Kernbereich gemeinsam getragener Grundpositionen zu ausgewählten Datenschutzfragen, die in dem 23. Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) angesprochen sind und einigen aktuellen Entwicklungen, wie der Arbeit an einer Europäischen Datenschutzgrundverordnung. Darüber hinaus ist der Antrag aber auch, über alle Fraktionsgrenzen und Differenzen hinweg, Ausdruck der Wertschätzung, die Person und Arbeit des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und Informationsfreiheit und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter genießen.

Der Entschließungsantrag aller Fraktionen, der in intensiven Arbeitsrunden auf Grundlage des Tätigkeitsberichts zustande gekommen ist, soll also vor allem die Arbeit des Bundesbeauftragten stützen und stärken. Dessen Bericht selbst ist ein Handbuch der eher wenigen datenschutzrechtlichen Fortschritte und der rapide wachsenden datenschutzrechtlichen Probleme. Es wäre wirklich sehr zu begrüßen, wenn in Zukunft zu Beginn einer Legislatur dieses Handbuch in seiner jeweils aktuellen Ausgabe diskutiert und dann daraus, ganz am Anfang der Wahlperiode, der rote Faden für die Arbeit des Innenausschusses und der Fraktionen in Sachen Datenschutz werden würde. Das wäre der guten Arbeit des Bundesdatenschutzbeauftragten angemessen.

Der Entschließungsantrag wiederum greift, dem gemeinsamen Kompromiss geschuldet, nur einen kleinen Teil des Berichts auf und formuliert zu insgesamt 16 Punkten die gerade noch möglichen gemeinsamen datenschutzrechtlichen Positionen, Bedenken und Forderungen. Von den sich schon wieder verschlechternden Perspektiven der europäischen Datenschutzgrundverordnung über Profilbildung, der unverzichtbaren lückenlosen Kontrolle der Anti-Terror-Datei über die Steueridentifikationsnummer, die eigentlich ausschließlich nur zu steuerlichen Zwecken verwendet werden dürfte, bis hin zu den ungelösten Problemen bei der elektronischen Gesundheitskarte, den intelligenten Energienetzen und der RFID-Technik reichen die gemeinsam formulierten Punkte. Dazu kommen noch jahrzehntealte Datenschutzprobleme beim Bundesamt für Verfassungsschutz und natürlich auch die noch nicht ganz vollendete Unabhängigkeit der Datenschützer in Deutschland.

Von den insgesamt 46 Empfehlungen des Bundesbeauftragten, auf die die Befunde des Tätigkeitsberichts zugespitzt sind, wurden von der Regierungspolitik nur wenige konsequent angegangen. Bezeichnend ist, dass gerade einige der größeren Erfolge des Datenschutzes in den letzten Jahren darin bestanden, gerade nichts zu tun, Vorhaben aufzugeben oder Projekte einzustampfen. Ich erinnere hier nur an die endgültige Einstellung des Großprojekts ELENA, die Blockade eines Umsetzungsgesetzes für die Vorratsdatenspeicherung trotz Drohungen mit Geldbußen. Auch die in letzter Sekunde durchgesetzten Rückänderungen im Meldegesetz aus den letzten Monaten können dazu gerechnet werden. Und auch der Verzicht auf die Durchsetzung der Koalitionsausgabe eines Beschäftigtendatenschutzes, der eher ein Beschäftigtenüberwachungsgesetz war, muss in diese Reihe aufgenommen werden – wenngleich nicht ganz ohne Wehmut, bedeutet das doch eine nochmalige Verlängerung des inzwischen jahrzehntelangen Wartens auf einen effektiven Schutz der Daten von Beschäftigten. Godot war ein Hektiker im Vergleich dazu.

Es hören sicher nicht alle gerne, wir jedoch schon: gerade diese Beispiele, die alle von Protesten begleitet waren und sind, belegen die enorm gestiegene Bedeutung des Datenschutzes für die Politik im Lande und in Europa. Den offiziell bestallten Datenschützern sind mit dieser kritischen Öffentlichkeit und ihren Kampagnen starke Bündnispartner an die Seite getreten.

Dass deren Stärkung in Zukunft noch wichtiger wird, belegen tagtäglich die Medien.

Die größenwahnsinnige Datenabsaugerei der US-Geheimdienste und die mehr oder weniger erzwungene Kumpanei der Provider und Internetkonzerne von Apple bis Verizon ist ja beileibe kein alleiniges Problem der USA und deren mangelhaften rechtsstaatlichen Regelungen, die noch geheimniskrämerischer sind, als die hierzulande. Dies sind Zeichen eines totalitären Anspruchs, der Unternehmen und staatliche Instanzen verbindet und der deutschen Behörden und Internetunternehmen keineswegs fremd ist.

Die von der Bundesregierung zur Schau gestellte Unkenntnis der US-Praxis ist nicht besonders glaubhaft. Und die Bundesregierung sollte sich entscheiden, was ihr lieber ist:

Entweder als unwissender Hampelpampel zur Komplizin gemacht worden zu sein, nicht gefragt zu haben, aus welchen Quellen die Daten stammten, die ja munter zwischen den Diensten ausgetauscht werden und sich überhaupt nicht um die Rechtsgrundlagen gekümmert zu haben - im Innenausschuss war der Bundesbeauftragte für Datenschutz für die Rechtsgrundlagen auskunftsfähig, Staatssekretär Schröder bezeichnenderweise dagegen nicht.

Oder aber als wache Partnerin der USA Rechtsgrundlagen und Praxis zwar gekannt, aber die Dimension vielleicht ein bisschen unterschätzt zu haben. Dafür, dass die Wahrheit eher hier zu finden wäre, spricht einiges. Vermutlich ist es auch kein Zufall, dass eine interessante Frage der Kollegin Piltz von der Bundesregierung im Innenausschuss schlicht ignoriert wurde. Sie wollte nämlich wissen, worin sich die deutsche Praxis, also zum Beispiel die strategische Fernaufklärung des Bundesnachrichtendienstes, denn von der jetzt mit Getöse bekannt gewordenen PRISM-Praxis des NSA unterscheide. Im Kern, nicht im Ausmaß.

Dass die Bundesregierung mit gezinkten Karten spielt, legt auch der massive Druck der USA nahe, den diese Anfang 2012 auf die Entwicklung der EU-Datenschutzgrundverordnung ausübten. Ursprünglich sollte genau der jetzt aufgeflogene, praktisch unkontrollierte, Zugriff der US-Geheimdienste auf Kundendaten von Microsoft, Google, facebook und Co. beschränkt werden. Rechtsgrundlage damals: exakt der Foreign Intelligence Surveillance Act (Fisa), den die Bundesregierung angeblich nicht kennt. Und, oh Wunder, wenig später war eine Vorlage, die den Zugriff etwas beschränkt hätte, aus den Zuarbeiten zur Grundverordnung verschwunden. Auch darüber – da ist die Bundesregierung in ihrem selbstverordneten Unwissen ganz konsequent – gaben bisher nicht die Regierungsvertreter Auskunft, sondern der Bundesbeauftragte für den Datenschutz.

Es gehört nicht viel prophetische Gabe dazu, vorherzusagen, dass ähnlich wie bei den Fluggastdatenabkommen, nach einer aufgedeckten, quasi rechtlosen und nur von den USA geregelten Datenerfassung, Verhandlungen anstehen. Und es steht zu befürchten, dass an deren Ende bürgerrechtlich fragwürdige europäische Regelungen gegen den öffentlichen Widerstand durchgesetzt werden.

Der gemeinsame Entschließungsantrag beschreibt also nur einen kleinen Teil der Aufgaben, die in der nächsten Legislatur intensiv angegangen werden müssen, und den auch nur sehr eingeschränkt. Aber wenn ihn die nächsten Fraktionen als Handlungsanleitung verstehen wollen, wäre das schon ein großer Schritt.

Vielen Dank.